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Alltagsgegenstände mal andersEin Behälter für Vanille und Gedöns

Eis aus der Literpackung ist großartig. Und die leeren Schalen sind nicht so sinnlos, wie sie scheinen. Man muss nur kreativ sein.

Kurzer Weg zur privaten Ein-Sorten-Eisdiele Foto: Marius Becker/dpa/picture alliance

Auf dem Heimweg von der Schule nach Hause war ich als Kind eher verträumt unterwegs. Zwar brauchte ich nur wenige Straßen zu überqueren, doch lieber balancierte ich auf dem Randstein neben der grünen Wiese, statt mich zu beeilen.

Erst wenn mein Magen zu knurren begann, beschleunigte ich meinen Gang. Zu Hause gab es dann Karottenreis mit Hähnchen oder Spaghetti Bolognese, und an Sommertagen wartete noch etwas im Gefrierfach auf mich: Eis. 900, 1.000 oder sogar 2.500 Milliliter Vanille, Stracciatella oder Walnuss, in großen Plastikschalen aus dem Supermarkt. Zwei bis drei große Löffel davon in ein Gläschen und fertig war der Nachtisch. Manchmal kippte mir mein Vater auch ein wenig Karottensaft hinein, für den guten Geschmack.

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Diese großen Eispackungen waren fester Bestandteil meiner Sommerferien, von denen ich die meisten Wochen zu Hause in Berlin verbrachte. Zurück vom Schwimmen im Schlachtensee, vom Basketballspielen oder vom Abhängen mit Freunden, das Eis lag im Gefrierfach. Es war ein kurzer Weg zu meiner ganz privaten Ein-Sorten-Eisdiele.

Und dann begann es wieder früher zu dämmern, die Pullover wurden hervorgekramt und das letzte Eis des Jahres wurde verzehrt.

Was blieb, waren die Ver­packungen. Ausgewaschen und im Regal verstaut. Nun boten sie Platz für Münzen und Malsachen, auch als Brotbox auf Wandertagen waren sie oft mit dabei. In einem Design, das immer mal wieder verändert wurde, aber so ­ikonisch blieb wie Fußballtrikots.

Und wie Trikots kann man die Eisschalen auch sammeln. Die neue Mövenpick Mango zum Beispiel, aus angeblich hundertprozentig recycle­barem Plastik, eine Mucci Selection Premium Walnuss von Aldi oder die zeitlose ­Gelatelli Bourbon Vanille von Lidl. Mittlerweile lebe ich zwar nicht mehr im Haushalt meiner Kindheit, treffe die Eisschale im Alltag aber trotzdem oft wieder. In einem vietnamesischen Restaurant in Berlin-Schöneberg steht eine als Zahlteller für die Selbstabholer und eine weitere als Spülwasserbehälter in der Küche. Auch hinter den Kulissen der Volksbühne München bekommt sie eine neue Bestimmung. In der Kostümbildabteilung nutzen die Mitarbeitenden sie als Behälter für Nähzeug. Ist die ­Eisverpackung aus Plastik etwa die neue dänische Keksdose?

Bereits Produziertes anders zu nutzen, um gegenwärtige (Ordnungs-)Probleme zu lösen, statt etwas gänzlich Neues zu erfinden: Der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss wäre glücklich über die Eisverpackung. Er war ein großer Befürworter der Spielerei, der Bastelei, des sogenannten „Bricolage“.

Der Bricoleur agiert innerhalb einer begrenzten Verfügbarkeit von Materialien und Werkzeugen, er befürwortet Improvisation, Kombination und Neuinterpretation. Alte Eisschalen auszuspülen und weiterzunutzen, statt Brotboxen aus „gerettetem“ Meeresplastik zu kaufen, ist genau das. Die Wert­schätzung von Rohstoffen, eine kreative Art des Denkens. Und konservierte Erinnerung.

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2 Kommentare

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  • Mehr lastik, dait wir nette achen basteln können. War schon 1970 so, als Volvic "tolle Tips" zum "Bau" einer Blumenvase aus leeren Flaschen auf das Etikett druckte... Marokko half es leider nicht, beim Kampf gegen Müllberge.... Mann- wir haben 2023.... sind DAS die Ideen der "Jugend" , die immer "überhört" wird???

  • Naja klar, ist aber auch bißchen hilflose fancyhippe Weltrettungsversuchswellness