Trümmer , nur noch Fassaden stehen nach einem Bombenangriff, Wephal steht nch an einem Gebäude

Mittelstraße 89 Hamburg Foto: Stadtteilarchiv Hamm

80 Jahre „Operation Gomorrha“:Trümmer für die Zukunft

In Hamburg jährt sich zum 80. Mal die britisch-amerikanische Luftoffensive „Operation Gomorrha“ mit 37.000 Toten. Endet die Erinnerung mit den letzten Zeitzeuginnen*?

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25.7.2023, 11:56  Uhr

Drei hölzerne Karteikästen stehen in einem Regal im Stadtteilarchiv Hamm, darin ein Schatz, in dem sich Hunderte, Tausende Geschichten verbergen. Solche des Leids, diese vor allem. Die Objekte bergen die Namen von Zeitzeugen. Sie haben den Hamburger „Feuersturm“ von 1943 überlebt. „Für uns ist das das zentrale Thema“, sagt Stadtteilarchivar Gunnar Wulf. „Wir waren hier in Hamm im Zen­trum des Feuersturms.“

Das Wort ist für Betroffene und ihre unmittelbaren Angehörigen, ihre Kinder und Enkel, eine biografisch entscheidende Vokabel: Es bezeichnet vor allem die Luftangriffe der britischen Royal Air Force auf die Stadtteile Hamburgs mit der höchsten Bevölkerungsdichte, zirka 37.000 Menschen sind in den Nächten und Tagen vom 24. Juli bis 3. August 1943 ums Leben gekommen.

Strittig ist historisch, ob die britischen Bomber in diesem Areal bei für sie perfekten Wetterbedingungen auch rüstungszuliefernde Kleinbetriebe auslöschen wollten. Oder mit ihrer „Operation Gomorrha“, wie sie ihre Kriegsaktionen nannten, einzig biblisch anmutende Rache nehmen, Vergeltung üben wollten für die Luftkriege des nationalsozialistischen Deutschlands auf London und Coventry – mit einem demoralisierenden Bombardement der dort noch lebenden Bewohner, alte Männer, Frauen, Kinder. Wahr bleibt, dass bei den letzten halbwegs legalen Reichstagswahlen im März 1933 ausgerechnet in dieser Gegend die NSDAP vergleichsweise geringen Zuspruch erhielt, KPD und SPD dafür umso mehr.

Mit blauem Kuli auf hellblauen Kärtchen jeweils notiert sind in den fast abseitig gestellten Adresskästen Geburtsdatum, die alte Straße im 1943 ausgebombten, ausradierten Hammerbrook und Hamm, die alte Schule, Festnetznummern, sowie erste Hinweise, wo diese Person den sogenannten „Feuersturm“ überlebte. Oder dass sie ein Zusammentreffen mit früheren Nachbarn ihrer Straße wünscht. Oder wie ihr Lehrer in der Schule hieß.

Die Zeitzeugen, die den „Feuersturm“ erlebten, sehen sich durch den Krieg in der Ukraine hochbelastet

Seit 1987 gibt es dieses Stadtteilarchiv, das es sich zur Aufgabe macht, die Geschichte jenes Viertels aufzuarbeiten. Es war mit 90.000 Menschen mal dicht bewohnt, geteilt in zwei Hälften – „Oben-Hamm“, in der die Bürgerlichen lebten – und das auch topografisch tiefer gelegene „Unten-Hamm“, wo die weniger Feinen wohnten, Arbeiter und Arbeiterinnen, Kleingewerbetreibende.

Noch heute bildet die vielbefahrene Hammer Landstraße eine Art unsichtbare Grenze durch den Stadtteil, die Kulturschaffende mit Aktionen wie dem im August beginnenden „Hammer Sommerfestival“ zu überbrücken versuchen. Da nach dem Krieg, um die Wohnungsnot zu beheben, vor allem viele kleine Wohnungen gebaut wurden, ist der ganze Stadtteil heute weniger wohlhabend. Heute leben in Hamm, im bürgerlichen hoch gelegenen wie im kleinbürgerlich unteren Teil nur noch rund 38.000 Menschen, davon viele Singles, denn Familien ziehen oft weg, wenn das zweite Kind kommt, weil der Platz nicht reicht.

Das Stadtteilarchiv ist Ausgangspunkt unserer Hamm-Erkundung mit dem Rad, das Gedächtnis dieser Gegend, die so gar nicht schön aussieht wie andere Hamburger In-Quartiere, etwa das Schanzenviertel. Die Adresse führt zu einem modernen Kulturzentrum an der großen Straßenkreuzung Sievekingdamm und Hammer Landstraße. Per Fußgängerrampe ist es über eine Art Hochplateau, Platz der Kinderrechte genannt, erreichbar. Fern vom Autolärm bietet das Zentrum auch Platz für ein Straßencafé mit jungen Bäumen, sichtbar wird es von der Bevölkerung angenommen.

Vorleben und Verbindungen eines Stadtteils

Die Karteikästen im Archiv sagen viel über das Vorleben dieses Stadtteils. In ihnen Spuren einer Erinnerungsorganisation, die mal wie eine Facebook-Gruppe funktionierte, ein Kontaktstiftungsinstrument: „Wir benutzen die Karteikarten aber kaum noch. Viele Menschen sind auch schon gestorben“, sagt Gunnar Wulf, der in dieser Gegend Kind war und über eine ABM-Maßnahme zu seinem Job kam – er ist seit Anfang an dabei. Früher wurden mit Hilfe der Adressen auch Verbindungen hergestellt, von ehemaligen Bewohnern, die ihre Freunde und Nachbarn suchten.

In dem Regal steht auch eine aus den Trümmern geborgene alte Schreibmaschine und ein aus Papier nachgebautes Modell der Villa Ohlendorff. Denn Hamm-Oben war einmal Treffpunkt der Reichen und Wichtigen – lange vor dem heute prominenten Blankenese an der Elbe. Hier hatten einflussreiche Hamburger Kaufleute und Reeder ihre Sommersitze.

Wer erkunden will, wie diese Welt mal aussah, muss sich zum großen Tisch in der Mitte des Stadtteilarchivs nur umdrehen. Dort sind in eng aneinander gestellten Kästen über 43.000 Fotos nach Straßennamen sortiert, Lichtbilder, die die Menschen im Lauf der Jahre vorbeibrachten. Alle in Schwarz-Weiß. Teils wunderschöne Jugendstil- und Gründerzeitfassaden, die ans heutige Wien erinnern, interessante Läden, alte Straßenbahnen, große Kindergruppen, die auf der Straße spielen. Auch für die Nachbarstadtteile wie Rothenburgsort, Borgfelde und Hammerbrook sind hier Bilder zu finden.

Trümmer einer STadt spiegeln sich im Wasser

Der Mittelkanal in Hamburg-Hamm im Sommer 1943 Foto: Stadtteilarchiv Hamm

Es kommen auch heute noch Menschen vorbei und suchen danach, aber es sind nur noch wenige, manchmal aber auch die Kinder der ums Leben Gekommenen. Sie wollen dann sehen, wie die Straße aussah, wo ihre Eltern mal lebten. Ob es von dem Haus oder dem Laden noch ein Foto gibt? Es ist sogar möglich, über ein altes Straßenregister – das in der Hamburger Staatsbibliothek einsehbar ist –, nachzuschauen, wer damals unter welcher Hausnummer wohnte. „Wir müssen immer aufpassen“, sagt Stadtteilarchivar Wulf. „Die Leute klauen sonst einfach die Bilder.“ Wer eines haben möchte, könne es bestellen. „Ein Abzug drei Euro.“

In der Mitte des großen Tisches liegen Bücher, auch sie kann man erwerben. Darunter das Heft „Die längste Nacht“ mit den Berichten von zwölf Zeitzeugen zum Hamburger „Feuersturm“, 2013 wurde sie zum 70. Jahrestag erstellt. Die erste Angriffswelle in der Nacht zum 25. Juli 1943 galt zunächst anderen Stadtteilen in Hamburgs Westen und traf nur vereinzelt Häuser in Hamm, weil die Bomber nicht genau zielten. Meteorologisch herrschte „perfektes“ Angriffswetter: viele Tage lang wolkenloser Himmel.

Unsagbares Glück im Unglück

„Mancher hat durch dieses Unglück unsagbares Glück“, heißt es in dem Heft. Herr M. zum Beispiel wurde in dieser Nacht „ausgebombt“, während die Bewohner im Keller ausharrten, die elterliche Wohnung zerstört. Der damals 15-jährige lieh sich ein Rad und flüchtete zu seinen Großeltern an den Stadtrand. „Uns wäre der Verlust der Wohnung leichter gefallen, wenn wir geahnt hätten, dass dadurch unser Leben gerettet worden ist“, schrieb er später. „In der nächsten Angriffsnacht ging Hammerbrook im Feuersturm unter und wir hätten noch im Zentrum des Glutofens gewohnt.“ Von den Bewohnern seiner Nachbarhäuser habe keiner überlebt.

Ihre Rede handelt von der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1943. Die ersten Flieger warfen Bomben, die die Dächer der Häuser wegsprengten. Dann folgten Phosphor- und Brandbomben, die die meist aus Holz gebauten Treppenhäuser entzündeten. Zeitzeugin Frau S. berichtet, wie sie diese überlebte: „Mutter und ich rasten den Grevenweg rechts runter zum Gesundbrunnen am Sportplatz, dort war ein öffentlicher Luftschutzkeller. Wohin die anderen sich gewandt hatten, weiß ich nicht.“

Luftschutzkeller wurden zur Todesfalle

Dort angekommen, sei es schon sehr voll gewesen. „Wir hätten im Stehen sterben können, so eng war es“, erzählt die Zeitzeugin. Für Tausende Hamburger seien diese Luftschutzkeller zur Todesfalle geworden, denn die boten Schutz vor Einsturz, aber nicht vor glutheißen Flammen. Andere suchten Freiflächen in einem Park oder auf einem Sportplatz.

Wieder andere flüchteten ins Wasser. Dem damals sechsjährigen Wolf Biermann, später der berühmte Dichter und Sänger in der DDR, der damals in Hammerbrook Kind war – und seit Langem wieder in Hamburg lebt –, wurde zusammen mit seiner Mutter ein Kanal zur Rettung.

Überlebt haben viele, die einen Platz in einem der Bunker fanden, für die es aber nicht genug Kapazitäten gab. 10.000 Plätze für 90.000 Einwohner. Juden und Zwangsarbeiter mussten draußen bleiben. Das Stadtteilarchiv hat einen solchen Bunker am Wichernweg trockengelegt und restauriert.

Gunnar Wulf macht hier seit Jahren Führungen, jüngst erst für eine Gruppe junger Kriminalbeamter. Er sagt Sätze, wie, dass dieser Bunker auch zeige, dass „nie wieder Krieg“ sein dürfe. Drei Worte, die in Deutschland bis zum russischen Krieg gegen die Ukraine Common Sense waren.

verformte Glasflaschen

Durch den „Feuersturm“ verformte Glasflaschen: Ausstellungsstücke im Bunkermuseum Hamburg Foto: Stadtteilarchiv Hamm

Wir fahren mit dem Rad vom Stadtteilarchiv am Sievekingdamm über den Thörls-Park, wo eine nachgebaute „Trümmerbank“ steht. Ein Kunstwerk, das an die Kleinbahn erinnert, die hier in den fünfziger Jahren bergeweise Schutt abtransportierte, hin zum neun Kilometer entfernten Stadtrand, wo durch Trümmerhügel der spätere Öjendorfer Park entstand.

Auf der Bank ruhen sich zwei junge Männer aus, eingewandert aus Iran, die in der nahegelegenen Berufsschule eine Umschulung machen. Sie haben die daneben stehende Erklärtafel nicht gelesen und von „Gomorrha“ noch nie gehört: „Aber man darf hier sitzen?“ Selbstverständlich. So ist es ja gedacht: Kunst aus Bombentrümmern, die zur alltäglichen Benutzung einlädt.

Dann ein Stopp im Cafe May am Hammer Park, wo draußen am Tisch bei Quiche und Cola eine angenehme Straßencaféatmosphäre herrscht: ein Nachbarschaftstreff, der übliche Multikultimenschenmix, alles friedlich. An der Hammer Kirche fotografieren wir das dortige Mahnmal, das daran erinnert, dass von deutschem Boden aus von 1933 bis 1945 „Gewalt und Terror, Mord und Vernichtung“ in die Welt der Völker getragen wurden. Und wo es heißt: „Am Ende schlugen Gewalt und Zerstörung auf deutschen Boden zurück“.

Breites Wissen früher über die Luftangriffe

Fast niemand, der in Hamburg bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts aufgewachsen ist, weiß nicht von diesen Luftangriffen, sie gehören zur hanseatischen Nach-NS-Zeit-Erinnerungsgeschichte, jüngst erst titelte das Hamburger Abendblatt, tonangebende Zeitung der Stadt, auf ihrer Seite 1 „Als der Tod vom Himmel fiel“.

Im Gegensatz etwa zu Dresden, wo kurz vor dem alliierten Sieg über den deutschen Nationalsozialismus mit Luftangriffen auch Tausende Menschen ihre Leben ließen, hat es aber in Hamburg später „keine dezidiert antibritische Stimmung gegeben“, wie der Historiker Helmut Stubbe da Luz sagt, der die Ausstellung zum 80. Jahrestag der „Operation Gomorrha“ kuratierte. „Das mag auch dran gelegen haben, dass die Briten als Besatzungsmacht nicht die Schlechtesten waren.“

Historisches Wissen und Fühlen verblasst

Es scheint zudem, als ob es an Alster, Elbe und Bille bei vielen eine Art vorbewusstes Wissen gab, dass das alles eben Teil des fürchterlichen, vom NS-Deutschland begonnenen Krieges war. Man schien zu wissen, dass der Schmerz ob der Getöteten eine selbstverschuldete Vorgeschichte hatte. Das historische Wissen und Fühlen verblasst indes.

Als kürzlich mal wieder in Hamburg bei Bauarbeiten im Schanzenviertel eine Fliegerbombe entdeckt wurde, musste das halbe Viertel für etliche Stunden evakuiert werden – und bei spontanen Umfragen bei den Flüchtenden wussten die meisten nicht zu sagen, woher diese „Blindgänger“ stammten, nämlich aus dem Zweiten Weltkrieg.

Im Hamm benachbarten Stadtteil Rothenburgsort ist es nur die ansonsten randständige CDU, die regelmäßig an einem dort aufgestellten Gedenkort an diese „Operation Gomorrha“ erinnert. Ob das Gedenken je aus rechten Gedankenwelten entspringt, wollen wir von Gunnar Wulf wissen. „Manchmal musste ich mir im Bunker paar Sachen anhören. Ich habe dann mit den Älteren auch diskutiert“, sagt er.

Senat hält sich zurück mit Erinnerungspolitik

Wulf weist dann immer darauf hin, dass die Deutschen angefangen hatten, in London gezielt Wohnbevölkerung zu bombardieren. Der Hamburger Senat hält sich seit Längerem mit direkten erinnerungspolitischen Initiativen zurück, die Ereignisse im Sommer 1943 erfassen die Gefühle einer ganzen Stadt nicht mehr, keine Gedenkveranstaltungen wie einst auf dem Friedhof Ohlsdorf mit Zehntausenden Menschen.

Die meisten der früheren Bewohner aus Hamm oder Hammerbrook leben nicht mehr. SPD-Kultursenator Carsten Brosda hat immerhin eine, wenngleich wenig ertragreiche, Universitätstagung zum Thema beschirmherrt. Und die am Stadtrand gelegene Universität der Bundeswehr zeigt eine überaus instruktive, vom Historiker Helmut Stubbe da Luz kuratierte Ausstellung zu „Hamburgs Gomorrha 1943 und die Folgen“ – sie wird gut besucht, Alte und etwas Jüngere, einige Schulklassen.

Wer heutzutage wenigstens eine Art Vorstellung von der „Ausbombung“ (der Begriff der Nachkriegszeit unter Überlebenden) sich ausmalen möchte, stelle sich, etwa bei einer Bahnfahrt von Berlin nach Hamburg oder, aus dem Süden kommend, über die Elbbrücken eingereist, jeweils rechts der letzten zwei bis vier Kilometer engste Bebauung mit einigem Gewerbeanteil vor – vergleichbar mit dem Berliner Neukölln.

Unten-Hamm, Rothenburgsort und Hammerbrook, das waren proletarische Viertel im Aufstieg: mit Wohnungen, die lichter und trockener waren als die vorsätzlich zugunsten der Hafenökonomie abgewrackten Quartiere in direkterer Elbnähe.

Fläche des vieltausendfachen Todes

Geblieben ist davon so gut wie nichts, wiederaufgebaut werden sollten die Quartiere auch nicht, dafür kamen Kleinhöker, Ramschbetriebe, hier und da ein Puff, wenige Kneipen. Die Stadtentwicklungsbehörden wiesen die Gegend als Industriegebiet aus, eine No-Go-Area für ängstliche Menschen, faktisch ja auch eine Fläche des vieltausendfachen Todes.

Die Gegend war in den fast zwei Jahren bis zur NS-Kapitulation ein Sperrgebiet, umzäunt. „Eine zügige Bergung der allein auf dieser relativ kleinen Fläche angefallenen Leichen schien unmöglich“, schreibt das Stadtteilarchiv. Hammerbrook und Unten-Hamm: fürs erste und lange Zeit aufgegeben.

Ein harter Kern von etwa 25 Ehrenamtlichen hat daran gearbeitet, die Erinnerung an den Stadtteil Hamm überhaupt erst zu schaffen. Bis vor etwa zehn Jahren sei das Archiv von Zeitzeugen häufig besucht worden, berichten Gunnar Wulf und seine Kollegin Stephanie Kanne.

Für Oben-Hamm mit seiner grünen Lunge, dem Hammer Park, gab es nach dem Krieg einen Wiederaufbauplan, kaum zerstört liegt es höher auf einem Geestrücken. Es wurde mit breiten Zufahrtsstraßen auch zur nahen Autobahn am Horner Kreisel – gen Ostsee und Westberlin – durchzogen und mit günstigen kleinen Wohnungen derart wiederhergestellt, dass es seine alte urbane Qualität und seinen Charme trotzdem nicht wieder gewann. Auch wenn es dort, wie rund ums Café May am Park, viele schöne Ecken gibt – diese gewisse metropole Quirligkeit wie einst, sie fehlt.

Was schuf der Herrgott im Zorn?

Fragt man junge Leute, wo in Hamburg sie eine Wohnung suchen, nennen sie nur Eimsbüttel, Altona und Ottensen und natürlich das legendäre Schanzenviertel, beliebt sind die alten Gründerzeitbauten westlich der Alster. „Billstedt, Hamm und Horn, schuf der Herrgott im Zorn“, lautet ein Taxifahrerspruch, der angesichts der „Operation Gomorrha“ als Witz nicht mehr richtig zündet.

Wir fahren vom Mahnmal an der Hammer Kirche kommend über einen steilen Radweg den Geesthang runter nach Unten-Hamm. Anfangs noch an teils propperen, keineswegs prunkvollen Wohnhäusern vorbei, bald aber auf lauten Autostraßen mit ungemütlichem Lkw-Verkehr.

Das untere Hamm und Hammerbrook wurden als Wohngebiete viele Jahre eben gar nicht wiederaufgebaut. Vor dem Bombardement gab es mehr Brücken, viel mehr Kanäle, mehr Wohnhäuser, mehr urbane Infrastruktur, sogar eine U-Bahn-Linie – die sich, so die Hamburger Stadtplanung, wieder in Verkehr zu bringen nach 1945 nicht mehr lohnte.

Viele Alte erinnern sich noch sehr gut, ihre Erinnerungen sind voll da. Auch die Mutter der Co-Autorin erzählt von diesen Bombennächten. Sie kam gerade mit ihrer Mutter und ihren kleinen Brüdern von einer vorsorglichen Landverschickung zurück nach Hamburg, als der Himmel am Hauptbahnhof schwarz vor Rauch war. Ihr Vater kaperte kurz entschlossen das Motorrad seines Nachbarn mit Beiwagen und fuhr damit die fünfköpfige Familie schnellstmöglich raus aus der Stadt ins 30 Kilometer entfernte Siek. Auch von dort sah man die Flugzeuge am Himmel.

Seit der Ukrainekrieg ausgebrochen ist, spricht die 86-Jährige häufiger davon, wie viele ihrer Generation in dieser Stadt. Die Zeitzeugen, die den „Feuersturm“ erlebten, sehen sich durch den Krieg in der Ukraine hochbelastet. So berichtet es Ulrich Lamparter von der Hamburger Uniklinik Eppendorf, der Betroffene im Rahmen des Projekts „Das Erinnerungswerk Hamburg Feuersturm 1943“ im Mai 2022 befragte.

Manifeste posttraumatische Symptome

Es ist bereits das zweite Forschungsprojekt. Das erste wurde 2013 abgeschlossen und kam zu dem Fazit, dass die Erinnerung an diese Nächte sehr präzise sich hält und in einer Art Sondergedächtnis abgespeichert bleibt, wie Lamparter kürzlich bei einem Vortrag berichtete. Bei etwa einem Drittel der über 60 befragten Überlebenden zeigten sich manifeste posttraumatische Symptome, bei einem weiteren Drittel eine „basale Erschütterung“.

Die Aufarbeitung der psychomentalen Folgen sei lange Zeit rudimentär gewesen „und musste angesichts des Holocaust auch rudimentär bleiben“, sagte er und zitierte Hort Eberhard Richter mit dem Satz, „Es war nicht vorzeigbar, was an Zufügungen im Dienste des Nazi-Unrechts geschehen war.“ Und doch blieb immer ein Schmerz, eine Wunde bei den Überlebenden, die öffentlich kaum thematisiert werden konnte.

Die Friedensbewegungen der Nachkriegszeit, interessanterweise sowohl in Großbritannien wie in der Bundesrepublik, speiste sich aus den Überlebenden, jenen Menschen auch in Hamburg, die auf „Krieg“, wie sie sagen, unbedingt verzichten wollen, jetzt und für alle Generationen nach ihnen.

Lamparter befragte auch Kinder von Zeitzeugen. Die Hälfe hat konkretes Wissen über die damaligen Luftangriffe und kann sich in das Erleben der Eltern einfühlen. Und auch wenn die beiden Generationen es nicht leicht miteinander gehabt hätten, stimmten sie einig der Aussage zu: „Ich wollte, dass meine Kinder wissen, wie schlimm Krieg ist.“

Es gibt Zukunftspläne für die geschundenen Viertel. Auf der Nahtstelle zwischen der Hafencity, dem Hafen und Hammerbrook und Hamm, am Ausgang der Elbbrücken, entsteht das zukünftig höchste Gebäude der Stadt, der „Olaftower“ genannt wird, weil der frühere Bürgermeister Olaf Scholz sich für dieses Projekt stark gemacht hat.

Danach sind die Areale, die die „Operation Gomorrha“ plattmachte, wieder dran. Nicht mehr nur Gewerbegebiet, sondern schöne Wohnhäuser mit viel Grün, ein bisschen so wie früher, etwa wie das Osterbrook-Viertel, das in Unten-Hamm schon entstanden ist.

„Gute Mischung, gute Busverbindung“

Da in der Nähe, an der Bushaltestelle Braune Brücke an der Süderstraße, der Zentralachse von Unten-Hamm, steht eine Frau, wie sie äußerlich zur Roten Flora im Schanzenviertel nicht besser passen könnte. Darf man fragen? Gerne! Lebst du hier? Sie heißt hier Lisa, und sie sprudelt los: „Ja, seit vier Jahren. Ist ja keine rechte Ecke mehr hier. Früher viele Hell’s Angels, Zuhälter und so. Jetzt wohnen hier klasse Leute. Gute Mischung, gute Busverbindung nach Altona und in die Stadt.“

Und in Wurfweite entfernt eine Kneipe an der Bille, dem dritten Fluss Hamburgs, idyllisch gelegen, szenig, weltoffen, aufgeklärt, mit alternativem Programm zum Gedenken an die „Operation Gomorrha“. Die Bürgerinitiative BOOT – Untertitel „Sport, Kultur, Nachbarschaft und Gastronomie im Billebecken“ – nimmt sich der Erinnerungen an.

Es heißt zum Anspruch: Die friedliche Heilung der Stadt ist ein wichtiger Prozess wir sehen uns mit unseren Zielen im BOOT e.V. als Teil dieses Heilungsprozesses. Wir halten es aber für ebenso wichtig, den Blick auf die Lücken frei zu halten – Sie zeigen uns, dass nichts, was wir zu sehen meinen, selbstverständlich für immer da sein wird.“

Sich kümmern um die Folgen des „Feuersturms“

Stephanie Kanne, Kollegin von Stadtteilarchivar Gunnar Wulf, ist Historikerin – und seine designierte Nachfolgerin. Wird sie sich denn auch um die Folgen des „Feuersturms“ kümmern? Sie sagt: „Natürlich mache ich mit dieser Frage weiter. Mich interessieren aber auch Fragen des Kolonialismus, dazu habe ich bereits in einem Museum gearbeitet.“

Sie meint zum Beispiel die Teilhabe wohlhabender Hamburger an kolonialer Ausbeutung (nicht nur) in Afrika. Hamburger, die so prunkvolle Häuser wie die Villa Ohlendorff in Hamm bauen konnten. „Ich werde da mit Oben-Hamm zu tun haben“ – diese Aufarbeitung stehe jetzt an.

So geht die Zukunft, auch für diesen Stadtteil – wie sonst?

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