Femizid-Prozess in Oldenburg: Vor den Augen der Kinder geschossen

In Oldenburg stehen zwei Männer vor Gericht. Sie sollen versucht haben, die Ex-Frau des einen zu töten. Die Frau überlebte nur durch einen Zufall.

Auf einem Schild steht: Femizide stoppen

Jeden dritten Tag kommt es zu tödlicher Gewalt gegen Frauen: Protestschild gegen Femizide in Berlin Foto: Christophe Gateau/dpa

OLDENBURG taz | Als die beiden Angeklagten in Handschellen in den Gerichtssaal des Landgerichts Oldenburg gebracht werden, ist es still. Okan B. und Bilal Y. halten sich Papier vor die Gesichter. Sie grüßen Angehörige, die der Verhandlung im Zu­schaue­r*in­nen­be­reich beiwohnen. Den Männern wird versuchter Mord vorgeworfen. Bei dem Opfer handelt es sich um die Ex-Frau von Y. Vor den Augen der gemeinsamen Kinder wurde ihr ins Gesicht geschossen. Als Motiv nennt die Staatsanwaltschaft Eifersucht.

Seit Januar 2022 lebten der 35-jährige Bilal Y. und seine ehemalige Partnerin in Scheidung. In ihrer Ehe soll der Angeklagte seiner Frau gegenüber gewalttätig gewesen sein, die Nebenklage berichtet von zwei Gewaltschutzverfahren in der Vergangenheit. Im November 2022 soll Bilal Y. den Entschluss gefasst haben, seine Exfrau zu töten. Er habe die Tat nicht selbst umsetzen wollen und wendete sich deshalb an den 42-jährigen Okan B., seinen besten Freund, mit dem er nun die Anklagebank teilt. Bilal Y. habe Okan B. zur Tat überredet, heißt es in der Anklage.

Vor einem Büro in Delmenhorst, vor dem gewöhnlich die Übergabe der drei Kinder an den Angeklagten Bilal Y. stattfand, kam es zu der grausamen Tat. Während der Vater der Kinder im Büro in Anwesenheit einer weiteren Person wartete, womöglich um sich ein Alibi zu verschaffen, soll Okan B. dem Opfer aufgelauert haben. Nachdem die Kinder – 8, 10 und 12 Jahre alt – das Auto verlassen hatten, schoss der Täter der Mutter durch das geschlossene Fenster ins Gesicht. Sie erlitt einen Kieferbruch und überlebte den Angriff nur durch einen glücklichen Zufall.

Protest gegen Femizide

Das Bundeslagebild zu häuslicher Gewalt des Bundeskriminalamtes erfasst für das Jahr 2022 einen Anstieg partnerschaftlicher Gewalt um über neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 133 Frauen wurden Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang: Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland also eine Frau infolge von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Tötungsdelikte an Frauen, weil sie Frauen sind, werden als Femizide bezeichnet, obgleich weder Bundeskriminalamt noch das Landgericht Oldenburg diesen Begriff verwenden.

Zivilgesellschaftliche Organisationen weisen umso deutlicher auf die Existenz von Femiziden hin. Erst diesen Monat gab es eine Protestaktion des Anti-Femizid-Netzwerks Hamburg, das zusammen mit der Linksfraktion Frauenmorde in Hamburg zählt und die Zahlen veröffentlicht. Nach jedem Femizid hält das Netzwerk eine Mahnwache. Der jüngste Frauenmord ereignete sich laut Netzwerk in diesem Juli in Hamburg-Hamm. Eine 82-Jährige wurde von ihrem Ehemann getötet.

In Niedersachsen war es die AG Prozessbegleitung, die im Fall Besma A., die im April 2020 von ihrem Ehemann im Schlaf erschossen wurde, zwei Jahre lang während des Prozesses Mahnwachen organisierte und sich mit den Betroffenen solidarisierte. Das Verfahren demonstrierte, wie der Justizapparat noch immer patriarchale Machtdynamiken ignoriert.

Im Fall von Besma A. wurden von der Verteidigung Privataufnahmen und Familienfotos von Veranstaltungen eingebracht, die zeigen sollten, dass Besma A. ein selbstbestimmtes und keinesfalls entrechtetes Leben führte. Demgegenüber stehen Nachrichten an Familien und Freunde, in denen sie eindeutig berichtete, wie ihr Partner Gewalt an ihr ausübte. Nach insgesamt 54 Prozesstagen verurteilte das Landgericht Göttingen den Ehemann im März wegen vorsätzlicher Tötung zu 13 Jahren Haft.

Akte häuslicher Gewalt

„Wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind, dann passiert das meist nicht aus heiterem Himmel, sondern als Folge vorangegangener Gewalt und Enthemmung“, schrieb die feministische Autorin Margarete Stokowksi 2021 für den Spiegel als Reaktion auf den Prozess um das Attentat in Würzburg, bei dem ein Mann drei Frauen und weitere Personen verletzte.

Im Fall um Bilal Y. und den versuchten Mord an seiner Exfrau scheint es nicht anders zu sein. Armin Holthus, der Gesetzesvertreter der Geschädigten, berichtet von sowohl häuslichen als auch öffentlichen Akten der Gewalt an seiner Mandantin während der Ehe, von denen die gemeinsamen Kinder stets Zeu­g*in­nen sein mussten. So auch jetzt: Der 12-jährige Sohn des Angeklagten wird im Laufe des Prozesses eine Aussage machen müssen, um den mutmaßlichen Täter, der zur Tatzeit eine Sturmmaske trug, zu identifizieren.

Dieser Umstand und das vermeintliche Alibi des Angeklagten Bilal Y. sorgen für Ungewissheit in Bezug auf den weiteren Prozessverlauf. Sowohl die Verteidigung als auch die Nebenklage äußerten vorsichtige Zuversicht. Angesetzt sind zunächst 10 weitere Verhandlungstage.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.