Regisseur Ira Sachs über Film „Passages“: „Genauigkeit funktioniert besser“
Ira Sachs erzählt in seinen Filmen von komplexen Liebesbeziehungen, so auch in „Passages“. Der Regisseur über epische Sexszenen und Vorzüge von Henry James.
Von Liebesbeziehungen in all ihrer Komplexität, ob queer oder hetero, erzählt US-Regisseur Ira Sachs immer wieder, ob in „Married Life“, „Keep the Lights On“ oder „Liebe geht seltsame Wege“. Sein neuer Film, „Passages“, der im Frühjahr auf der Berlinale Premiere feierte, handelt von den emotionalen Komplikationen, die entstehen, als ein Regisseur (Franz Rogowski) seinen Mann (Ben Whishaw) mit einer Frau (Adèle Exarchopoulos) betrügt.
taz: Mr Sachs, im Zentrum Ihres neuen Films „Passages“ steht ein Regisseur. Gaben womöglich persönliche Erfahrungen den Ausschlag für diese Geschichte?
wurde 1965 in Memphis geboren. Er studierte in Yale Literatur und Filmtheorie und drehte unter anderem „Keep the Lights On“ (2012), „Love Is Strange“ (2014) und „Little Men“ (2016). Sachs ist verheiratet mit dem Maler Boris Torres, beide leben mit zwei Kindern in New York.
Ira Sachs: Nein, den Anfang nahm dieser Film mit Franz Rogowski. Den sah ich zum ersten Mal in Michael Hanekes „Happy End“ und fand ihn in seiner Rolle dort unglaublich an- und aufregend. Er weckte meine Neugier und faszinierte mich so sehr, dass ich unbedingt mit ihm arbeiten wollte. Also schrieben Mauricio Zacharias und ich das Drehbuch zu „Passages“ dezidiert für ihn. Dass wir uns dabei für eine Dreiecksgeschichte entschieden, hatte vor allem strukturelle Gründe. Aber mich interessierte auch der Gedanke, wie Begierde von einem Moment auf den nächsten umschlagen beziehungsweise sich verschieben kann.
So wie bei dem von Rogowski gespielten Tomas, der eigentlich mit einem Mann verheiratet ist, aber dann eine Affäre mit einer Frau beginnt …
Genau diese Geschichte habe ich persönlich nicht erlebt. Aber ich habe andere Erfahrungen gemacht, die mir vor Augen geführt haben, dass das Begehren und damit auch unsere jeweilige sexuelle Identität nicht zwingend etwas Festgelegtes sind. Zum Beispiel erinnere ich mich noch daran, wie ich einmal Luchino Viscontis „Die Unschuld“ sah und sich mein Interesse irgendwann von Giancarlo Giannini auf Laura Antonelli verlagerte. Mich irritierte das zunächst, schließlich bin ich ein schwuler Mann. Doch das ist eben der springende Punkt: All diese Sachen sind nicht in Stein gemeißelt.
Also ist Tomas in gewisser Weise womöglich doch Ihr Alter Ego?
Sagen wir es mal so: Mir ist nach der Arbeit an „Passages“ klar geworden, dass letztlich alle meine Filme davon handeln, was Männer in irgendeiner Form von Machtposition mit ebendieser Macht machen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Und genau dieser Aspekt der Figur Tomas ist der, wo ich am ehesten anknüpfen kann. Denn auch ich weiß, welchen Schaden ich als weißer Mann anderen Menschen zufügen kann. Zugleich fühle ich aber auch eine große Nähe zu seinem von Ben Whishaw gespielten Partner Martin. Am Ende des Films sagt der: „Ich habe einfach kein Interesse mehr an dir!“ Den Satz finde ich selbst ziemlich gut, wenn ich das so sagen darf, und dieses Gefühl habe ich in einer früheren, psychisch enorm aufreibenden Beziehung selbst schon so empfunden.
Wir sprachen gerade von der Fluidität der Identitäten, die in Ihrem Film mit viel Selbstverständlichkeit verhandelt wird. Dass Tomas sich statt in einen anderen Mann in eine Frau verliebt, ist jedenfalls nicht der eigentliche Konflikt, richtig?
Daraus den springenden Punkt zu machen, hätte ich eher uninteressant gefunden. Nachdem ich Franz auch tatsächlich in der Rolle, die ich mit ihm im Kopf geschrieben hatte, besetzt hatte, stand diese Fluidität automatisch im Raum. Er personifiziert sie geradezu. Warum hätten wir unnötige Worte darüber verlieren sollen, wenn jeder durch seine Präsenz automatisch spürt, dass da ein Mann ist, dessen Leidenschaft nicht nur in eine Richtung fließt?
Ganz zu schweigen davon, dass wir als Publikum ja in eine langjährige Beziehung hineinplatzen, in der beide Partner sich enorm gut kennen und vieles gar nicht mehr ausgesprochen werden muss. Wie machen Sie als Regisseur diese Vertrautheit greifbar?
Da muss man einfach in den Details sehr spezifisch werden. Requisiten, Locations, Kostüme – all das muss Zeugnis geben von der langen Geschichte dieser beiden. Aber natürlich spielt auch die Art und Weise, wie der Film geschrieben ist, da eine Rolle. Im Grunde besteht unser Drehbuch nämlich aus einer Aneinanderreihung von Mittelteilen. All die Beziehungen und Konflikte werden nicht eingeführt, sondern sind längst da, und als Zuschauer*in wird man zwar eingeladen, davon Zeuge zu werden, aber man bleibt auch außen vor, weil man eben nicht von Beginn an mit dabei ist. Das ist etwas, das ich in den Filmen von Maurice Pialat kennengelernt habe.
Dem französischen Regisseur, der in den 70er und 80er Jahren für Filme wie „Wir werden nicht zusammen alt“, „Auf das, was wir lieben“ und „Die Sonne Satans“ verantwortlich zeichnete.
In dessen Werken hat man nie das Gefühl, dass es diese klassische Struktur aus Anfang, Mittelteil und Schluss gibt. Als Zuschauer*in stößt man in dem Moment zur Geschichte, wo man hereingelassen wird. Und mit dem nächsten Schnitt wird man wieder hinausgeworfen.
Die Sorge, dass das Publikum auf die eine oder andere Weise nicht mitkommt, haben Sie nie?
Ob eine fiktionale Geschichte funktioniert, hat für mich vor allem mit ihrer Genauigkeit zu tun. Mit Funktionieren meine ich: Die dargestellten zwischenmenschlichen Beziehungen gehen die Zuschauer*innen oder eben Leser*innen etwas an und wecken Interesse. Und die Genauigkeit bedeutet für mich, dass ich die Welt meiner Figuren mit größtmöglicher Präzision entwerfen muss.
Meine eigenen Erfahrungen, sowohl als Filmemacher als auch als Konsument einer Geschichte, haben mir gezeigt, dass es zu viel Spezifisches nicht gibt – und Gründlichkeit und Details nur umso mehr dazu beitragen, beim Publikum Resonanz zu erzeugen. Die Romane von Henry James sind da für mich das beste Beispiel. Der hat unglaublich spezifisch über die Menschen zu seiner Zeit geschrieben, kein bisschen pauschal, und gerade deswegen bedeuten sie mir auch 150 Jahre nach Entstehung noch wahnsinnig viel.
Ähnliches ließe sich vielleicht auch über Sie sagen. Der schon erwähnte Ben Whishaw zum Beispiel hat mit Bewunderung darüber gesprochen, wie präsent Sie mit Ihrer Identität als queerer Filmemacher in all Ihren Werken sind, unmittelbar und ohne Umschweife. Frustriert es Sie mitunter, wenn andere heutzutage das Queere in ihrer Kunst eher verwässern, um möglichst niemanden vor den Kopf zu stoßen?
Ach, wissen Sie, als Regisseur finde ich meine Inspiration eher bei Kolleg*innen, die vor mir kamen, als bei meinen Zeitgenossen. So war im Fall von „Passages“ Frank Ripplohs „Taxi zum Klo“ ein enorm wichtiger Film. Er zeigte mir, was alles möglich sein kann. Die Geschichte der Bildsprache des Kinos ist nicht unbedingt die eines kontinuierlichen Fortschritts, und wir machen uns heute die gegenwärtigen Zwänge und Rückschritte viel zu wenig bewusst.
Die Globalisierung und das Sprechen über Subkultur und marginalisierte Communitys stehen sich gegenseitig im Weg, und wir könnten an dieser Stelle stundenlang über das Ausbalancieren von Kunst und Ökonomie sprechen. Aber mit dem richtigen Instinkt und Geschick kann ich zum Glück auch heute noch Filme so drehen, wie sie mir entsprechen. Über die anderen zerbreche ich mir da weniger den Kopf.
Zu den Charakteristika, die „Passages“ ausmachen, gehören auch sehr offenherzige, authentische Sexszenen. Auch etwas, wovor viele Filme heute oft zurückschrecken …
Sie sind auch schwer umzusetzen, weil da aus narrativer Sicht oft wenig passiert. Bei mir spielen sie nun auch nur eine so zentrale Rolle, weil es den Schauspieler*innen gelang, echte Handlung in den Sexakt zu integrieren. Was Franz, Ben und Adèle Exarchopoulos aus diesen Szenen machen, ist ungemein eindrücklich und geht weit darüber hinaus, einfach zwei Menschen beim Sex zu sehen. Deswegen sind sie auch so lang geraten.
Der Film ist so dominiert von Anspannung, Atmosphäre und Ungewissheit, dass ich es reizvoll fand, wie diese ausführlichen Sexszenen der Sache noch mal einen eigenen Stempel aufdrücken. Sie sind Unterbrechung und Eskalation der Handlung gleichermaßen und in ihrer Wirkung sowohl sexy wie verstörend. Deswegen fand ich sie hier in jedem Fall wichtig.
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