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Gesänge im Fußball„Es gibt nur ein’ Rudi Völler“

Musik und Fußball gehören untrennbar zusammen. Das zeigt sich selbst in der tiefsten Provinz an Vereinshymnen und bekannten Musikern als Sponsoren.

Das ist der eine aus dem Fangesang Foto: Laci Perenyi/imago

Das Runde muss ins Diskursive, verkündete das Programm zum Festival Pop-Kultur jüngst in Berlin. Das hieß konkret, Fußball „in verschiedenen Formaten queerfeministisch und postmigrantisch zu beleuchten“, zum Beispiel mit „dekolonialen (Anti-)Fitness-Workouts Fit for Fans und We Will Rock You“. So kann Fußball – olé, olé – heute auch klingen. Nicht nach „Doppelpass“-Laberei, die man aus Fernsehen und Kneipen kennt, sondern nach großstädtischem Bubble-Sprech. Zwischen beidem liegen Welten, ähnlich wie zuletzt zwischen den Ambitio­nen und den realen Titelchancen beider DFB-Auswahlteams bei ihren Weltmeisterschaften.

Umso mehr lässt sich natürlich darüber fabulieren, wie alles besser und die Heim-EM der Männer nächstes Jahr trotzdem ein berauschendes Fest werden könnte. Der Staat zeigt sich jedenfalls willig, seinen Beitrag zu leisten, und fördert die Euro 24 mit Millionen. Was den verwunderten „Pop-Kultur“-Stammgästen denn auch erklärte, warum das Festival diesmal ausgerechnet einen Fußball-Schwerpunkt besaß. „Fit for Fans“ und „We Will Rock You“ leiteten sozusagen die popkulturelle Veranstaltungswelle ein, mit der im Land Fußballbegeisterung geschürt werden soll.

Weil das wegen der schwächelnden Nationalelf halt nicht mehr so einfach wie früher ist, dürfte die Freude auch bei den DFB-nahen Kulturbringern groß sein, dass ein einziges Testspiel wieder Hoffnungsglück verbreitete. Deutlich hörbar am Fangesang „Es gibt nur ein’ Rudi Völler“.

Qualität ist Nebensache

Man kann das Comeback des Sta­dion­schunklers als lustige Petitesse betrachten. Aber Chants und Lieder – und auch ihr Fehlen – zeigten immer gut den Stand der Fußballeuphorie bezogen auf eine Mannschaft oder auf ein Turnier. Es gibt ja eine breite Palette an Fußballmusik, angefangen von Fangesängen über Vereinshymnen bis zu Schlagern, Rock- oder Rapsongs über Fußball. Musikalische Qualität spielt in dem Genre eine ziemlich untergeordnete Rolle. Oder um es fußballrhetorisch auszudrücken: Mit der Breite in der Spitze ist es nicht so doll. Nicht mal mit der Spitze in der Spitze.

Das war selbst bei der WM 2006 so, wo Sportfreunde Stiller und Herbert Grönemeyer zwar heavy rotierende Lieder sangen. Aber in den Kanon der deutschen Popmusik schafften die es nicht. Trotzdem bildeten sie den Soundtrack des damaligen „Sommermärchens“. So wie 2014 die Vertonung des „Schland-wir-Gefühls“ durch Andreas Bourani auf dem Weg zum WM-Titel. „Ein Hoch auf uns“ war die Krönung der Fanmeilenbeschallung vor allem in Berlin, aber auch in anderen Großstädten.

Seit den nuller Jahren ist Public Viewing ein wichtiger, allerdings vom Turniererfolg der Nationalmannschaften abhängiger Teil der Fußballunterhaltung. Es prägt das Bild vom Fußball als Massenevent, das ganze Großstädte auf die Beine bringt. Ob zur WM oder nach Europacupsiegen.

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Nicht nur in diesen Momenten tritt völlig in den Hintergrund, dass Fußballverrücktheit nicht allein in großen Städten grassiert, sondern auch in Kleinstädten und Dörfern. Unübersehbar die Vereinsfahnen, die an übergroßen Masten neben Einfamilienhäusern flattern. Ungezählt die Grillpartys fürs Rudelgucken.

Fußball auf dem Lande, den gibt’s ­natürlich. Es existiert zwar keine (dem Autor bekannte) Studie, ob mehr Leute in der Stadt fußballbegeisterter sind als auf dem Land. Aber viel spricht dafür, dass die Unterschiede prinzipiell nicht so riesig sind. Man muss nur mal ­sehen, wie viele Fans aus dem Umland ­regelmäßig zu den Spielen in den großen Fußballstädten pilgern. Er­kennbar an den Zaunfahnen, ob bei ­Hertha, Union, HSV, Werder Bremen oder ­Bayern München. Erst beim Singen der Vereinshymne verschmelzen die Herbeigeströmten zur homogenen Masse.

Notfalls alleine singen

Der Stadionchor klingt dann gewaltig und ganz anders, als wenn so eine Hymne bei einem Kleinstverein aus den Lautsprechern käme und vielleicht nur einzelne Zuschauer mitsängen. Das heißt jedoch nicht, dass die Kleinstvereine deshalb auf das verzichten wollen, was bei den Großen üblich ist, weil es eben zentraler Bestandteil der Fußballkultur ist: das Singen eines Vereinsliedes, das Stolz und Identifikation ausdrückt.

Dass auch kleine Vereine ein Bedürfnis nach Hymnen haben, weiß Christian Wiesing. Der 49-jährige Osnabrücker ist Betreiber der Internetseite Vereinshymnen.de. Er komponiert Lieder für Provinzvereine. Begonnen hatte er vor 23 Jahren mit seinem Freund Peter Plogmann, nachdem sie erst eine Hymne für ihren eigenen kleinen TUS Nahne (Nahne ist ein Ortsteil von Osnabrück) geschrieben hatten. Daraus entwickelten sie ein Geschäftsmodell, das gut lief.

Nach einigen Jahren hatten sie eine dreistellige Zahl von Kreis- bis Landesligavereinen mit individuellen Liedern beliefert. Ihre ein paar hundert Euro teuren Musikprodukte berücksichtigen textlich die spezifischen Vereinstraditionen, musikalisch folgten sie eher einheitlichen Standards. Egal, letztlich zählte hier das Ergebnis: Seither besitzen auch ziemlich unbekannte Fußballgemeinschaften wie SV Diestelbruch-Mosebeck, Sportfreunde Eichen-Krombach, SV Hagenow oder Empor Dranske eine eigene Hymne.

Eine Frauenmannschaft hatte übrigens nie eine bestellt. Was schon deshalb schade ist, weil es das schwächelnde Geschäft hätte ankurbeln können. „Es ist deutlich weniger geworden“, sagt Christian Wiesing, der die Produktion inzwischen nur noch allein und so nebenbei betreibt. Die Aufträge würden jetzt mehr aus der Umgebung einkleckern, früher kamen sie aus ganz Deutschland.

Das hat wohl auch mit dem Geschäftsklima zu tun, das nicht mehr so freundlich ist wie in den nuller und ersten zehner Jahren. Damals war die DFB-Männerauswahl stetig Mitfavorit bei Turnieren, der Vereinsfußball boomte. Die Entertainisierung des Fußballs schritt voran, befand sich aber noch vor der Überdrussgrenze. Inzwischen ist die Fußballeuphorie abgeklungen. „Ob bei den Herren oder Damen, alles geht ja momentan bisschen den Bach runter“, sagt Altherrenkicker Wiesing. „Auch die Coronazeit war hart.“

Trotz allem ist der Fußball immer noch und überall von Begleitmusik umgeben. Vom Torjubeljingle in den Stadien über die Tor-des-Monats-Melodie bis zum WM-Song für das Frauenteam, der genauso platt war wie früher die WM-Schlager der DFB-Spieler. Und auf Youtube basteln irgendwelche User Fußballmusikvideos zusammen. So ähnlich war es eigentlich immer. Die Vertonung der Fußballmanie kam sowohl­ spontan von den Fans oder von kommerziellen Trittbrettfahrern, vorzugweise aus dem urbanen Raum.

Die ersten Fußballsongs überhaupt entstanden Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien, kurz nach der „Erfindung“ des modernen Fußballs. Mit der Einführung von klaren Fußballregeln wurde die Basis zur Popularisierung des Spiels gelegt. In den Music Halls sangen die Comedians erste Football Songs, Komponisten schufen erste Loblieder auf den Fußball und bestimmte Spieler.

Auch in Deutschland, aber erst Jahrzehnte später, als die „Fußlümmelei“ akzeptiert war. In den 1920er Jahren traten im Leipziger Krystallpalast, dem größten deutschen Varieté, Künstler auf, die über „Torwart Schwupp vom Fußballklub“ sangen. Die erste, einem hiesigen Fußballklub gewidmete Schallplatte, dem Deutschen Meister 1. FC Nürnberg, erschien 1921. Auch sie war Ausdruck des Massenwahns rund um den Sport – der Provinzler ebenso erfasste.

Als Nürnberg und Hamburg zum Meisterschaftsfinale 1922 in Leipzig antraten, seien einige der 45.000 Fans auch aus dem Vogtland angereist, wie der Reporter des Fachblatts Fußball berichtete: „Dem Anhänger (des Autos) entstieg eine Reichenbacher Kapelleà la Jazz-Band. Drei Mann Blech, zwei Bandonions und eine wohltuende Pauke, die dem ganzen die Mayonnaise verlieh. Aus dem eigentlichen Postauto kletterten begeisterte Mitglieder des V.f.B. Reichenbach auf das Dach. Die Kapelle stellte sich auf den Anhänger und sorgte für Unterhaltung.“

Als sich die Vereine aus den Großstädten zu Großklubs entwickelten und ab den 1970er Jahren (im Westen) immer mehr kommerzialisierten, ging die Schere zwischen Stadt und Land im Fußballwesen unweigerlich auseinander. Erfolgreiche Klubs wie der FC Bayern oder der HSV wandelten sich allmählich zu wirtschaftlichen Unternehmen. Was blieb, war die Fußballliebe auch in der Provinz. Das zeigte sich weniger in Gesängen auf Sportplätzen und in kleinen Stadien, aber an Schallplatten mit Fußballmusik, die vor allem in den 1980ern zu Hauf erschienen. Nicht nur in Dortmund, Gelsenkirchen und Bremen, sondern auch in Gohfeld, Holzwickede oder Diepholz, wo die örtliche SG eine Single von der ortsansässigen Schallplattenfabrik Pallas gespendet bekam.

In der DDR, gab es keine Flut an Fußballplatten, weil der VEB Deutsche Schallplatten schlicht keine Kapazitäten dafür hatte. Schon gar nicht für Provinzvereine. Ein Album des Erfurter Bluesmusiker Jürgen Kerth enthielt 1982 allerdings eine Hommage an alle Kreisligakicker: „Oh, wie würd’ ich euch beneiden“.

Drei Kisten für ein Hallelujah

Im benachbarten Franken lief der Soundtrack des Kreisligafußballs vier Jahrzehnte später richtig auf Hochtouren. Zehn Vereine aus dem Spielkreis Bamberg hatten sich 2020 an einem Hymnen-Contest der fränkischen Vereine beteiligt. Die Siegerprämie war klassisch unterklassig: drei Kästen Bier.

Auch der TSV Altenmarkt in Oberbayern tummelt sich in den Fußballniederungen, verfügt aber über einen weltberühmten Musiker als Sponsor: DJ Hell hat seinen Heimatverein unter anderem mit Trikots ausgestattet, auf dem sein Logo prangt. Solch unterschwelliges Mäzenatentum ist verbreiteter, als man denkt. Auch Rosenstolz sponserten einst das Frauenteam von Tennis Borussia Berlin, während die Metalstars Heaven Shall Burn den ­Regionalligisten FC Carl Zeiss Jena aus thüringischem Lokalpatriotismus vorm Ruin bewahrten.

Mehr vom Autor

Noch mehr zum Fußballsound schreibt Gunnar Leue in seinem Buch „You’ll Never Sing Alone. Wie Musik in den Fußball kam“ (Ventil Verlag, 28 Euro).

Einen bekannten Fan aus dem Musikbiz, die Schlagersängerin Andrea Berg, hat auch die SG Sonnenhof Groß­aspach. Der selbsternannte „Dorfklub“ wurde 1994 als Thekenmannschaft von Bergs Ehemann Uli Ferber, Spieler­berater und später SG-Hauptsponsor, gegründet. 2014 schaffte der Verein aus dem 8.000-Einwohner-Ort den Aufstieg in die Dritte Liga, wodurch er sich für einige Jahre als Verein aus der kleinsten Gemeinde im deutschen Profi­fußball platzierte. Aufsehen erregte er vor allem durch eine ungewöhnliche Stadt-Land-Verbindung mit der Fußballhochburg Dresden.

2014 und 2015 waren tausende Dynamo-Fans zu Punktspielen ins Dorf gekommen, wohl auch wegen Andrea Berg, schließlich sind die Sachsen als Hardcore-Schlagerfans berüchtigt (Stichwort „Kaisermania“). Jedenfalls stimmten sie im Aspacher Stadion auch ein paar Berg-Schlager an, womit sie sich auch für den ungewohnt friedvollen Empfang bedankten. Von den Gastgebern gab es den Willkommensgruß „Aspach freut sich auf die Dynamo-Fans“ und kein offensives Polizeiaufgebot wie sonst.

Beim Rückspiel revanchierten sich die Dynamo-Ultras mit Stadtführung und gemeinsamem Stadion­gesang ohne Blockabgrenzung. Diese Geschichte summen sich die Fans in Großaspach und Dresden heute noch in die Ohren.

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