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Deutschland braucht Indien – aber braucht Indien auch Deutschland?

Mit der Strategie „China plus eins“ möchte sich Deutschland unabhängiger von der Volksrepublik machen. Dabei könnte Indien eine Schlüsselrolle spielen. Ein Bundesminister nach dem anderen bereist das Land. Zuletzt Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck

Indien ist als Standort für deutsche Unternehmen attraktiver geworden Foto: Britta Pedersen/dpa

Aus Mumbai und Panaji Natalie Mayroth

Die Liste von Bun­des­minister:­in­nen, die in diesem Jahr schon in Indien zu Besuch waren, ist lang: Christian Lindner, Annalena Baerbock, Boris Pistorius, Svenja Schulze, Hubertus Heil, Kanzler Olaf Scholz – und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nahm das Treffen der G20-Ener­gie­minis­ter:in­nen am vergangenen Wochenende in Goa – Indien hat derzeit den G20-Vorsitz inne – zum Anlass für seine erste Indienreise als Vizekanzler. So viel Kabinettspräsenz aus Berlin ist ungewöhnlich. Es scheint, dass die Bundesregierung seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine das Bedürfnis hat, so manch versäumte Visite im bevölkerungsreichsten Land der Welt nachzuholen.

Der deutsche Besuch war in Delhi willkommen, Habeck traf mehrere Minister. Vorbehalte gegenüber Grünen-Politikern in Regierungsverantwortung scheinen in Indien verflogen, kurz nach den Bundestagswahlen 2021 war das noch anders.

Indien will sich bekanntlich weder auf die Seite des Westens noch des Ostens schlagen. Und so zeigt sich das Land vom deutschen Werben auch eher unbeeindruckt. Vereinzelt lässt es aber doch mit sich reden, beispielsweise bei Waffenlieferungen, um unabhängiger von Russland zu werden. Eine Entwicklung, die nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich und die USA als Chance für engere Kooperationen erkannt haben.

Für Deutschland ist Indien nicht nur in Bezug auf Wirtschaftsbeziehungen von Bedeutung, sondern auch im Rahmen seiner „De-risking“-Strategie gegenüber China.

Im Gegensatz zum Nachbarn China schaute Deutschland bisher eher stiefmütterlich auf die indische Wirtschaft. Und Deutschland bemühte sich auch nicht um das Gegenteil. Seit Jahren war kein Wirtschaftsminister mehr in Indien. Habeck war also in doppelter Mission unterwegs: zur Werbung für bessere Wirtschaftsbeziehungen und mit dem Ziel, den Klimaschutz voranzutreiben. Beides muss sich nicht ausschließen, klar ist jedoch, dass zur Eindämmung der Erderwärmung mehr getan werden muss, auch vonseiten der Wirtschaft.

„In Indien einen vertrauenswürdigen Partner zu finden, ist der Hintergrund der Reise“, sagte Robert Habeck vor Ort. In diesem Punkt ist sich die Bundesregierung einig: Indien soll enger an Deutschland wachsen, das war auch das Mantra von Habecks dreitägigem Indienbesuch, der am Wochenende zu Ende ging.

Mit der Strategie „China plus eins“ möchte sich Deutschland unabhängiger von der Volksrepublik machen. Dabei könnte Indien eine Schlüsselrolle spielen. Einerseits als Wirtschaftspartner, anderseits auf geopolitischer Ebene. Die Dominanz Chinas bringt die beiden Länder auch militärisch näher. Erst im Juni wurde eine stärkere Kooperation vereinbart. Die Beziehungen Deutschlands zu Indien seien aufgrund der veränderten geopolitischen Lage „immer wichtiger“ geworden, so der Vizekanzler. Habeck hob auch den Ausbau der erneuerbaren Energien hervor, den Indien längst auf seine Agenda gesetzt hat.

Habeck äußerte die Hoffnung, dass eine Verständigung über ein Freihandelsabkommen zumindest teilweise noch vor den im kommenden Jahr anstehenden Wahlen in Indien und der EU erzielt werden könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits im Februar zugesagt, Druck zu machen.

Ein zügiger Abschluss würde dem bilateralen Austausch von Waren und Dienstleistungen einen weiteren Schub geben, sagte Stefan Halusa von der deutschen Außenhandelskammer in Mumbai der taz. Hohe Einfuhrzölle belasteten Unternehmen, ist aus Wirtschaftskreisen zu hören. Für Indien spreche, dass es viele gut ausgebildete englischsprachige Arbeitskräfte gebe, weshalb auch die Zahl der deutschen Unternehmen, die in Indien in Forschung und Entwicklung investieren, stark zunehme, so Halusa. Darunter ist Chiphersteller Infineon mit einem Zentrum in Bengaluru oder Stahlhersteller Thyssen­krupp in Pune, einer deutschen Hochburg auf dem Subkontinent.

Die indisch-deutsche Handelskammer geht derzeit von 2.000 deutschen Firmen in Indien aus. Im Jahr 2019 waren es noch 1.800. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsprüfers KPMG möchte bis zum Jahr 2028 jedes vierte deutsche Unternehmen den Standort Indien für eigene Forschung und Entwicklung nutzen. Es wäre fahrlässig, sich nicht mit Indien zu beschäftigen, sagte Halusa.

Sugandhi Gopal, Gründerin eines Medizin-Start-ups und Kardiologin, blickt optimistisch auf die engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Indien. Sie hat eine Technologie entwickelt, mit der Elektrokardiogramme (EKGs) einfach digital aufgezeichnet werden können. In dem Gerät sind Halbleiter verbaut – vielleicht bald aus Deutschland. Solche Kooperationen sollte es aus ihrer Sicht viel mehr geben. „Je schneller und zuverlässiger die Chips sind, desto besser funktioniert unser Gerät“, sagte sie der taz bei Habecks Besuch in Mumbai.

Wirtschaftsminister Habeck war in doppelter Mission unterwegs

Allgemein wird der Besuch von Habeck in Indien als überfällig angesehen. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren zu einem selbstbewussteren Partner entwickelt und ist als Standort für deutsche Unternehmen attraktiver geworden. Wohl auch deshalb machte Habeck Station in der Finanzmetropole Mumbai. Dort standen Besuche bei den lokalen Niederlassungen der DAX-Konzerne BASF und Siemens auf dem Programm. In der Millionenmetropole ging Habeck auf die Extreme Indiens ein: Ein „Hightech-Land“ mit wachsender Mittelschicht und Wohlstand, in dem Armut nach wie vor tief verankert sei.

Habeck sprach insgesamt von einer „beeindruckenden Reise“, kritisierte aber auch deutlich die neutrale Haltung Indiens im russischen Angriffskrieg. „Das Motto der Konferenz ist ‚One Family, One Future‘, aber die Menschheit benimmt sich im Moment nicht wie eine Familie“, sagte Habeck in Goa und verwies auf das Leid, das durch den Krieg versucht werde.

Nach Wirtschaftsminister Habeck werden auch Umweltministerin Steffi Lemke und Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Rahmen von G20-Treffen in Indien erwartet. Im September soll zum G20-Abschluss Bundeskanzler Olaf Scholz ein weiteres Mal in Delhi begrüßt werden.

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