Diana Ross in Amsterdam: Meine Welt ist leer ohne dich

Diana Ross hatte weder die ganz große Stimme noch den ganz großen Absturz. Mit 79 hat sie nun ein Konzert gegeben. Auch die Queen war Fan.

Porträt von Diana Ross, mit Mikrofon in der Hand, sie singt, die Haare offen in rotem Kleid

Sängerin Diana Ross hat immer noch Fans, nicht nur unter älteren Herrschaften Foto: Patrick T. Fallon/afp

AMSTERDAM taz | Erstaunlich, diese jungen Leute im Saal, nicht nur vereinzelt unter 14.000 Menschen im Ziggo Dome, neben dem Ajax-Stadion zweites Herzstück eines Vergnügungsviertels in Amsterdams, einst auf der grünen Wiese. Nicht nur wir, Boomer durch und durch, Männer und Frauen, die die Anfänge dieser Frau allenfalls als Kleinkinder erlebt haben, wollten sie sehen, auch unsere Enkel.

Dabei kennt sie doch nicht jeder, kleine empirisch gewiss fadenscheinige Umfrage unter Kollegen und Kolleginnen: Diana, wer? Dann kommt sie auf die Bühne, schlicht im Hintergrund in anthrazitfarbener Eleganz gehalten, Diana Ross, der stärkste nur denkbare Jubel zur Begrüßung.

Singt „I’m Coming Out“, verhaltener Auftakt, warmherzig, sie im gelbgüldenen, hochgeschlossenen Puschelfummel, in der Hand einen riesigen Fächer, farblich passend ebenfalls gelb, sich hin und wieder zufächelnd, damit ihre beeindruckend dunkle, ausgesprochen löwige Mähne, die sie entzückend anspruchsvoll immer wieder frei von Demut zurückwirft: Ja, das ist die Diana Ross, die Königin des Pop seit den mittleren Sechzigern, die wir uns wünschen.

Sie nennt ihr Konzert wie ihre Tour überhaupt: „A Legacy Evening“, ein Abend mit Vermächtnis, recht verstanden, und sie darf das auch, denn Ms Ross ist 79 und das sieht man ihr, wenigstens von Weitem wie auf den Big Screens nicht an. Das zu schrei­ben ist kein Aging, kein Hinweis auf naturwidrige Hilfsumstände in Sachen „Äußerlich in Form bleiben“, sondern purer Neid: Sie sieht nicht nur absolut erfrischend aus, sie kichert, gestikuliert unältlich, sie muss, wirklich sie muss Gymnastik treiben, täglich, mindestens, sonst ist ihre Präsenz ja kaum erklärbar.

Und sie zelebriert ihre Erbschaftserklärung: etwa auch, indem sie im Hintergrund fein geschnittene Filmchen abspielen lässt, Zeugnisse ihrer Herkunft, ihrer Karriere, Verweise zu Kooperationen mit anderen, eben auch mit jungen Sangeskolleginnen wie sie, die in den frühen sechziger Jahren mit Look und Talent versuchten, einen Fuß in die Tür zum Erfolg zu bekommen. Und zwar nicht als Fabrikarbeiterin, wie ihr Vater, nicht als Lehrerin, wie ihre Mutter, sondern, ehrgeizig und aufstiegshungrig wie alle in ihrer Familie, möglichst ganz nach oben.

Keine Kunstproduktion, sondern Chartware

So intoniert sie, begleitet von ihrer smarten Band, stimmlich unterstützt von vier Sängerinnen*, sich durch den Reigen ihrer Hits, und es waren wirklich welche: „My World Is Empty Without You“, „Baby Love“, „Come See About Me“, natürlich „You Can’t Hurry Love“, „Stop! In the Name of Love“, „Love Child“, am Ende des Abends, knapp zwei Stunden flott weiter, mit triumphalen, armfreien Gesten „Ain’t No Mountain High Enough“.

So weit zum allerbekanntesten „Supremes“-Œuvre, gewerkelt in den Studios von Motown, ausdrücklich, so seine Gründer, keine Kunstproduktion, sondern Chartware, umsatzmachend hoffentlich. Und Ms Ross war stimmlich unter ihren Kolleginnen der Girl Group keineswegs die beeindruckendste, aber diese Label hatten ohnehin in ihrer Black Community Frauen wie Aretha Franklin oder Dionne Warwick. Ross hingegen hatte Appeal, sie war schlank, sie hatte, wie sie beiläufig und selbstironisch auf der Bühne berichtet, unter ihren Geschwistern den Ruf, so etwas wie die Ehrgeizigste von allen zu sein, raus aus der Sozialwohnungssiedlung, kompromisslos durchaus Konkurrentinnen ausstechend.

Im zweiten Teil, ohne Pause, kam sie in gleißend kermitgrünen Grobpailletten, eine rauschendes Textil auch dies, der Fächer nun in frischen Moosfarben – jetzt, nicht ermüdet, ihre Schritte als „Supreme“-ferne Solistin, Jazz und Blues und Disco, „Upside Down“, „Chain Reaction“, „Endless Love“ (ohne Lionel Ritchie, nur mit sich und dem Chor), „Ease on Down the Road“ (ohne Michael Jackson, klar), „Don’t Explain“, eine Verbeugung vor ihrer Erblasserin Billie Holiday, das schnulzige „Touch Me in the Morning“ und „Theme from Mahagony“: Akkurat, in jeder Hinsicht freundlich, immer wieder lächelnd, als sei es ein Leichtes, zwar nicht Aerobic auf der Bühne darzubieten, aber doch stete körperliche Moves: Ms Ross hat ein Vermächtnis zu überbringen – und das definiert sich anders als etwa bei der vor kurzem verstorbenen Tina Turner, bei deren Karriere bei ihren Fans immer das Leiden an Ike Turner mitgedacht wurde, der Aufstieg auf dem Nichts, die Unwahrscheinlichkeit der höchsten Berge, die sie in ihrer Karriere im Pop besteigen würde.

Ein paar Vergehen

Diese Künstlerin hier in Amsterdam hat ihre Laufbahn mit eisernem Willen und bei gut gewählten Gelegenheiten auszubauen gewusst, auch ohne flagrante Abstürze. Ein paar Vergehen im Autoverkehr, unschöne Drogen plus Rehab, Promille um 2.0 vor den Augen der Polizei, einige Derbheiten am Flughafen Heathrow.

Hier in der Halle, nun im topstylishen schwarzen und bodenlangen Abendkleid, ganz Las-Vegas-Air, wirkt sie glücklich wie ein Teenager auf der eigenen Konfirmation, die die Huldigungen des Publikums gelöst entgegen nimmt und winkt, immer wieder winkt, mit zwei Fingern die Augen fixiert und sie zu einer Person in den ersten Reihen richtet: Das ist eine, die ihre Jahre als Sammlung von Erfahrungen präsentiert, nicht als würde sie schwächeln und demnächst, über ihren Anwalt und natürlich ohne livehaftig dabei sein zu können, zur Verteilung ihrer Habseligkeiten lädt. Sie wollte ein Popstar werden, nicht nur der Schwarzen, sondern für alle.

Königin Elizabeth II. soll ihre Musik geschätzt haben, kein Wunder, dass Ms Ross zum letzten Geburtstagskonzert Ihrer Majestät am Schloss Windsor auftrat, als allerletzter Akt. Mehr geht nicht? Fragen Sie mal Ms Ross! Gloria Gaynors Klassiker „I Will Survive“ zum Schluss, das Hallenlicht dimmt auf, doch nach hartnäckigem Beifall kommt sie doch noch mal auf die Bühne, nun im wirklich bequemen grauen Jogginganzug, die Mähne zum vielleicht 731. Mal schüttelnd, giggelnd – und dann ein „Thank you“, das war’s. Für uns.

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