Tarek Al-Wazir im Hessen-Wahlkampf: Kaum Chancen für grüne Turnschuhe

Der Grüne Tarek Al-Wazir will Hessens Ministerpräsident werden. Er kämpft mit prominenter Konkurrenz und schlechten Umfragewerten.

Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir

Kommt nicht so richtig in Fahrt: Der Wahlkampf von Tarek Al-Wazir in Hessen Foto: Moritz Kegler/imago

WIESBADEN taz | In Wiesbaden hat Tarek Al-Wazir am Vormittag die Motive der Grünen-Wahlkampagne enthüllt. „Ihre Wahl. Ihr Ministerpräsident“, steht da in großen Lettern. Auf den Fotos strahlt der grüne Spitzenkandidat Zuversicht aus im Gespräch mit Kindern und Landeskindern, vor Windrädern und grünen Landschaften. Seit fast zehn Jahren regieren die Grünen Hessen als Juniorpartner der CDU mit. Diesmal will Al-Wazir, noch Wirtschafts- und Verkehrsminister, Ministerpräsident werden und seinen Koalitionspartner Boris Rhein (CDU) ablösen. „Weil ich Hessen noch stärker machen will. Ich habe einen Plan für das Land“, sagt er bei der Präsentation der Plakate.

Als die hessischen Grünen im Februar mit der Wahl eines „Ministerpräsidentenkandidaten“ erstmals Kurs auf die Staatskanzlei nahmen, hatten sie weder den quälenden Dauerstreit der Berliner Ampel noch die Querelen um das völlig verunglückte Heizungsgesetz auf dem Schirm. Jetzt, acht Wochen vor dem Wahltermin in Bayern und Hessen, bläst ihnen der Wind ins Gesicht. In den Umfragen liegen sie in Hessen nur noch auf Platz drei, weit hinter der CDU des Ministerpräsidenten und auch hinter der SPD, die mit ihrer Spitzenkandidatin Nancy Faeser die Medienpräsenz der Bundesinnenministerin ausspielt.

„Wahlen werden wirklich am Wahltag entschieden“, antwortet Al-Wazir auf skeptische Fragen zu seinem Wahlziel. Er ist in den hessischen Schulferien an jedem Tag im Land unterwegs. Dabei muss er große Entfernungen überbrücken. Die Regierungsaufgaben erledigt der Minister unterwegs im vollelek­trischen Dienstwagen.

Dort wo die Lahn am schönsten ist, an der Schleife bei Flusskilometer 39,6, trifft Al-Wazir am Mittag die „Lahntaucher“. Unter dem Weilburger Felsen, auf dem die Nassauer Regenten ihre prächtigen Schlossanlagen errichtet hatten, fischen an diesem Tag junge UmweltschützerInnen im Trüben. Die Teams operieren in Tauchermontur von Tretbooten aus, auf denen sonst Touristen dümpeln. In einem der Boote nimmt Al-Wazir Platz. In Bügelfaltenhose strampelt er mit seinen Hochglanz­lederschuhen mit.

Wahlkampf in der Strandbar

Apnoetauchen nennt man die Technik, bei der TaucherInnen rund 30 Sekunden die Luft anhalten. Der oder die TeampartnerIn sichert den Tauchgang. Der Gast staunt nicht schlecht, was dabei alles an die Oberfläche kommt. An diesem Tag sind es zwei Verkehrsschilder, ein abgefackelter Einkaufswagen, eine Spitzhacke und jede Menge Schrott. Al-Wazir bringt persönlich den großen Kanister an Land, den sie im Uferbereich bergen konnten. „Lack, Sondermüll“, sagt der Minister und wundert sich über die Gedankenlosigkeit der Zeitgenossen.

In den drei Jahren ihres Bestehens haben die Lahntaucher 10,4 Tonnen Müll aus dem Fluss geholt, darunter auch Objekte, für deren Bergung sie profes­sio­nelle Hilfe von Feuerwehr und Müllabfuhr anfordern mussten. „Ich muss sagen, das hat mich schwer beeindruckt. Respekt!“, sagt Al-Wazir später und preist die vielen ehrenamtlichen Ini­tia­tiven, ohne die Gesellschaft nicht funktionieren würde.

In die stylishe Strandbar am Lahnufer hat die grüne Wahlkreiskandidatin Anke Föh-Harshman neben den TaucherInnen politische MitstreiterInnen aus Stadt und Land und Ehrenamtler aus anderen Ini­tia­tiven eingeladen.

Unter einem Sonnenschirm beantwortet Al-Wazir ihre Fragen. Der Grüne beklagt die Sünden der Vergangenheit: Der Salzeintrag in die Werra geht unterirdisch weiter, weil aus den tiefen Schichten die Abfallbrühe aus hundert Jahren Kalibergbau aufsteigt. „Einen guten Zustand werden wir auch nicht in Jahrzehnten erreichen“, räumt er ein.

Rechte Hetze gegen die Grünen

Doch dann listet er die Fortschritte auf. Die Versenkung von Salzabfällen an der Werra sei beendet, die Flüsse des Landes insgesamt in einem guten Zustand, sagt er. Mit dem Programm „100 wilde Bäche“ habe die grüne hessische Umweltministerin Priska Hinz landesweit die Renaturierung kleiner Gewässer angestoßen.

Mit der EU-Wasserrichtlinie gebe es inzwischen sogar ein gesetzliches „Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot“. Dass in dieser Richtlinie zwar Einträge von Landwirtschaft, Industrie und Haushalten geregelt werden, nicht aber das Müllproblem, ist auch ihm neu.

Dass Menschen sogar Herde und Waschmaschinen in den Fluss werfen, macht den Minister etwas ratlos: „Das ist doch komplizierter, als Sperrmüll anzumelden“, sagt er und versichert: „Das Thema nehme ich mit.“ Die Unterwasserumweltschützer wünschen ihm für den 8. Oktober alles Gute, die Strandbar-Gäste sind ihm wohlgesinnt.

Das ist nicht überall so. Der Grünen-Landesvorsitzende Sebastian Schaub, Direktkandidat im Nachbarwahlkreis Limburg, beklagt massive Anfeindungen. „Sehr heftig“ gehe es dort am Infostand auf dem Wochenmarkt zu. „Die Grünen sind an allem schuld, was schiefläuft“, sei einer der Sätze, die da fallen. Eine rechtsextreme Splittergruppe aus der Region habe sogar die Parole ausgegeben: „Hängt die Grünen an den Bäumen auf, solange es noch Bäume gibt“, berichtet Schaub.

Wann wird man zum Frosch?

Ist es in dieser Situation klug, einen Grünen als Ministerpräsidentenkandidaten auszurufen? „Ich bin skeptisch, dass das gelingen kann“, sagt nachdenklich Heinz-Jürgen Deuster, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Weilburger Stadtparlament. Sein Tischnachbar widerspricht. „Das ist eine buchhalterische Frage, ohne Vision“, tadelt er die taz und fügt an: „Die FDP hatte schon Kanzlerkandidaten mit weniger Prozent.“ In der Auftragsverwaltung des Bundes musste der grüne Minister die Rodung des Dannenröder Forstes und des Fechenheimer Walds in Frankfurt mit Polizeieinsätzen absichern.

Dabei gehört der Widerstand gegen die Autobahnprojekte zum Gründungsmythos der hessischen Grünen. Genau wie der Widerstand gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. In der Amtszeit des grünen Ministers wurde die dritte Landebahn in Betrieb genommen, ein drittes Terminal gebaut und Billigflieger mit Rabatten angelockt. Immerhin sorgte der grüne Verkehrsminister für die strikte Einhaltung des Nachtflugverbots.

„Man muss manche Frösche schlucken; die Frage ist, wann man selbst zum Frosch wird“, sagt der grüne Weilburger Fraktionschef lachend. Die konstruktive Regierungsbeteiligung auf Landesebene, mit der viel erreicht worden sei, verteidigt er ausdrücklich.

Austausch mit der Windkraft-Wirtschaft

Am Dienstagabend hat Al-Wazir auf einer Veranstaltung in Ginsheim-Gustavsburg für seine Sache geworben. Am Mittwoch drauf ist er im Odenwald unterwegs. In Heppenheim an der Bergstraße besucht er den Wochenmarkt. Es sind nur fünf Verkaufsstände, „aber die kommen regelmäßig und ziehen Leute in die Fußgängerzone“, sagt der erste Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf, der seinen Parteifreund Al-Wazir durch das idyllische Fachwerkstädtchen mit Burg und Schloss begleitet.

Am ehemaligen Kaufhaus Mainzer macht die Besuchergruppe Station. Die Nazis hatten das Jugendstilgebäude der berühmten Architektenbrüder Metzendorf den jüdischen Eigentümern abgepresst. Nach der Geschäftsaufgabe des letzten Besitzers stand es 15 Jahre lang leer, verfiel hinter Bauzäunen, bis Stadt und Land mit Mitteln aus der Städtebauförderung die alte Schönheit wiederherstellen konnten.

In das Gebäude mit der großzügigen Eingangshalle sind die städtische Musikschule, eine Bibliothek und das Touristenbüro eingezogen. Der Minister begrüßt die städtischen MitarbeiterInnen und schüttelt Hände, man kennt sich. Al-Wazir besucht das Haus jedes Mal, wenn er in Heppenheim ist. „Wenn etwas sichtbar wird, wenn man etwas vorangebracht hat, dann motiviert mich das“, sagt er der taz.

In der Halle trifft er zufällig den Heppenheimer Unternehmer Franz Mitsch. Der hat sein E-Bike von der Inspektion abgeholt und durch seine Frau vom Ministerbesuch erfahren. Al-Wazir stellt den Firmengründer und Erfinder als „­hidden ­champion“ vor. „In Windrädern auf der ganzen Welt sind Schwingungsdämpfer aus Heppenheim eingebaut“, sagt Al-Wazir. Sie sorgen für einen Ausgleich der gewaltigen Kräfte, die die drehenden Rotorblätter auf die Masten ausüben.

Der Windkraftpionier klagt über den schleppenden Ausbau der Windkraft, auch in Hessen. „Wir brauchen hier Anlagen, in denen wir unsere Innovationen testen können“, sagt er und fügt hinzu: „Nur mit Innovationen können wir der Offensive chinesischer Mitbewerber begegnen, die mit Kopien unserer Produkte den Markt überschwemmen. Nur wenn wir besser sind, können wir be­stehen“, so der Unternehmer, der mehr als 150 Mitarbeitende beschäftigt.

„Der Wind hat sich gedreht“

„Auch mir geht es zu langsam“, bekennt der Landesminister, der die Energiewende umsetzen muss. Gleichzeitig versichert er dem Unternehmer: „Der Wind hat sich gedreht.“ Mit der Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine sei die Akzeptanz für Windkraft enorm gewachsen; in den 18 Monaten der Ampelregierung seien mehr gesetzliche Veränderungen auf den Weg gebracht worden, die den Ausbau beschleunigten, als in den 18 Jahren zuvor, lobt Al-Wazir seinen Berliner Amtskollegen Robert Habeck.

Später räumt er im Gespräch mit der taz ein, dass ihm dessen verunglücktes Heizungsgesetz im Wahlkampf zu schaffen macht. „Wir als Grüne sind manchmal von der Sache getrieben und wollen alles regeln“, sagt er selbstkritisch. Doch verantwortlich für das Desaster macht er die FDP, die einen Referentenentwurf durchgestochen und so der Springer-Presse die Vorlage für eine unfaire Kampagne geliefert habe.

Auch zur Blockade des Wachstumschancengesetzes durch seine Parteifreundin, Bundesfamilienministerin Lisa Paus, geht Al-Wazir auf Distanz. „Das bestätigt alle Vorurteile und ist nicht der Stil der hessischen Grünen“, sagt er. CDU und FDP sticheln unterdessen im Wahlkampf. Die FDP plakatiert „Feuer und Flamme für Hessen“, die CDU textet: „Auto verbieten verboten!“ Darauf angesprochen, zuckt der Grüne mit den Schultern: „Wenn sie glauben, dass ihnen das nutzt?!“

Für die Koalitionsfrage spielt das offenbar keine Rolle. „Alle demokratischen Parteien müssen untereinander gesprächsbereit und bündnisfähig sein“, ist Al-Wazirs Credo. Es folgt der allgemeine Hinweis, dass Zweier- offenbar besser funktionieren als Dreierbündnisse. Sollte nach der Wahl ein Bündnis, jenseits von CDU und AfD, mit SPD und FDP rechnerisch möglich sein, werden die Grünen auch diese Möglichkeit ausloten müssen.

Im Februar gab ihm seine Partei grüne Sneaker mit auf den Weg. Er, der stets auf Ledersohlen unterwegs ist, musste versprechen, den Amtseid als Ministerpräsident in Turnschuhen abzulegen wie dereinst Joschka Fischer als erster grüner Landesminister. Dass Al-Wazir die Sneaker für die konstituierende Sitzung des Landtags tatsächlich auspacken muss, gilt indes als eher unwahrscheinlich.

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