Multitaskingsfähigkeit von Frauen: Hartnäckiger Mythos

Das Klischee besagt, dass Frauen mehrere Dinge gleichzeitig erledigen können, Männer aber nicht. Wissenschaftlich haltbar ist die These nicht.

Frau mit Labtop und Arbeitspapieren hält ein Kind im Arm auf ihrem Schoß

Multitasking ist eine Überforderung Foto: Maskot/Deepol/plainpicture

Zwanzig bis vierzig Versuchspersonen sitzen vor einem Bildschirm, darauf abgebildet ist ein Kreis. Ähnlich wie bei einem Sehtest sollen die Pro­ban­d:in­nen den Kreis links, rechts oder mittig lokalisieren. Gleichzeitig hören sie über Kopfhörer verschiedene Töne, die sie als tief oder hoch einstufen sollen. Die Studie, durchgeführt vom Psychologen Tilo Strobach, dauert etwa eine Stunde. Das hat vor allem praktische Gründe: Müssen Pro­ban­d:in­nen länger an den Aufgaben sitzen, lässt ihre Konzentration nach.

In seinen experimentellen Studien untersucht Strobach die Reaktionszeit der Versuchspersonen. Diese bemisst sich im Millisekundenbereich. Die Pro­ban­d:in­nen benötigen deutlich länger, die Aufgaben zu lösen, wenn sie mehr als eine Aufgabe gleichzeitig bearbeiten. Strobach misst die Reaktionszeit, weil es sich beim Multitasking im wissenschaftlichen Sinne gar nicht um das gleichzeitige Ausführen mehrerer Tätigkeiten handelt, sondern um das schnelle Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Aufgaben. Während des Wechsels wird die Aufmerksamkeit von einer Aufgabe auf die nächste umgelenkt, das dauert eine gewisse Zeit. In der Fachsprache spricht man vom Switching.

Dieses Wissen ist außerhalb der Naturwissenschaften aber nicht verbreitet. „Dass das menschliche Gehirn grundsätzlich nicht fähig ist, sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, weiß man schon lange“, erklärt die Psychologin Anja Baethge, die wie Strobach an der Medical School Hamburg forscht. Im Alltag verstünden wir unter Multitasking jedoch genau das: verschiedene Aufgaben, die parallel erledigt werden. „Stellen Sie sich einen Koch vor, der Brot in den Backofen schiebt und gleichzeitig eine Tomatensauce zubereitet. Es sind zwei Aufgaben, aber der Koch selbst konzentriert sich immer nur auf eine einzelne Sache“, erklärt Baethge. Da der Wechsel blitzschnell erfolgt, käme es uns vor, als würde beides parallel ablaufen.

Dass sich das Klischee der multitaskingfähigen Frauen trotzdem hartnäckig hält, begründet die Wissenschaftlerin mit den Aufgaben, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts aufgedrückt werden. Es handelt sich dabei meist um Haushaltstätigkeiten wie ein weinendes Kind beruhigen, den Topf umrühren und dabei gleichzeitig ein Hemd bügeln.

Zwei Dinge gleichzeitig tun?

„In Wahrheit können Frauen auch nicht zwei Dinge gleichzeitig machen. Wenn uns das so erscheint, liegt es vermutlich daran, dass sie in der vermeintlichen Multitaskingsituation Tätigkeiten ausüben, in denen sie geübt sind und die sie fast automatisiert erledigen können“, sagt Baethge. Motorische ­Fähigkeiten wie Fahrrad fahren oder Spazieren gehen und gleichzeitig Radio hören fallen beim Switching aus dem Schema, da es sich um automatisierte Bewegungen handelt, die keine zusätzliche Konzentration benötigen.

Die Entwicklungspsychologin Mareike Altgassen erklärt, dass sich das Switching im Präfrontalen Cortex (PFC) abspielt, also dem Hirn­areal, das direkt hinter der Stirn liegt. Der PFC ist das Organisationszentrum: Hier planen wir unsere nächsten Schritte, entscheiden uns zwischen verschiedenen Optionen oder lösen Probleme. Der PFC ist vor allem dann wichtig, wenn wir neue oder unerwartete Erfahrungen machen. „Wenn wir vor einer Baustelle stehen, müssen wir schnell überlegen, ob es sinnvoll ist, zu warten oder herumzufahren. Dafür brauchen wir unsere kognitiven Kontrollprozesse“, sagt Altgassen.

Das Switching fällt in den Aufgabenbereich des PFC. Studien erkennen keine Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht bezüglich der Switching-Fähigkeiten. Bei anderen Personengruppen beobachtet Altgassen aber durchaus Defizite: „Bei Menschen mit ADHS und Autismus, aber auch bei Kindern und Jugendlichen sowie älteren Erwachsenen sind die exekutiven Funktionen eingeschränkt“, sagt die Psychologin. Zu den exekutiven Funktionen zählen viele der Prozesse, die sich im PFC abspielen, wie auch das Switching.

Diese Funktionen benötigen sehr lange, um sich vollständig zu entwickeln. Sie sind mit etwa 21 Jahren ausgereift, so die Psychologin. Sie bauen jedoch bereits mit etwa 25 bis 30 Jahren wieder ab, weshalb das Switching Kindern und alten Menschen schwer fällt. Das führt aber nicht etwa dazu, dass zwischen dem 21. und 25. Lebensjahr bessere Entscheidungen getroffen werden. Wichtige Lebensentscheidungen hängen nicht von der Schnelligkeit der Entscheidungsprozesse ab, so Altgassen.

Ähnlich wie Kinder im Laufe des Lebens lernen, effektiver von einer Aufgabe zur anderen zu wechseln, können Erwachsene diesen Prozess trainieren. Tilo Strobach nutzt seine wissenschaftlichen Experimente dafür, um die Leistungsfähigkeit von Menschen beim Lösen von Doppelaufgaben zu fördern.

Für das Experiment untersucht Tilo Strobach 20 Tage lang, inwieweit sich Pro­ban­d:in­nen bei den Übungen verbessern und ob ältere Versuchspersonen auf das Niveau von Jüngeren kommen können. Er stellt dabei fest: Es ist durchaus möglich, durch ein Training die eigenen Switching-Fähigkeiten zu verbessern.

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