Ex-Bürgermeister Mimmo Lucano: Freispruch in Riace

Dem für gute Flüchtlingsarbeit bekannten italienischen Bürgermeister drohten 13 Jahre Haft. Jetzt hat ihn ein Gericht in zweiter Instanz freigesprochen.

Italienischer Ex-Bürgermeister Mimmo Lucano mit einem Megaphon

Ex-Bürgermeister Mimmo Lucano bei einem Auftritt an der Uni Rom 2019 Foto: Massimo Percossi/epa

ROM taz | Mimmo Lucano ist kein Schwerverbrecher. Zu diesem Schluss kam am Mittwochnachmittag das Gericht im süditalienischen Reggio Calabria, das in zweiter Instanz den früheren Bürgermeister der kleinen kalabrischen Gemeinde Riace in fast allen Anklagepunkten freisprach.

Lucano war mit seiner Politik der ausgestreckten Hand gegenüber Mi­gran­t*in­nen weit über Italien hinaus berühmt geworden, und wurde für sein „Modell Riace“ in den Medien gefeiert und mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis der Stadt Dresden – bis er im Jahr 2021 in erster Instanz als angeblicher Chef einer kriminellen Vereinigung zu exorbitanten 13 Jahren und 2 Monaten Haft verurteilt wurde.

Angeblich hatte er, der in den Jahren 2004 bis 2018 Bürgermeister des 1.800-Seelen-Ortes Riace war, sich der Förderung illegaler Einwanderung schuldig gemacht, zahlreiche Delikte wie Betrug, Urkundenfälschung, Unterschlagung begangen, mehr als 700.000 Euro an staatlichen Geldern beiseite geschafft.

Alles nur Show in Riace?

Und das Modell Riace? Alles nur Fassade, wenn man Staatsanwaltschaft und Gericht glauben darf, das 2021 in erster Ins­tanz urteilte. Diese „Fassade“ bestand darin, dass Lucano dem Verfall des Dorfkerns von Riace, dem Wegzug jüngerer Menschen etwas entgegensetzen wollte: die Ansiedlung von Migrant*innen, für die Häuser instand gesetzt wurden, und die Schaffung von Arbeit in neu eröffneten Läden und Werkstätten, in denen alteingesessene Bür­ge­r*in­nen gemeinsam mit Neuankömmlingen aus Syrien oder Äthiopien tätig waren. Ende 2017 lebten 470 Mi­gran­t*in­nen in Riace, mehr als ein Viertel der Ortsbevölkerung.

Doch in den Augen des Innenministeriums in Rom und der Justiz war das alles nur Show. Im Jahr 2017 behauptete der damalige Präfekt von Reggio Calabria, in Riace würden systematisch die staatlichen Zuwendungen für Mi­gran­t*in­nen unterschlagen. 2018 dann erließ das Gericht von Locri Haftbefehl gegen Lucano, der in Hausarrest genommen und seines Amtes enthoben wurde.

Der damalige Innenminister und Chef der fremdenfeindliche Lega, Matteo Salvini, nutzte diese Steilvorlage, um das Modell Riace von einem Tag auf den anderen zu liquidieren und die dort lebenden Geflüchteten wegzuschaffen.

Weder persönliche Bereicherung noch politischer Ehrgeiz

Lucano stand mit 23 Mitangeklagten vor Gericht, und wurde dann zu einer Haftstrafe verurteilt, die eines Mafiabosses würdig gewesen wäre. Dabei mussten auch die Staatsanwaltschaft und das damals urteilende Gericht zugeben, dass auf keinem seiner Konten auch nur ein roter Heller war und ihm keine private Bereicherung nachgewiesen werden konnte. Aber egal: Seine Gegner argumentierten, es sei ihm um „politischen Nutzen“ und den eigenen Ruhm gegangen. Lucano allerdings hatte mehrfach Angebote für Kandidaturen zum Europaparlament und zum nationalen Parlament ausgeschlagen. Viel politischer Ehrgeiz war da nicht zu sehen.

Zu einer ganz anderen Würdigung kamen denn jetzt auch die Rich­te­r*in­nen in zweiter Instanz. Fast alle Mitangeklagten Lucanos wurden freigesprochen. Er selbst allerdings wurde wegen Urkundenfälschung in einem Verwaltungsakt von 2017 zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Dennoch feierten er und seine An­hän­ge­r*in­nen das Verdikt wie einen Freispruch. Die zahlreichen Anwesenden im Gerichtssaal stimmten „Mimmo, Mimmo!“-Sprechchöre an und sangen „Bella Ciao“. Lucano selbst, der das Urteil in Riace abgewartet hatte, brach nach dem Richterspruch in Freudentränen aus. Er sieht seinen guten Ruf wiederhergestellt und erwägt eine Rückkehr in die Politik.

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