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Debatte um Spätis und LärmbelästigungIn erster Linie eine Klassenfrage

Tobias Bachmann
Kommentar von Tobias Bachmann

Im Bezirk Pankow gibt es Aufregung um Spätis, deren Gäste zu laut sind. Ein Außenbestuhlungsverbot für Spätverkäufe aber kann nicht die Lösung sein.

Und ewig lockt der Späti … Foto: dpa/Lukas Schulze

G ibt es so etwas wie eine Berliner Leitkultur, dann gehören Spätis ganz sicher dazu. Da verwundert es nicht, dass aus nahezu allen politischen Lagern Leute laut schreien, wenn es den Spätverkäufen – wie jetzt im beschaulichen Bezirk Pankow, zu dem der noch beschaulichere Ortsteil Prenzlauer Berg gehört – an den Kragen geht. Manche haben Angst um ihre Nachbarschaftstreffs. Andere um billige Orte zum bis spät in die Nacht abhängen, Musik hören, Bier saufen, quatschen und lachen. Wer kann’s ihnen verdenken.

Auf der anderen Seite stehen dann die, die schnell als „Spaßbremsen“ gecancelt werden, wenn sie freundlich oder weniger freundlich um Ruhe bitten. Die als Spießbürger gelten, wenn sie sich sauberere Kieze wünschen und sich echauffieren über ein bisschen Urin im Vorgarten. „Zieh doch weg, wenn’s dich stört!“ wird ihnen dann entgegnet – oder: „So ist Berlin halt!“

Und irgendwie stimmt auch das. Berlin, besonders in seinen inneren Bezirken, ist lebendig, pulsierend und noch so vieles schöne mehr; aber eben auch laut, dreckig, konfliktreich und kompromissbedürftig. Viele Menschen prallen hier aufeinander, mit unterschiedlichen Interessen, Geschichten und Möglichkeiten.

Dass das so ist, ist aber eigentlich kein gutes Argument dafür, dass sich in Berlin nichts ändern darf. Sicher sollten die, die Ruhe wollen, sie auch bekommen können. Und natürlich sollten Hauseingänge frei von Bierflaschen, Kippenschachteln, anderem Müll und Urin sein.

Gesellschaftliche Schieflagen

Wenn sich – wie jetzt im Fall der Pankower Spätis – An­woh­ne­r*in­nen über Lautstärke und Feierrückstände empören und politisch Verantwortliche mit Verboten für die Be­trei­be­r*in­nen reagieren, drohen sich jedoch bestehende gesellschaftliche Schieflagen zu verschärfen. Denn die Frage nach der Außenbestuhlung von Spätverkäufen ist in erster Linie eine Klassenfrage. Und sie betrifft ganz besonders Menschen mit Migrationsgeschichte.

Eine Spätimiete kostet schnell ein paar tausend Euro im Monat. Ein Abend, an dem Tische und Bänke schon um 22 Uhr reingeräumt werden müssen, kann den Verlust mehrerer hundert Euro bedeuten. Im Monat also auch ein paar tausend. Das ist die halbe Miete, könnte man sagen. Für manche vielleicht sogar die ganze, abhängig von Wetter, Personalkosten etc.

Viele Spä­ti­be­trei­be­r*in­nen lassen ihre Bänke und Tische also nicht draußen stehen, weil ihnen die Nach­ba­r*in­nen egal sind. Und auch nicht, weil ihnen das Aufräumen vor ihren Läden bis nachts um 3 oder 4 Uhr besonders viel Spaß macht. Sie sind schlicht und ergreifend auf die Umsätze angewiesen. Tische und Bänke frühzeitig einräumen oder gar nicht aufbauen – das müssen sie sich leisten können.

In der Konsequenz bedeutet das: Wer für ein ruhigeres Berlin ein Außenbestuhlungsverbot für Spätis fordert oder politisch durchzusetzen versucht, macht das vor allem auf dem Rücken derjenigen, die in Berlin ohnehin schon strukturell benachteiligt sind: Menschen mit Migrationsgeschichte, die seltener Zugang zu gutbezahlten Jobs haben und besonders stark unter Verdrängungsmechanismen der Stadt, wie explodierenden Mieten, leiden.

Für eine gerechtere, postmigrantische Stadtgesellschaft von morgen kann ein Außenbestuhlungsverbot für Spätverkäufe also keine Lösung sein. Politische Lösungen für verständliche Konflikte um Sauberkeit, Lautstärke, Freizeit- und Einkommensmöglichkeiten müssen, so viel wird hier klar, die engen Verflechtungen von Klassenverhältnissen und strukturellem Rassismus mitdenken. Sonst lösen sie die Probleme der Einen zulasten der Anderen.

Ein Schuh wird anders daraus. Im Zusammendenken der Probleme können sich solidarische Lösungen ergeben. Sinkende Gewerbemieten scheinen ein sozial gerechter Schlüssel für kürzere Späti-Öffnungszeiten zu sein. Wer sich ruhigere Kieze wünscht, sollte sich in Zukunft also noch konsequenter für die Enteignung großer Immobilienkonzerne starkmachen.

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Tobias Bachmann
Jahrgang 1989. Schreibt seit 2022 für die taz über soziale Bewegungen und gesellschaftlichen Wandel, Protest, Migration und Flucht. Studiert einen Mix aus Ökologie, Ressourcenökonomie, Politikwissenschaften und kritischer Theorie in Berlin.
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6 Kommentare

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  • Etwas seltsame Argumentation. Die Bestuhlung draußen muss genehmigt werden und kostet Geld. Verzehr von Alkohol erfordert eine Schanklizenz, die Geld kostet, deshalb meist der Aushang "Verzehr von Alkohol vorm Laden verboten". Was niemand beachtet. Die Lage ist also eh prekär und das Ordnungsamt hätte meist gleich mehrere Gründe , abzukassieren. Die ganze Späti-Kultur basiert auf Wegschauen der Behörden. Und das kann sich einfach mal ändern, wie man derzeit in einigen Bezirken bei den Sonntagsöffnungen sieht....so richtig Klassenkampf ist das aber nicht. Auch für Kneipen besteht die Gefahr von Stress und Strafen, wenn nach 22 Uhr noch Lärm herrscht.



    Und: Ich weiß nicht, wie es in Pankow ist, aber bei uns in Neukölln sind die nächtlichen Lärmverursacher vor Spätis, genau wie vor Bars etc., eher Touristen und Partyvolk, nicht die Anwohner mit wenig Geld ..die hängen da tagsüber rum. Deshalb scheint mir das Argument fragwürdig.



    Grundsätzlich ist Leben im Vorderhaus in Berlin aus vielen Gründen eine Belastung. Darüber muss man sich klar sein. Heißt aber auch nicht, dass man wirklich alles ertragen muss. Über grobe Rücksichtslosigkeit kann man sich auch mal beschweren.

  • "Im Zusammendenken der Probleme können sich solidarische Lösungen ergeben."

    Solidarität fängt beim persönlichen an. Das kann nur bedeuten unter dem eigenen Schlafzimmerfenster Platz für eine Späti-Verkaufsstelle einzurichten. Natürlich für lau! 🤪

    Wird das verweigert sllte die Wohnung enteignet werden!🧐

  • "Wer sich ruhigere Kieze wünscht, sollte sich in Zukunft also noch konsequenter für die Enteignung großer Immobilienkonzerne starkmachen."



    Also mein Schluss wäre gewesen: Die Menschen müssen rücksichtsvoller miteinander umgehen, um ruhigere Kieze zu erreichen. Und als Bar-Ersatz genutzte Spätis benötigen eine Toilette.

    • @StefanG:

      Sehe ich ähnliche, und dort wo die Immobilienkonzerne sind, sind keine Spätis und wenn bei jedem Kram von Enteignung die Rede ist, dann baut niemand mehr, wer will schon enteignet werden?

  • Steile These und wirklich bemüht konstruiert, um dem ewigen Klassenkampf jeden Tag mindestens eine Schlagzeile liefern zu können.



    Der Sache und den Beteiligten wurde weniger Klassenkampf sicher gut tun, indem man vernünftige Regeln konsentiert und die dann auch einhält. Eigentlich einfach, scheint in Berlin aber nicht dem Lifestyle der Zivilgesellschaft zu entsprechen.

  • Und was ist jetzt die Lösung dafür, dass auch mal Ruhe ist? Natürlich ist eine Innenstadt lauter und muss auch akzeptiert werden. Gleichzeitig muss auch ab einer bestimmten Zeit Schluss sein.

    Da es ja nicht überall Laut ist und im Grunde nur direkte Nachbarn die A-Karte gezogen haben, kann nicht die Antwort sein (am besten von Menschen die nicht betroffen sind): Dit is halt so…