Gefahr rechtsextremer Gewalt: Der deutsche Mob hat Tradition

Im August 1975 jagte in Erfurt ein Mob tagelang algerische Vertragsarbeiter mit Brecheisen. Heute können ähnlich Denkende einfach die AfD wählen.

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Ostdeutsche Schuhe von 1975 in schwarz-gold-rot, im Museum für Volkskunde in Erfurt Foto: Martin Schutt/picture alliance

Es war der erste Pogrom nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden. In Erfurt bewaffneten sich am 10. August 1975 Deutsche mit Holzlatten und Brecheisen. Der Mob ging in der thüringischen Stadt auf algerische Vertragsarbeiter los. Al­ge­rie­r*in­nen wurden zusammen mit Zehntausenden anderen ausländischen Arbeitskräften in die DDR gerufen, um die marode Wirtschaft dort zu retten. Getroffen sind sie in Erfurt auf den deutschen, lebensgefährlichen Rassismus.

Zuvor waren Falschmeldungen in Umlauf, die sich wie erfundene Schlagzeilen von heute lesen: Algerische Arbeiter würden Deutschen die Frauen ausspannen. „Unsere Frauen“ war und ist für das deutsche Patriarchat eine rote Linie, wird bis heute gerne als Ausrede instrumentalisiert, um rassistische Gewalt zu legitimieren, um zivilisatorische Spielregeln über Bord zu werfen, um Pogrome zu veranstalten.

Etwas mehr als drei Tage dauerten die Erfurter Ausschreitungen 1975. Sie sollten in die unrühmliche deutsche Geschichte als Hetzjagden eingehen, bei denen Dutzende Menschen um ihr Leben bangten, sich verängstigt in Gebäuden in der Innenstadt verschanzen mussten.

Laut Archiveinträgen soll der wütende Mob aus bis zu 300 meist jungen deutschen Männern „Totschlagen!“ und „Aufhängen!“ skandiert haben. Dann griffen sie das Wohnheim an. Dutzende Menschen wurden verletzt. Der Mob meinte es ernst – in guter alter Tradition.

Bald ist dieses nur wenigen bekannte Ereignis ein halbes Jahrhundert her, und doch klingt es, als könnten entsprechende Meldungen heute genauso über den Newsticker laufen. Regelmäßig machen Ausschreitungen von rechtsextremen Vereinigungen und Netzwerken Schlagzeilen (nicht nur in Ostdeutschland).

Männer skandieren: „Totschlagen!“ und „Aufhängen!“

Die AfD steht in Umfragen zur anstehenden Landtagswahl in Thüringen stabil bei über 30 Prozent als potenziell stärkste politische Kraft im Bundesland. Die anderen Parteien verfallen in Panik, mehrere Strömungen in der CDU öffnen die rechte Flanke und bieten Rechtsextremisten die Zusammenarbeit an. In Thüringen kann man beobachten: Je radikaler die AfD auftritt, desto mehr Menschen geben an, sie unterstützen zu wollen.

Die AfD fungiert wie einer von diesen überflüssigen Start-ups, die Altbekanntes neu verpacken und den Massen als Verlockung andrehen. So muss man sich in Erfurt nicht mehr mit Holzlatten und Brecheisen bewaffnen, „Totschlagen!“ und „Aufhängen!“ bei Hetzjagden skandieren. Es reicht das Kreuz auf dem Wahlzettel.

Immer wenn ich über die Gefahr der Rechtsextremen und die Verharmlosung durch nazipositive Kräfte schreibe, gratulieren sich rechtsradikale Trolle auf sozialen Medien und in meinen Postfächern gegenseitig.

So nach dem Motto: Je öfter du uns als rechtsradikal bezeichnest, desto mehr Zulauf bekommen wir. Da haben die Nazis anscheinend und ausnahmsweise recht. Mit dieser bitteren Erkenntnis endet dieser Text.

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.

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