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Protest gegen GentrifizierungSingen gegen Amazon

Eine Protest-Oper arbeitet sich am Amazon-Tower ab und zeigt, dass das widerständige Berlin noch nicht Geschichte ist.

Aufwändige Inszenierung gegen die Übermacht des Turms Foto: Umbruch Bildarchiv

Berlin taz | „Unser Kiez könnte schöner sein – aber ist er nicht“, singen zwei Jugendliche auf dem namenlosen Platz unterhalb der Warschauer Brücke. Am frühen Sonntagabend hat sich diese „Lücke zwischen nichts und gar nichts“ verwandelt in eine improvisierte Bühne: Aufgeführt wird das Straßentheater-Spektakel „Der Turm stürzt ein“.

Hunderte Schaulustige säumen die umliegenden Fußgängerbrücken und verfolgen die zweistündige Protest-Performance von über 40 Ak­teu­r*in­nen der Lauratibor-Protestoper. Diese hatte sich 2019 gegründet, um gegen die Gentrifizierung zwischen Lausitzer und Ratiborstraße in Kreuzberg künstlerisch zu intervenieren. Zuletzt war sie im Sommer des vergangenen Jahres auf den Straßen zu sehen.

Dieses Mal geht es „gegen Big Tech, Verdrängung, Überwachung, Ausbeutung und vor allem gegen den bevorstehenden Einzug des Megakonzerns Amazon“, wie das Kollektiv in der Ankündigung schreibt.

Der Edge East Side Tower nebenan ist fast fertig gestellt und soll noch in diesem Jahr eingeweiht werden. Das Bürogebäude gehört mit 142 Metern zu den höchsten Berlins. Für die Protestgruppe ist der Amazon-Tower die Zuspitzung vieler Krisen: „explodierende Mieten und Wohnungslosigkeit, Verdrängung von Freiräumen und Kiezkultur, Greenwashing beim Bau des Turms, die Weiterentwicklung der digitalen Überwachung, Ausbeutung von Arbeitskräften in den Lagerhallen und im Versand, Monopolisierung, Steuervermeidung und die massive Zerstörung der Natur.“

Innovative und aufwändige Inszenierung

Und so wettert auch der Moderator zu Beginn des Stückes: „Dieser Turm ist kein Turm, dieser Turm ist eine Maschine zur Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, dieser Turm organisiert deine Überwachung.“ Schließlich sagt er gar: „Dieser Turm ist eine Kriegserklärung!“

Der Inhalt des Protestmusicals ist simpel: Drei Außerirdische kommen auf die Erde, weil sie verhindern wollen, dass die Menschen nicht nur die Erde, sondern auch das Weltall erobern und ausbeuten. Um dieses etwas platte Stilmittel entspannt sich ein Spektakel, das es in sich hat.

Innovativ und aufwendig zeichnet das Kollektiv in sechs Szenen ein dystopisches Bild von Ausbeutung, Überwachung und Verdrängung. Begleitet wird das allen vom – selbst geschriebenen – Soundtrack des zwölfköpfigen „Profit-Orchesters“. Insgesamt haben sich über 40 Personen in diesem Mehrgenerationen-Theater aus dem Lauratibor-Umfeld zusammengetan. Gemeinsam haben sie Musik, Texte und Choreografien entwickelt und wochenlang geprobt.

Die Ak­teu­r*in­nen tragen Kostüme aus Müll und Glitzer, Bengalos und Luftballons kommen zum Einsatz, das mehrseitige Textheft wird an Interessierte verteilt und sogar das Wetter spielt mit, während der Chor in einer „Anhimmelung der Verpimmelung“ den Turm anbetet.

Abgesang auf das alternative Berlin

„Konsum ist eine der effizientesten Waffen gegen die Intelligenz des Menschen“, lernen die Außerirdischen, während das Profit-Orchester eine Konsumpolka spielt: „Wie kommt es, dass die Menschen sich das alles gefallen lassen?“, fragt einer der Außerirdischen. Ein Engel antwortet: „Sie arbeiten, damit eines Tages alles gut wird. Obwohl es immer so weitergeht, glauben sie daran. Sie arbeiten hart. Und das ist dann der Fortschritt.“

Konsum ist eine der effizientesten Waffen gegen die Intelligenz des Menschen

Weiter geht es mit einer vorgetragenen Klage: „Kapital vertreibt das Leben aus der Stadt, um als Investment immerzu zu wachsen in den Himmel. (…) Die Stadt der Reichen, der Konzerne und der Spekulation: Beschissen. Lächerlich. Brutal. Danke für nichts, auch dir, Senat (…) Sie sagen Wachstum, Wirtschaftsstandort, wir sagen Verdrängung und Enteignung unsrer Stadt! Wir sagen Mietenwahnsinn! Wir sagen Amazon, fuck off!“ Schließlich stellen die Prot­ago­nis­t*in­nen fest: „Shit, diese Stadt ist ja vorbei. Oh no!“

Hier setzt mal ein Mikro aus, da verheddert sich ein Ballon, dort lässt ein Betrunkener, der auch mal im Rampenlicht stehen möchte, eine Flasche fallen. Doch insgesamt ist die Performance ein opulenter Rundumschlag gegen den Kapitalismus und alles, was in dieser Stadt falsch läuft. Ein verzweifeltes Aufbäumen gegen die Zerstörung durch die Dampfwalze des großen Geldes. Das düstere Spektakel wirkt wie ein Abgesang auf das alternative, widerständige Berlin der 1990er Jahre. Der Kampf ist bereits verloren. Oder doch nicht?

Der Protest geht weiter

„Der Turm steht, das ist klar“, sagt eine der Organisatorinnen zur taz. „Aber einfach aufhören ist für mich keine Option.“ Sie befürchtet, dass sich die 3.400 Amazon-Angestellten, die hier einmal arbeiten werden, hauptsächlich damit beschäftigen werden, „wie man KIs weiterentwickelt und wie demokratische Grundstrukturen noch weiter abgebaut werden und in unser aller Leben immer noch mehr eingegriffen wird, indem wir auch immer weiter individualisiert werden und nachverfolgbar werden“. Es sei wichtig, dagegen ein Zeichen zu setzen.

Und ihre Kollegin ergänzt: „Ich habe den Eindruck, viele wissen: Amazon ist irgendwie nicht okay. Aber die Dimensionen sind vielen Menschen nicht bewusst. Und ich finde es wichtig, dass die Menschen aufwachen.“ Ihnen geht es um den Einsatz für soziale Strukturen, bezahlbare Arbeits- und Wohnräume, faire Arbeitsverhältnisse. Das Kollektiv schreibt: „Wir bringen den Gedankenturm, die ewige Behauptung der Tech-Konzerne, es gebe keine Alternative zu ihrem digitalen Totalitarismus, zum Einsturz!“

Und so versucht sich die Performance am Ende noch an einem hoffnungsvollen Ausblick: Angekündigt wird eine große Protestaktion am 24. November, dem „Black Friday“, gegen den Amazon-Tower. Verwiesen wird auch auf das Bündnis Berlin vs Amazon. Dieses hat 14 Forderungen aufgestellt, die erfüllt werden müssen, damit Amazon in Berlin willkommen ist, darunter die Vergesellschaftung und Zerschlagung des Konzerns.

Um 19 Uhr muss das Spektakel zu Ende sein, denn direkt danach strömen die Be­su­che­r*in­nen aus der Mehrzweckhalle zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße, nachdem sie dort den Cirque du Soleil bewundern konnten. Welch eine Ironie: Der Gründer des Cirque du Soleil heißt Guy Laliberté („Die Freiheit“) und begann als Straßenkünstler. Und nun tritt der Zirkus in dieser gesichtslosen Halle auf, die einem Ufo ähnelt. Vielleicht ist das Stilmittel mit den Außerirdischen doch nicht so platt.

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