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Marschflugkörper für die UkraineFür Kiew wird die Zeit knapp

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Die Ukraine braucht im Abwehrkampf gegen Russland schnelle Fortschritte. Trotzdem bleiben sorgfältige Debatten über Waffenlieferungen wichtig.

Rückeroberung des Dorfs Andriivka in der Region Donetsk Foto: Alex Babenko/ap

D as Zeitfenster für die Unterstützung der Ukraine wird kleiner. Die Erfolge ihrer Gegenoffensive sind überschaubar, zugleich wird deutlich: Die von US-Präsident Biden geprägte Phrase „as long as it takes“ – ist endlich. Milliarden wurden seit Kriegsbeginn im Februar 2022 bereitgestellt für Waffen, für Versorgung – allen voran haben die USA, Deutschland, die EU investiert. Insbesondere die US-Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr senden bereits Vorboten, wie schwierig es werden wird, dauerhaft politische Mehrheiten für eine Unterstützung der Ukraine sicherzustellen. Der Krieg treibt die Preise, wirkt sich global aus – und damit auch innenpolitisch in den verbündeten Staaten. Steigt der Druck auf die Staatenlenker, wankt die Solidarität mit der Ukraine.

Erschwerend hinzu kommt die Wetterlage, die kriegsentscheidend sein kann. Die Ukraine-Kontaktgruppe, die kürzlich in Ramstein tagte, machte deutlich: Kalt, schlammig und nass wird es in den kommenden Monaten werden. Aus den USA sollen nun offenbar doch die von der Ukraine lang ersehnten Kurzstreckenraketen ATACMS kommen. In der Hoffnung, dass sie entscheidende Geländegewinne bringen.

Prompt beginnt auch hier wieder die Debatte über die Lieferung deutscher Marschflugkörper vom Typ Taurus. Wie zuvor in der Diskussion um die Leopard-2-Panzer geht es seit Monaten hin und her. Die Be­für­wor­te­r:in­nen argumentieren: Ohne genau dieses Gerät wird die Ukraine gegen den Aggressor Russland nicht gewinnen können. Die Geg­ne­r:in­nen geben zu bedenken, dass sich die Reichweite der Marschflugkörper bis auf russisches Territorium erstreckt.

Kampf um langfristige Solidarität

Die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine mag ermüdend und kleinteilig scheinen. Es ist aber wichtig, dass sie an den tatsächlichen Bedarfen ausgerichtet ist. Die ATACMS sind effektiver, da sie mit dem bereits gelieferten Himars-System vom Boden aus abgefeuert werden können. Für den Taurus und ähnliche britische und französische Marschflugkörper bräuchte es erst entsprechende Kampfjets und Ausbildungseinheiten. Für den Kriegswinter schließlich sind auch wetterfeste Kleidung und Heizgeräte für den Schützengraben entscheidend sowie Munition, um vorhandene Waffen anwenden zu können.

Es dauert so lange, wie es dauert, hat Außenministerin Baerbock über die mögliche Lieferung der Taurus-Marschflugkörper gesagt. Vermutlich hat sie recht. Zum Ärger der Ukraine, die nicht nur gegen Russland, sondern auch um die langfristige Solidarität des Westens kämpft. Und die bleibt notwendig: Jede Chance auf bilaterale Verhandlungen ist in weite Ferne gerückt. Dies hat der russische Außenminister Lawrow kürzlich vor der UN-Vollversammlung klargemacht.

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Tanja Tricarico
Ressort ausland
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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7 Kommentare

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  • Sorgfältige Debatten erwarte ich für Waffensysteme, die nächstes Jahr gebraucht werden, nicht über solche, die gestern schon hätten geliefert werden müssen.

  • Die Angaben zu den Marschflugkörpern sind rätselhaft falsch, sowohl die britische (Storm Shadow) als auch französische (Scalp) Variante wird doch längst eingesetzt. Der Schlag gegen das Hauptquartier in Sewastopol gerade erfolgte mit Ersteren. Dafür braucht es keine Ausbildungseinheiten, mir ist auch nicht ganz klar was damit gemeint ist. Entsprechend umfunktionierte Flugzeuge hat die Ukraine selbst, offensichtlich, es ist eher die Frage wieviele noch. Mehr würden natürlich helfen. Für die deutsche Ausführung soll es (sinnigerweise) unbedingt "deutsche" Geodaten benötigen, ich weiss nicht was da dran ist, wer sich sowas ausdenkt und konstruiert oder ob die brit. und franz. Modelle per Telepathie gesteuert werden, aber dann sollen sie die halt mit übermitteln. Bei Atacms handelt es sich wiederum um eine vollkommen andere Waffengattung, das ist richtig beschrieben als Kurzstreckenrakete und gleicht dahingehend überhaupt nichts aus oder würde es erübrigen. Ich weiss auch nicht wie man das aus der Ferne jetzt priorisieren sollte. Das können die Ukrainer oder keiner.

  • Das Atacms sich unmittelbar in Fortschritt an der direkten Front niederschlägt halte ich für kaum wahrscheinlich.

    Diese Waffen dienen dazu Kommando Zentralen und vergleichbare Ziele auszuschalten, wie z.B. jüngst in Sewastopol. Sie bieten somit keine Fähigkeit, die die Ukraine nicht grundsätzlich schon durch StormShadow & Scalp hätten.

    Diese Waffen sind allerdings nicht unbegrenzt vorhanden, somit würde ich die Atacms Lieferung eher als Fähigkeitserhaltende denn als Fähigkeitserzeugende Maßnahme ansehen.

    Selbiges gilt ungefähr für den Taurus.

    Derartige Waffen sind übrigens auch für die Notfall-Pläne der NATO Staaten von großer Bedeutung. Meiner Einschätzung nach liegt die Zurückhaltung im Bezug auf den Taurus, nicht unbedingt darin, dass wir nicht wollen dass die Ukraine ihn hat (was skuril wäre). Sondern daran dass Deutschland die wenigen Taurus die es tatsächlich auf Lager hat, für seine Notfall-Pläne benötigt & nicht die ohnehin allzu fragliche Verteidigungsfähigkeit noch weiter schwächen will.

    Es kann aber auch wenn derartige Waffen keine direkten Frontverlaufsverschiebungen erzeugen, deren Bedeutung auch nicht unterschätzt werden. Gerade da Russland nur über eine begrenzte Anzahl von Radar, Luftabwehrsystemen, & fachlich kompetenten Offizieren verfügt. Sind Verluste wie zuletzt auf der Krim sehr schmerzhaft für den Kreml.

    Gelingt es der Ukraine genug Neuralgische Punkte des Russischen Militär Systems zu neutralisieren, dann besteht für Russland die Gefahr, zwar über überlegen Masse zu verfügen, diese aber nicht mehr lenken und steuern zu können.

    • @Berglandraupe:

      "Gelingt es der Ukraine genug Neuralgische Punkte des Russischen Militär Systems zu neutralisieren, dann besteht für Russland die Gefahr, zwar über überlegen Masse zu verfügen, diese aber nicht mehr lenken und steuern zu können."

      Ach, das "nicht mehr lenken undd steuern können" schaffen Putins Elitetruppen sogar ohne ukrainische "Hilfe":

      www.n-tv.de/mediat...ticle24412685.html

      www.n-tv.de/mediat...ticle24427298.html

      Die Nazis haben sich nach Stalingrad auch noch 2 Jahre lang koordiniert verteidigt, obwohl sie Niederlage um Niederlage kassierten. Die italienischen Faschisten nach "Operation Torch" nicht viel schlechter.

      Dann passierte irgendetwas an sich nicht Außergewöhnliches - die Befreiung von Kleve bzw Palermo - und innerhalb von Tagen brach der koordinierte Widerstand zusammen.

      Faschismen scheinen stark, selbst wenn sie im Sterben liegen. Ihr Ende kommt nicht aus irgendeiner "Entscheidungsschlacht", sondern plötzlich und ohne Vorwarnung.

      Auch in Rumänien (Antonescu) und Ungarn (Szalasi) kam der Kollaps abrupt und ohne militärischen Auslöser.

      Selbst für das den Faschismus antizipierende (Hypermilitarismus, Totaler Krieg, biologistisches Überlegenheitsnarrativ, prokapitalistische Wirtschaftspolitik, modernistisch-technokratische Gesellschaftspolitik) López-Regime in Paraguay gilt dasselbe: "rational" hätte der Krieg Anfang 1869 zu Ende sein müssen, oder spätestens nach Acosta Ñu, aber es ging dann noch monatelang ohne "Entscheidungsschlachten" weiter, bis es zum plötzlichen Zusammenbruch kam.

      Rechtsextreme Führerstaaten sind offenbar sehr gut darin, Kriege über den Punkt hinaus zu führen, wo ihre Ressourcen *eigentlich* erschöpft sind; sie implodieren, wenn ihre Truppen in einer eher *ruhigen* Kriegsphase Zeit zum Reflektieren haben, und nicht mehr wegleugnen können, dass längst "over isch".

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Für den Taurus und ähnliche britische und französische Marschflugkörper bräuchte es erst entsprechende Kampfjets und Ausbildungseinheiten.""



    ==



    Nicht unbedingt - die Höllenmaschine Taurus CL wird von Schiffen oder LKW`s abgefeuert - wobei eine Ausbildung hinsichtlich der Komplexität für den Betrieb, Steuerung und für die Auswahl möglicher sinnvoller Einsatzziele zwingend erscheinen.

    Der Artikel insinuiert eine gewisse Zurückhaltung der ukrainischen Unterstützerländer und versucht im Kampf Davids gegen den haushoch überlegenden grausamen Agressor Goliath Stellung zu beziehen indem es David mit einem Zeitfenster unter Druck zu setzen versucht.

    Da die Ukrainer zu Fuß unterwegs sind um die Surowkin Linie zu überwinden und erst hinterher schweres Kampfgerät nachziehen, hat sich das Argument der schlammigen und nassen Jahreszeit erledigt. Die Ukrainer werden auch weiterhin trotz fortschreitender Jahreszeit Zentimeter für Zentimeter ihres Landes befreien - es sind ja nur noch 80km bis Melitolpol.

    Desweiteren:



    Die russische militärische Agression richtet sich nicht nur gegen die Ukraine. Zum Abzählen der mit Sicherheit konkret militärisch bedrohten europäischen Staaten reichen die Finger an einer Hand nicht aus - sollte der Westen die Unterstützung für die Ukraine herunter fahren.

    Darüber hinaus hat der neue britische Verteidigungsminister Grant Shapps bereits erklärt das Großbritannien in seiner Hilfe für die Ukraine nicht nachlassen werde, auch wenn in den USA ein Paradigmenwechsel stattfinden sollte.

    Ansonsten ist es unglaublich was die Ukrainer momentan erreicht haben.

    www.understandingw...-september-24-2023

    www.zeit.de/politi...-truppenbewegungen

    • @06438 (Profil gelöscht):

      In der Tat. Der Artikel reiht sich in die zeitenwenderesistenten Diskurskontinuitäten und Verzögerungsmotive ein, welche nummerisch etwa im Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft seit 2022 grob quantifizierbar sind. Und wenn der Vorredner meint, dass "wir" ja die Ukraine durchaus alle mit Taurus etc. pp. unterstützen wollten, dann stimmt dieses Wir-Postulat so nicht (Herr Stegner, Herr Mützenich und viele andere Verhandlungsgenies sehen das ja durchaus zähneknirschend anders).

      • @E. H.:

        Dass Schweden und Dänemark der deutschen Seite die Erkenntnisse ihrer eigenen Nordstream-Ermittlungen vorenthalten, hat schon seine Gründe.

        In Deutschland sind die meisten Menschen blauäugig bezüglich der Folgen jahrelanger proputinistischer Personalpolitik durch Figuren wie Maaßen, De Maiziere und Schröder.

        Aber das Ausland macht sich da keine Illusionen: wenn du mit einem deutschen Militär oder Geheimdienstler redest, musst du annehmen, dass es ein heimlicher Vatnik ist.

        Wir hatten halt ein Vierteljahrhundert lang Regierungen, die von irgendeinem Neo-Großmachtdünkel getrieben Putin gegen die USA auszuspielen versuchten.

        Und nu sitzen wir am Katzentisch, und keiner lässt uns mitspielen.

        Ich habe damit gar kein Problem. Im Gegenteil. Wenn Deutschland in NATO und EU weniger zu melden hat, und zB Skandinavien mehr, dann finde ich das als Linker absolut begrüßenswert. Die skandinavischen Staaten sind angenehm ambitionslos, und wenn man schon so was wie die NATO hat, dann doch bitte mit Leuten ohne große "metaphysische" oder sonstwie haushofersche Ziele und mit so kleinem wie exzellentem Militär als Wortführer.

        Der Preis dafür, den man im deutschen Inland zahlen muss, ist eine brachiale Verflachung des "Diskurses". Aber da das im Ausland mit entnervtem Augenrollen oder dem gütigen Lächeln eines Aufsehers gegenüber einem fixiert vor sich hinsabbernden Irren hingenommen wird, ist mir das auch akzeptabel.

        Deutsche zeigen auf Scholz, aber unser Ansehen wurde spätestens unter Merkel ruiniert. Aber weil sich die deutschen Medien so sehr im Phlegma der Introspektive ergangen haben, hat es das Volk kaum mitbekommen, wie insbesondere in den Jahren um 2010 einerseits die deutsche Auslandsberichterstattung dümmer und dümmer, und andererseits die ausländische Deutschlandberichterstattung immer flacher und oberflächlicher wurde: wir waren Deutschland, Papst, Team Schwarz-Rot-Gold und Weltmeister; "mehr brauchen wir nicht".



        Oder halt doch.

        Too little, too late.