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Vergewaltigung in Berlin-KreuzbergGörli-Debatte mit falschen Zahlen

Nach angeblich vielen Vergewaltigungen wird über die Sicherheit im Görlitzer Park in Kreuzberg gestritten. Doch von 6 Taten fand nur eine dort statt.

Der Görlitzer Park in Kreuzberg ist nach einer Gruppenvergewaltigung in der Debatte Foto: Paul Zinken

Berlin taz | Der Fall einer vergangenen Woche bekannt gewordenen mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung hat eine Debatte um die Sicherheit im Görlitzer Park ausgelöst. Grundlage dafür ist neben dem konkreten Fall vom Juni auch die Statistik der registrierten Straftaten im kriminalitätsbelasteten Ort (kbO) Görlitzer Park/Wrangelkiez. Die Senatsverwaltung für Inneres hatte diese auf Anfrage der Linken-Abgeordneten Niklas Schrader und Ferat Kocak Mitte Juli veröffentlicht.

Im ersten Halbjahr 2023 weist die Statistik 8 Fälle von Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und sexuellen Übergriffen aus – darunter 6 Vergewaltigungen, 3 davon an widerstandsunfähigen Personen. Die sechs Vergewaltigungen wurden in der Debatte über die Sicherheit des Parks immer wieder herangezogen. Eine Anfrage der taz bei der Polizei hat nun ergeben: Einzig die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung aus dem Juni fand tatsächlich im Görlitzer Park statt. Sie ist zudem die einzige der registrierten Vergewaltigungen, die im öffentlichen Raum geschah.

In den fünf anderen Fällen vergewaltigten die mutmaßlichen Täter demnach in Privaträumen im umliegenden Kiez: Laut der Polizei kam es demnach zu einer versuchten Vergewaltigung in einem Gewerbebetrieb, zwei Vergewaltigungen in Hostels sowie zwei Vergewaltigungen in Wohnhäusern. Nähere Auskünfte zu den Ermittlungsständen gab die Polizei mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren nicht.

In einigen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass sich Opfer und Täter kannten. Zwischen Mitte 2022 und Mitte 2023 wurden insgesamt 41 Sexualdelikte gezählt, neben Vergewaltigungen fallen darunter auch Belästigung oder Kinderpornografie. Die Innenbehörde spricht hierbei von 9 Fällen, in denen „zwischen den geschädigten und den tatverdächtigen Personen eine zumindest flüchtige Bekanntschaft“ bestehe.

In einer vorausgegangenen Kleinen Anfrage von Schrader und Elif Eralp (Linke) zur Kriminalitätsstatistik in dem Gebiet im ersten Halbjahr 2022 hatten die Fra­ge­stel­le­r:in­nen noch danach gefragt, wie viele der registrierten Sexualdelikte im öffentlichen und wie viele im nichtöffentlichen Raum verübt wurden. Die Antwort der Innenverwaltung: „Eine Differenzierung der Daten im Sinne der Fragestellung ist im automatisierten Verfahren nicht möglich.“ Im letzten Fragenkatalog wiederholten die Linken die Frage nicht mehr.

Konstante Zahlen

Aus den Kleinen Anfragen lässt sich zudem herauslesen, dass die Fälle von registrierten Sexualdelikten – Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff – über die Jahre auf einem konstanten Niveau liegen. Wurden 2018 noch 16 Delikte gezählt, waren es 18 im Jahr 2021 und 14 im vergangenen Jahr.

Der kiminalitätsbelastete Ort Görlitzer Park/Wrangelkiez ist eines von berlinweit sieben Gebieten, das die Polizei als Kriminalitäts-Hotspot identifiziert hat. Die Polizei genießt innerhalb dieser Gebiete besondere Befugnisse, kann etwa verdachtsunabhängig kontrollieren. Auf Anfrage der taz teilte die Polizei mit, dass im April 2020 der kbO Görlitzer Park um Teile des Wrangelkiezes erweitert wurde. Das nun definierte Gebiet umfasse eine Fläche von über 300.000 Quadratmetern; die genaue Begrenzung werde aus „einsatztaktischen Gründen“ nicht mitgeteilt.

Der Görlitzer Park selbst hat eine Fläche von 140.000 Quadratmetern. Teil des statistischen Gebietes sind demnach Wohnviertel im Wrangelkiez, von der Ausdehnung her sind diese Wohngebiete weit größer als der Park. Demnach gehen auch jene Straftaten in die Statistik mit ein, die in den tausenden Wohnungen in dem Gebiet, in Betrieben oder Hotels verübt werden.

Im Fall der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung einer Frau am Morgen des 21. Juni im Görlitzer Park hatten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag mitgeteilt, einen zweiten Tatverdächtigen festgenommen zu haben. Einsatzkräfte hatten den 22-Jährigen am Sonntag an der Kreuzung Skalitzer Straße/Görlitzer Straße festgestellt. Einen ersten Tatverdächtigen hatte die Polizei in der vergangenen Woche ermittelt. Beide Männer befinden sich in Untersuchungshaft. Ermittlungen, auch gegen weitere Verdächtige, dauern an.

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9 Kommentare

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  • Natürlich macht Das einen riesigen Unterschied, denn mit dem polizeilichen Konstrukt Tatort Goerli wird doch zugleich suggeriert, die dort in den Abendstunden stets anzutreffenden informelle Gewerbetreibenden, Hauptzielgruppe der dichten Observationen vor Ort, stellten nun auch Im Fall von Sexualdelikten die wesentliche Taetergruppe. Tatsaechlich trifft dies aber wohl nur Auf den Einzelfall einer in den Medien publik gewordenen Gruppenvergewaltigung zu...

    Nun stellt sich herraus, dass die Konstruktion des Kriminalitaets belasteten Ortes KbO Goerli durch die Behoerde sich nur z. T. Auf den Park selbst bezieht und reell weite Teile von Wohngebieten miteinbezieht... Die alte Warheit nach der Frau alleine Im Park sicherer ist, als hinter geschlossenen Tueren mit maennlichen Bekannten bewahrheitet sich hier erneut an den Fallzahlen...

    Die oft rassistisch motiviert ein Verdachts unabhaengigen Personenkontrollen am KbO bringen nun gar nix in geschlossenes Privatraeumen... Die Diskussion um naechtliche Park Schliessungen ebenso unsinnig.

    Ich finds zum Kotzen, wenn Sexualdelikte als Einfallstor fuer repressive Massnahmen Im Diskurs hochgepinscht werden... Scheint aber in diesem Sommerloch leider der heisse Scheiss zu sein... Aetzend.

  • Ach, das ist ja dann beruhigend, dass es nur 1 ( mutmaßliche) Vergewaltigung IM !! Park gab.

  • Gut, das haben Sie jetzt klargestellt. Die mutmaßlichen Sexualdelikte fanden also nicht alleine im Görlitzer Park, sondern genau genommen im kbO Görlitzer Park/Wrangelkiez statt. Vielen Dank.

  • Was ist der Zweck des Artikels? Soll angezweifelt werden, dass der Görli ein Problem hat?



    Jede Tat ist jedenfalls eine zu viel, egal wo. Für die Opfer ist es wohl irrelevant, ob sie im Park, um die Ecke oder in einer Wohnung am Park vergewaltigt wurden.

    • @Terraformer:

      Aber für Debatte ist es nicht irrelevant.



      Ich glaube niemand zweifelt an, dass es ein Problem im Görli gibt.



      Die Frage ist aber: welches?

      Jedenfalls sind in der gegenwärtigen Debatte zwei Topoi virulent, die immer in solchen Fällen aufgefahren werden:



      1. das Problem ist irgendwie Migration



      2. sexuelle Gewalt wird von irgendwelchen Fremden an gefährlichen Orten ausgeübt

      Beides hält einer statistischen Prüfung nicht stand.

    • @Terraformer:

      Sie haben recht: jede Tat ist eine zu viel.



      Sie stellen zu Recht Fragen.



      Der Artikel differenziert offensichtlich die stark vereinfachende und damit unrichtige Aussage, dass es IM Görli zu Vergewaltigungen kam.



      Der Artikel ordnet außerdem m.H. detaillierter Informationen die Situation um den Görli ein. Und stellt nebenbei dar, dass nicht nur der Görli ein Problem hat. Also "Görli meiden (oder keine Ahnung, einfach planieren?) = keine Probleme" ist keine Lösung.



      Das ist für mich die Hauptaussage.

    • @Terraformer:

      zweck des artikels ist wohl eine differnzierung, dass etwaige maßnahmen zur verschärfung von kontrollen oder überwachung aufgrund falsch gedeuteter zahlen basieren würden. die frage ist, ob das so gewollt ist. denn es ist in dieser hinsicht relevant, ob jemanden sexuelle gewalt in einer wohnung oder im park angetan wird, wenn dies als rechtfertigung benutzt wird, öffentliche räume temporär zu schließen oder großflächige überwachung einzurichten.

    • @Terraformer:

      Nun, eine Statistik, die Taten in Privat- und Gewerberäumen mit einbezieht ist nicht sehr hilfreich wenn es darum geht, ein Problem im öffentlichen Raum zu quantifizieren.