Homosexuelle NS-Opfer: Endlich nicht mehr schweigen

Die Ausstellung „Homosexuelle Männer im KZ-Komplex Ravensbrück“ holt unterdrückte Geschichten ans Licht. Den Familien waren sie oft peinlich.

Raum mit Tableaus zu den Entwürfen der Holzschnitte zur Biografie des Gefangenen Gustav Herzberg

Holzschnitte zur Biographie des Gefangenen Gustav Herzberg Foto: Julia Gerberich / MGR/SBG

BERLIN taz | Die Ausstellung begann mit einer Idee, und die hatte der in Kreuzberg lebende Architekt Helmuth Hanle schon vor einigen Jahren. Er hörte davon, dass im Konzentrationslager Ravensbrück, knapp eine Stunde nördlich von Berlin gelegen, auch Tausende von Männern interniert waren. Zwecks Zwangsarbeit für Textilunternehmen, auch, um dort Uniformen oder andere Soldatenkleidung zu reparieren. Männer – in Ravensbrück? Ist das nicht wesentlich ein Lager der Frauen gewesen, vielleicht auch, ohne dies genau durch Quellen belegen zu können, lesbischer Frauen?

Hanle recherchierte und fand heraus, dass unter diesen Männern ein erheblicher Anteil von homosexuellen Männern war, wenigstens einige Hundert, vielleicht noch mehr, es bedarf auch hier weiterer Forschung. Worauf es aber ankam bei dieser Idee, war sowieso, das Gedenken an diese schwulen Männer zu begründen. Aber mehr noch, so Hänles Witwer, der in Polen geborene Künstler und Kunstprofessor Piotr Nathan, in einer Ausstellung beispielhafte Schicksale dieser schwulen Männer zu zeigen, ihre Biografien zu ermitteln, sie sagbar zu machen, herauszuholen aus einer Opferanonymität.

Wie bei so vielen Projekten, die sich Initiativen nicht aus den Institutionen, sondern von Einzelpersonen und ihren Freundinnen* verdanken, war es nicht so leicht, überhaupt Aufmerksamkeit zu gewinnen. Am Ende war es die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, die auf dem Gelände ihrer deprimierend, aber angemessen durch Splitterasphalt grau gehaltenen Erinnerungslandschaft der Idee eine Baracke, in der die schindende, oft tödliche Zwangsarbeit an den Klamotten verrichtet wurde, zur Verfügung stellte.

In einer Industriehalle hängen Bilder an großen Holzständern

Raum der Präsentation der studentischen Arbeiten (Holzschnitte) zur Biografie des Gefangenen Gustav Herzberg Foto: Christine Fenzl

Und so stellt es sich dar: Ganz am Ende des Areals der Gedenkstätte liegt dieses Bretterkonstrukt, als ob Besuchende zunächst Mühsal zu verrichten haben, ehe sie diese Ausstellung erreichen. Es beschleicht einem das Gefühl, die unbeliebtesten Häftlinge in der KZ-Hierarchie sollten irgendwie und allenfalls an einem Katertisch zu erkennen gegeben werden.

Künstlerisch umgesetzt

Das Besondere dieses Projekts ist allerdings nicht, dass überhaupt einige wenige meist nicht den Nationalsozialismus überlebende Menschen konkret kennenzulernen sind, sondern dass Piotr Nathan diese Geschichten durch 26 seiner Studierenden (an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel) quasi bearbeiten ließ. Junge Nachgeborene setzten sich also mit den Details der Biografien künstlerisch auseinander.

Die Ausstellung „Homosexuelle Männer im Lagerkomplex Ravensbrück“ wurde verlängert bis 15. Oktober. Öffnungszeiten sind Di–So 10–18 Uhr. Bis zum 31. Oktober kann sie auch noch angeguckt werden, dann allerdings müsste ein Schlüssel beim Pförtner des Geländes (gleich am Eingang bei der Buchhandlung, wo auch ein Büchlein zur Ausstellung erhältlich ist) ausgeliehen werden. Verkehrsverbindung: Bahn Richtung Stralsund und Rostock bis Fürstenberg. Im kommenden Jahr ist die Ausstellung im Museum Cap Arcona, Neustadt, Schleswig-Holstein, zu sehen; 2025 dann in der Gedenkstätte des bei Gdańsk, Polen, liegenden KZ Stutthof.

Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten feiert mit einem Festakt an diesem Donnerstag ihr 30-jähriges Bestehen. Auch ein Überlebender aus dem KZ Ravensbrück und eine Inhaftierte des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen werden in der Staatskanzlei in Potsdam erwartet. ()

Und wie das gelang! Und für die Zuschauenden gelingt: Das Schicksal von Gustav Fritz Herzberg, geboren 1907 in Breitenstein, Harz, bekommt ein Bild, das mehr ist als eine Fotografie, festgenommen von der Kripo Berlin allein wegen des Verdachts, schwul (wie man heute sagen würde) zu sein. Als Mittdreißiger starb er nach Arbeit in einem Steinbruch. Seine Familie sprach nicht über ihn, besser: weshalb er im Nazivolksheim nicht genehm war. Erst seine Großnichte, die unerschrockene Xenia Trost, holte ihn aus der Sphäre des Beschweigens in selbstbewusst anmutende Sprechfähigkeit.

So erhalten diese Opfer des Nationalsozialismus ein wenig von dem zurück, was ihnen unbedingt genommen werden sollte: Würde. Denn das scheint, so sagt es Mitkurator Piotr Nathan, am stärksten nach 1945 das Skandalöse gewesen sein. Die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus waren ihren allenfalls diskret nachfragenden Familien oft peinlich, denn als Schwule waren sie meist ja auch bei ihnen nicht gelitten, nicht nach dem NS-Regime Teil einer trauernden Familienerzählung.

Meist keine Entschädigung

Von einem wird in der Ausstellung berichtet, der für die Familienangehörigen nicht einmal existierte, als schämte man sich seiner. Homosexuelle erhielten in der Bundesrepublik trotz einiger juristischer Mühen Einzelner keine Entschädigung für erlittene NS-Verfolgung, Haft oder KZ-Internierung. Die verfassungsrichterliche Rechtsprechung wies alle Ansinnen zurück, denn die Verfolgung von Homosexuellen sei nicht spezifisch nationalsozialistisch gewesen.

Piotr Nathan hat „Homosexuelle Männer im KZ-Komplex Ravensbrück“ nicht allein kuratiert, ihm waren unter anderem der Historiker Rainer Hoffschildt und die Künstlerin Katharina Jesdinsky stark behilflich. Dass die Schau nicht nur künstlerisch konzipiert werden konnte, ist ein kleines Wunder, weil die Studierenden so beherzt mitwirkten. Ein Wunder auch, dass die Hürden in diesem Erinnerungswerk aus dem Weg geräumt werden konnten: Schwule NS-Opfer – es ist ja nach wie vor so, dass ihnen nicht gerade erinnerungskulturelle Teppiche voller Respekt ausgerollt würden.

Helmuth Hanle, den Ideen­haber, empörte das stark. Sein erfolgreich realisiertes Projekt erlebte er nicht mehr. Am 19. März 2022 ist er, 65-jährig und seit Längerem krank, aus dem Leben gegangen. Piotr Nathan hat diese Ausstellung mit der Liebe und der Wut des Trauernden durchgesetzt.

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