Gentrifizierung in Berlin: Späti-Gemeinschaft sucht Zuhause

Dem Späti in der Raumerstraße 6 wurde vor einem Jahr gekündigt. Nun organisieren An­woh­ne­r*in­nen ein Kiezfest, um daran zu erinnern.

Eine Hausfassade ist mit Grafitti und Farbbomben bedeckt.

Hier war mal der Späti in der Raumerstraße 6 zu finden, das Geschäft steht seit einem Jahr leer Foto: Erik Irmer

BERLIN taz | Sarah und Rike sitzen auf einer Bank am Helmholtz­platz, sie nennen sie Beobachterbank: Die Ecke Lychener-/Raumerstraße hat man von hier aus perfekt im Blick, den ehemaligen Späti an der Raumerstraße 6 auch. Sarah und Rike – ihre Nachnamen wollen sie nicht in der Zeitung lesen – sind zwei von rund 60 Leuten, die sich damals, vor über einem Jahr, zusammenschlossen, um für den Erhalt dieses Spätis zu kämpfen. Ohne Erfolg.

Nun steht die Ladenfläche seit über einem Jahr leer. Farbbomben und Streetart zieren die rote Fassade im Erdgeschoss des sanierten Altbaus in Prenzlauer Berg, die Fenster sind milchig angestrichen und mit Stickern übersät.

Straßenfest Am 14. August beginnt um 14 Uhr das Straßenfest „Kiezkultur erhalten 2.0“ Es erstreckt sich bis 20 Uhr auf der Raumerstraße, an der der ehemalige Späti lag, von der Ecke Lychener Straße bis zur Ecke Dunckerstraße. Initiativen wie Jugend braucht Raum oder Deutsche Wohnen & Co enteignen werden Redebeiträge halten, Bands steuern Musik bei. (cpm)

Die Gruppe, die sich um den Späti herum gründete, gibt es immer noch. Diesen Samstag erinnert sie mit einem Straßenfest und Kundgebung auf der Raumerstraße an ihren Späti. Genau ein Jahr nach dem ersten Straßenfest der Gruppe. „Kiezkultur erhalten!“ ist der Claim. Es wendet sich gegen Gentrifizierung und Verdrängung.

Ein Blick zurück: Am 20. August 2020 war der Späti Raumer6 nach der Kündigung wegen eines Formfehlers im Mietvertrag ausgezogen – vier Jahre, nach dem Spätibetreiber Özgür Şimşek ihn unterschrieben hatte. Die Enkelin der Hauseigentümerin war innerhalb des Hauses umgezogen, ihre neue Wohnung lag nun im vierten Stock über dem Späti, erzählt Şimşek. Sie solle sich vor allem am Lärm gestört haben, genau weiß er das nicht, weil sie nicht mit ihm reden wollte.

Wehmütige Erinnerungen an den Laden

Die An­woh­ne­r*in­nen aus der Gegend rund um den Helm­holtz­platz nahmen das nicht einfach so hin. Sie organisierten sich unter dem Claim „Raumer6 bleibt“, suchten nach Alternativen und Möglichkeiten, den Späti doch noch zu erhalten. Es hat nicht geklappt, auch das Vermittlungsangebot eines Lokalpolitikers schlugen Eigentümerin und Enkelin aus, sagen Rike und Sarah.

Wehmütig erzählen sie von ihrem Späti, der für sie sehr viel mehr war als nur ein Geschäft, in dem sie Tabak, Bier oder Süßigkeiten kauften. Sarah lebt im Prenzlauer Berg, seitdem sie sechs Jahre alt ist: „Ich hab meine erste Bravo in dem Späti gekauft. Irgendwann mein erstes Bier und meinen ersten Tabak.“ Je­de*r sei in diesem Späti willkommen gewesen, niemand hätte dort länger alleine gesessen. Das klingt weniger nach einem Späti, sondern mehr nach einer sozialen Begegnungsstätte.

Verantwortlich für diese Atmosphäre war Özgür Şimşek. Fünf Jahre lang hatte er den Späti betrieben, davor war es sein Cousin gewesen. Şimşek klingt vor allem enttäuscht: „Was mir passiert ist, soll niemand anderem passieren. Ich hoffe, dass der Kiez da zusammenhält.“ Auch für ihn waren seine Kun­d*in­nen wie eine Familie, sagt er.

Vom Spätverkauf Da kauft man ein, wenn man beim Einkaufen etwas vergessen hat. Und zwar bis spät in die Nacht, die in Berlin gern etwas länger sein darf. Ein Erfolgsmodell. Und eine sozialistische Errungenschaft: Schließlich entstand der Spätverkauf in den 1950er Jahren in der DDR, seit der Wende hat sich das liebevoll verknappte „Späti“ als Begriff etabliert, den man seit einigen Jahren sogar im Duden nachschlagen kann. Selbst in süddeutschen Städten wie München und Stuttgart soll der Begriff „Späti“ mittlerweile verwendet werden.

Zur Kiezkultur Trotz dieser Erfolge auch anderswo bleibt der Späti vor allem ein besonderer Bestandteil der Berliner Kiezkultur. Und ist damit Grund genug, sich in unserer Sommerserie einmal genauer in diesen Läden umzuschauen. Alle Folgen: taz.de/berlin/spätis-in-berlin. (taz)

Nach der Schließung des Spätis war Şimşek zehn Tage im Krankenhaus wegen einer Bauchspeicheldrüsenentzündung – „durch den Stress“. Heute ist er Hartz-IV-Empfänger. Obwohl Şimşek nicht am Helmholtzplatz wohnt, ist er immer noch mehrmals in der Woche in der Gegend und trifft seine Späti-Familie.

Geburtstagsfeier im Späti

Sajid gehört dazu, er zeigt ein Foto von Şimşeks Geburtstag: Im Verkaufsraum ist ein Büfett aufgebaut, der Geburtstagskuchen hat die Form einer Sonne, mit dem Gesicht von Şimşek als Sonnengesicht. Weil er alle immer „Sonne“ genannt habe, erzählt Sajid.

Er selbst war jeden Tag im Späti, „die Leute dachten, ich hätte da gearbeitet, jetzt drehe ich auf dem Platz meine Runden“. Sajid guckt, ob jemand da ist, den oder die er kennt, so kommt er spontan zum Interview dazu, und das, obwohl er in Pankow wohnt. Aber der Helmholtzplatz bietet nicht den gleichen sozialen Raum wie der Späti.

Gerade wegen der in ganz Berlin stattfindenden Aufwertungs- und Gentrifizierungsprozesse habe der Späti eine besondere Stellung im Kiez gehabt: Kostet ein Latte Macchiato im neu eröffneten Café schräg gegenüber 3,80 Euro, gab es im Kiosk auch eine Mate für 1,20 Euro. Man hört durch, dass das „Raumer6 bleibt“ zufolge zum Teil an einem Publikum liegt, das bereit ist, solche Preise zu zahlen.

Aber auch an den hohen Mieten, erklärt Sarah: „Wir hatten noch fünf Monate lang Hoffnung, dass wir was finden. Etwas, das dem Betreiber vom Späti die Lebensgrundlage sichert und für uns trotzdem einen Ort bewahrt, wo man miteinander in Austausch treten kann.“ Sie fanden nichts. Dass das Ladenlokal vom Späti immer noch leer steht, macht das nur bitterer.

Die Geschichte von „Raumer6 bleibt“ ist symptomatisch für den Prenzlauer Berg und ganz Berlin. „Jeder Kiez hat einen ganz bestimmten Vibe, und der wird nach und nach kaputt gemacht“, sagt Sarah. Deswegen wird es beim Straßenfest nicht nur um den Helmholtz-Kiez gehen. Auch Ver­tre­te­r*in­nen anderer Kiez-Initiativen sollen zu Wort kommen. Sarah gibt sich kämpferisch: „Es geht darum, das zu verteidigen, was noch da ist. Sonst wird’s irgendwann einfach pupslangweilig auf der Straße sein.“

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