Verteidigungsminister Ben Wallace: Abgang eines großen Politikers
Ben Wallace hat den Krieg kommen sehen und er war Wegbereiter für die Ukraine-Solidarität. Mit ihm verliert Großbritannien ein Stück an Strahlkraft.
B en Wallace ist ein Phänomen. Persönlich unscheinbar, hat der britische Konservative immer wieder politisch geglänzt. Welcher andere europäische Verteidigungsminister hätte sich Anfang 2022 getraut, in einem Artikel zur Ukrainekrise die Frage aufzuwerfen, was es „für uns alle in Europa“ bedeute, „wenn in einer kalten Januar- oder Februarnacht wieder russische Streitkräfte in die souveräne Ukraine einrücken“?
Das war am 17. Januar 2022, über ein Monat vor Russlands Überfall, am Tag als Großbritannien Kyjiw Panzerabwehrwaffen zusagte, während Deutschland noch auf Putins Freundlichkeit hoffte und seine Außenministerin nach Moskau schickte. Ben Wallaces analytischer Weitblick, gekoppelt mit dem politischen Instinkt Boris Johnsons, machte damals Großbritannien zum Wegbereiter der internationalen Ukrainesolidarität.
Nach Johnson geht nun auch Wallace, und bei den nächsten Wahlen wird er aus der Politik aussteigen. Man kann es dem längstgedienten britischen Verteidigungsminister seit Winston Churchill nicht verdenken, denn den Zenit seiner Karriere hat er überschritten. Wallace hätte vor einem Jahr Premierminister werden können, wenn er nach Johnsons Rücktritt nicht gezögert hätte. Damals strebte der beliebte und geachtete Minister nach Höherem. Und dann ging alles schief.
Die erhoffte Nachfolge von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär blieb ihm verwehrt. Der neue Premier, Rishi Sunak, gönnte ihm keine weitere Aufstockung der Verteidigungsausgaben. Und bei den nächsten Wahlen 2024 fiel sein Wahlkreis der regelmäßigen demografischen Anpassung der Wahlkreisgrenzen zum Opfer.
Das alles, kombiniert mit der Aussicht auf eine Wahlschlappe der Tories im nächsten Jahr, macht den Rücktritt einsichtig. Und eine Abkehr von der entschlossenen Unterstützung der Ukraine bedeutet der Wechsel im britischen Verteidigungsministerium nicht. Dennoch büßt Großbritannien mit dem Rücktritt von Wallace wieder ein Stück von der Strahlkraft ein, die es zumindest zu Beginn des Ukrainekrieges temporär zur europäischen Führungsnation werden ließ.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!