Erinnerung an Hardy Worm: Feuerwerk der Wortpatronen

Er war Dadaist, schrieb Satire und auch Kriminalromane: Vor 50 Jahren ist der antifaschistische Journalist und Schriftsteller Hardy Worm gestorben.

„Die Journalisten“ heißt das Bild aus dem Jahr 1925 von Hannah Höch, das eine Besucherin in der Berlinischen Galerie in Berlin betrachtet

Zeittypischer Dada-Blick auf „Die Journalisten“ von Hannah Höch Foto: picture-alliance/dpa/Stephanie Pilick

„Rot leuchtete die Fackel. Hei, wie die Häuser brennen. Qualm würgt. Feuer, Feuer! Hä, hä!“ – Ohne Sinn, aber mit Verstand preschte Hardy Worm 1921 durch „Das Bordell“, eine sogenannte groteske Publikation, die Teil einer „Dada-Mappe“ war. Ein Feuerwerk der Wortpatronen in einem stilistischen Niemandsland: „Menschen zerplatzen in Farben. Hallo! Der Sturm. Kochende See.“ Provokation, Kunst oder Unsinn? Ansichtssache!

Unter anderem verarbeiteten die Dadaisten die Folgen menschlicher Verzweiflung, geboren aus den Erfahrungen des Krieges: „Ich bin nicht. Ich lebe nicht. In mir ist alles so leer. Das ist das Ende. Oder der Anfang. Es ist alles so unsinnig“, seufzte da Fürst Metternich an einer Stelle, und das Beil fiel in sein Genick. Warum, das wusste nur das Dada-Kunstkollektiv, diese nervösen Freigeister – allen voran Raoul Hausmann und der „Oberdada“ Johannes Baader –, deren Ziel auch die Zerstörung der bürgerlichen Ordnung war.

Da reichte dann schon eine Dirne mit entblößter Brust auf der Titelseite, um die Hüter der Moral auf den Plan zu rufen. Mit dem Ergebnis, dass „Das Bordell“ beschlagnahmt und verboten wurde: „Verletzt gröblich das Sittlichkeitsempfinden“, schrien Staatsanwalt und Moralapostel erbost und zerrten Worm vor Gericht.

Doch der verließ beschwingt als freier Mann das Gerichtsgebäude, wenn auch um 200 Mark Geldstrafe erleichtert. Aber weil Dada nicht ausschließlich sein Lebensinhalt war, vergoss er darüber keine Tränen, auch wenn es ihn schon geschmerzt hatte, dass Alfred Kerr seine „Harakiri“-Blätter – auch ein Teil der Dada-Mappe – als „Bierulk mit Weltanschauung“ diskreditiert hatte, wie er 1966 in einem Brief an Wolfgang U. Schütte schreiben würde.

In der Folge machte er einfach mit dem weiter, was er am besten konnte: Schreiben, das aber nur für den Tag. Das war nämlich die Devise des Journalisten, der am 8. Februar 1896 in Deutsch Wilmersdorf (Berlin existierte bis 1920 ja gar nicht als Großstadt heutigen Zuschnitts) als Eberhard Friedrich Emil Worm zur Welt gekommen war.

Nach einem Volontariat bei einer Zeitschrift hatte der Sohn eines Verkäufers zunächst den Gedichtband „Schreie aus dem Kerker“ vorgelegt, in dem er seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg verarbeitet hatte, aber ebenso seine Zeit im Knast. 1919 hatte man ihn „wegen staatsumstürzlerischer Umtriebe“ – gemeint war Worms Mitgliedschaft bei einem Arbeiter- und Soldatenrat und seine Agitation für den Spartakusbund – sechs Monate inhaftiert. Das aber in prominenter Gesellschaft. In der Nachbarzelle saß der kommunistische Publizist Karl Radek, der ihm, so kann man vermuten, politisch zum Lehrmeister wurde, sodass Worm auch für kurze Zeit Mitglied der KPD wurde.

Aufsässiger Singvogel

Anprangern, die politischen Zustände im Land entlarven und publik machen, dabei nahm Worm nie ein Blatt vor den Mund: „Man hat das Empfinden, als besäße niemand mehr Vernunft und anständige Gesinnung. Die Republik ist verloren“, diagnostizierte er bereits 1921 die fragilen Zustände im Reich.

Worm flutete in den 1920er Jahren, wie so viele seiner Zeitgenossen, etliche Publikationen mit seinen Texten. Die revolutionäre Aufbruchstimmung hatte dazu geführt, dass sich jede Gruppierung auch ein entsprechendes Sprachrohr suchte. Als „Mutter aller Satirezeitschriften“ diente vor allem der Simplicissimus, der bereits seit 1896 erschien und mit seinen Karikaturen höchste Maßstäbe gesetzt hatte, die immer äußerst scharfe Gesellschaftskritik beinhalteten.

Bei der Berliner Volkszeitung war Worm zudem für die satirischen ULK-Seiten verantwortlich, das sorgte für eine gewisse pekuniäre Stabilität, und da konnte man auch mal experimentieren. Doch der Versuch, das Kabarett „Rote Nachtigall“ – Worm schrieb unter anderem Texte für die deutsch-jüdische Kabarettistin Annemarie Hase – mit Unterstützung von Kurt Tucholsky ins Leben zu rufen, scheiterte. Tucholsky, erinnerte sich Worm in einem weiteren Brief an Schütte, der in der Exilsammlung der Deutschen Nationalbibliothek zu finden ist, „kniff“ nämlich.

Die Eröffnung musste vom 8. auf den 11. November 1922 verschoben werden und als Ersatz für den perdu gegangenen Conférencier wurde Hans Hyan verpflichtet. Der erschien im roten Retro-Samtjackett und Joachim Ringelnatz im Zustand der Volltrunkenheit. Das Publikum war nicht begeistert, und schon bald hauchte die Nachtigall ihr Leben aus, dieser aufmüpfige Singvogel, der eigentlich als „erstes literarisches Arbeiterkabarett“ gedacht war.

„Sprache ist eine Waffe“, das wusste schon Tucholsky, und auch Worm sah sich stets als Sprachrohr derjenigen, die den immer weiter um sich greifenden Faschismus bekämpfen wollten. Und die Satire-Zeitschrift Die Ente, deren Chefredakteur Worm zwischen Oktober 1931 und Februar 1933 wurde und die ausschließlich linksbürgerliche, kommunistische und sozialdemokratische Tendenzen vertrat, strotzte daher auch zuverlässig vor verbalen Angriffen gegen den braunen Widersacher, kongenial zeichnete sich vor allem der Karikaturist Karl Holtz die Finger wund.

Regelmäßig wurde schweres Geschütz aufgefahren, so zum Beispiel Hitler in der Irrenanstalt verortet oder ein Dorf namens „Hitlershofen“ erschaffen, in dem die Jünger des „Führers“ den Wahnsinnigen wie einen Gott verehrten.

Hardy Worm im „Ente“-Gedicht

„Anjetreten! Held markieren! Und Proleten massakrieren!“

Dann kam der Tag, an dem Worm mit seiner aufsässigen Ente nichts mehr ausrichten konnte und das Federvieh gerupft werden sollte. Schwach hatte es noch gekräht: „… eins könnt ihr nicht: uns davon überzeugen, daß wir unrecht haben und ihr im Recht seid“, und dann kurz vor dem Exitus noch den Fehdehandschuh in Richtung Hakenkreuzfahne geworfen.

Zeitnah marschierte dann auch eine Horde Nazis in die Redaktion der Ente und grunzte lautstark in Richtung Chefredakteurstuhl, der aber verwaist war, weil Worm gerade mit dem Herausgeber Bernd Gröttrup zechte. Er entkam den Schergen Hitlers nur knapp, eine Persona non grata, die sich auch mit Dolchstößen in Reimform wie „Anjetreten! Held markieren! Und Proleten massakrieren! Saal umstellen! Blut muss fließen! Janze Blase niederschießen!“ aus dem „Ente“-Gedicht „Die Nationalstrolchisten“ in akute Lebensgefahr gebracht hatte.

Die Geburt von Ferry Rocker

Worm emigrierte zusammen mit seiner Ehefrau nach Frankreich, eine Neugründung der Ente gelang dort nicht. Es folgte 1940 eine Zwischenstation in London, dann ließ sich das Paar 1945 in Wien nieder, wo Worm Redakteur des Neuen Österreich wurde und die österreichische Staatsbürgerschaft annahm. Abgerechnet wird zum Schluss, und das wurde der schonungslose Artikel „Eingefrorene Propagandatrompete“ in der Österreichischen Zeitung“ vom 20. Mai 1945 über das „Reich der Entmenschung“, dem er so gerade hatte entkommen können.

In gewisser Weise war Worm nach 1945 auch eine Art „aufgehörter“ Schriftsteller, wie Tucholsky sich selbst einmal bezeichnet hat. Sein literarischer Kampf gegen den Faschismus war für immer vorbei. Die Zeit als Berlin-Chronist aber auch, der in seinen Werken den Fokus auf das dunkle Berlin gelegt hatte. In bester Leo-Heller-Manier hatte er über Kaschemmen, anrüchige Viertel, Nepplokale, Falschspieler, Obdachlosenasyle, schwere Jungs, leichte Mädchen oder die Häuser an der Panke berichtet, und das oft anrührend.

Von den Menschen hatte er erzählt, die vor allem den Norden und Osten der Stadt bevölkerten, während die Hautevolee ihren falschen Talmiglanz und die Sinnlosigkeit ihres Daseins ganz woanders, nämlich auf den goldenen Tanzböden des Westens, zelebrierte: „Und überall grinst uns diese Leere an, die man mit Flitterkram zu verdecken sucht“, fasste Worm die Zustände in seinem Feuilleton „Berlin! Berlin“ einst sehr treffend zusammen. Eine gewisse „Urwüchsigkeit“, so war er sich sicher, war niemals in dieser oberflächlichen „Eleganten Welt“ zu finden.

Zeitgleich zu seiner journalistischen Tätigkeit hatte Worm auch immer ein Faible für Detektivgeschichten. Da ließ er, oft in Fortsetzungsromanen in Tageszeitungen, mal Sherlock Holmes Junior ermitteln oder schickte den Detektiv „Harry Wolter“ auf Spurensuche, also praktisch sich selbst, wenn man die Ähnlichkeit zu seinem eigenen Namen so deuten darf. Ebenfalls hatten frühe Zeitungsartikel à la „Das Haus, in dem der Mord geschah“ für diese Leidenschaft gezeugt, die nach seiner Emigration für ein Einkommen sorgte.

Nie wieder Fuß gefasst

Als vielseitiger Journalist – denn so sah er sich selbst – konnte er dennoch in Berlin, in das er im Jahr 1957 zurückgekehrt war, nie wieder Fuß fassen. Aus Hardy Worm wurde endgültig „Ferry Rocker“, der Verfasser von erfolgreichen Kriminalromanen, dessen Bücher in mehrere Fremdsprachen übersetzt wurden. Gegen Ende der 1960er Jahre entdeckte ihn der Schriftsteller Wolfgang U. Schütte wieder und korrespondierte mit ihm von Leipzig aus.

Das bewegte Leben des Hardy Worm endete am 29. August 1973 nach kurzer schwerer Krankheit in einem Krankenhaus in Zehlendorf, was nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und dem Literaturbetrieb blieb. Schütte veröffentlichte in den Jahren darauf mehrere Sammelbände mit Texten von Worm, die in den Vor- und Nachworten viele biografische Details über den mutigen Journalisten enthielten – unter anderem 1976 das „Hohelied vom Nepp“ oder 1981 das wunderbare „Mittenmang durch Berlin“. Bis heute ist jedoch ungeklärt, wie viele Pseudonyme Worm eigentlich hatte, es sollen mindestens zehn gewesen sein.

Er war nicht nur „Paddy Flip“ oder „Orje aus de Seestraße“, sondern auch „Der blutige Ernst“. Als Hardy Worm hingegen hat er einmal zu Schütte gesagt: „Ick habe doch bloß für den Tag jeschrieben und nicht für die Ewigkeit“. Dem soll an dieser Stelle ausdrücklich widersprochen werden.

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