Ehemaliger brasilianischer Präsident: Bolsonaro politisch kaltgestellt

Brasiliens Ex-Staatsoberhaupt Jair Bolsonaro darf bis 2030 nicht bei Wahlen antreten. Der Rechtsradikale will trotzdem politisch aktiv bleiben.

Jair Bolsonaro, ehemaliger Präsident von Brasilien, spricht mit Journalisten in einem Restaurant

Bolsonaro ist wegen Amtsmissbrauchs das passive Wahlrecht entzogen worden Foto: Thomas Santos/dpa

BERLIN taz | Um 12:33 Uhr, brasilianischer Zeit, stand am Freitag die Entscheidung des Obersten Wahlgerichtes fest: Gegen Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro wird ein Amtsverbot erteilt. Fünf Rich­te­r*in­nen stimmten dafür, nur zwei dagegen. Mit der Verurteilung ist Bolsonaro für die nächsten acht Jahre von allen Wahlen ausgeschlossen.

Am 22. Juni begann der Prozess gegen Bolsonaro. Die Anklage wirft ihm vor, bei einem Treffen mit Di­plo­ma­t*in­nen im Juli 2022, Falschinformationen über elektronische Urnen verbreitet zu haben. Der Vorsitzende Richter, Benedito Gonçalves, erklärte in seiner Urteilsbegründung: Das Wahlgericht stehe in der Pflicht, „die gefährliche Verbreitung von Desinformationen einzudämmen, die darauf abzielen, das demokratische System zu diskreditieren.“

Bolsonaros Verteidigung erklärte hingegen, ihr Mandant habe mit seiner Rede „Zweifel an der Transparenz des Wahlprozesses“ ausräumen wollen und bestand darauf, die Aussagen seien nicht an Wähler*innen, sondern an ausländische Di­plo­ma­t*in­nen gerichtet gewesen. Außerdem kündigte sie an, Rechtsmittel einzulegen und notfalls auch vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen.

Bei einer Pressekonferenz in der Millionenstadt Belo Horizonte erklärte ein sichtlich aufgewühlter Bolsonaro, die Verurteilung habe ihm einen „Stich in den Rücken“ erteilt. Brasilien befinde sich „auf dem Weg in eine Diktatur“.

An drei Wahlen – zwei Regionalwahlen und einer Präsidentschaftswahl – wird Bolsonaro nicht antreten können. Sonst drohen ihm keine weiteren rechtlichen Konsequenzen, weil es sich nicht um ein Strafverfahren handelte.

Die könnten aber in weiteren Ermittlungen auf ihn zukommen. Seit seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt Anfang Januar genießt Bolsonaro keine Immunität mehr vor Strafverfolgung. Anfang Mai durchsuchte die Bundespolizei das Haus des Rechtsradikalen. Der Vorwurf: Bolsonaro und einige seiner nächsten Angehörigen sollen mit gefälschten Impfpässen in die USA eingereist sein. Ende April musste Bolsonaro vor der Bundespolizei aussagen, die ihn als möglichen „intellektuellen Anstifter“ für die Ereignisse am 8. Januar sieht. An diesem Tag hatten seine An­hän­ge­r*in­nen das Regierungsviertel in Brasília gestürmt und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Außerdem soll Bolsonaro geschenkten Schmuck aus Saudi-Arabien ohne Verzollung ins Land gebracht haben.

Durch die diversen Ermittlungen sehen sich Bolsonaro-Unterstützer*innen in ihrer Auffassung bestätigt, dass ein „Komplott des Systems“ gegen ihr Idol im Gang sei. Doch nicht nur Bolsonaro-nahe Kräfte werfen der Justiz und den Ermittlungsbehörden eine zunehmende Politisierung vor. „Ich habe den Eindruck, dass die brasilianische Justiz in letzter Zeit dazu neigt, zu schauen, wer verklagt wird und welche Folgen das haben wird“, sagte der Politik-Professor und Autor Fernando Limongi im Gespräch mit der Tageszeitung Folha de São Paulo. Auch wenn der Angeklagte Bolsonaro heiße, dürfe die Justiz nicht den Eindruck erwecken, „es handele sich um einen politischen Rachefeldzug.“

Bolsonaro will weiter politisch aktiv bleiben

Bolsonaro gibt sich selbstbewusst und erklärte mehrfach, weiterhin politisch aktiv zu bleiben. „Das ist nicht das Ende der Rechten“, sagte er. Außerdem verkündete er, „ein Ass im Ärmel“ für die Wahl 2026 zu haben. Was das genau sein soll, verriet er aber nicht.

Während seiner Amtszeit schaffte es Bolsonaro, eine überaus aktive Bewegung hinter sich zu scharen – oft auch als Bolsonarismus bezeichnet. Immer noch verehren viele Bra­si­lia­ne­r*in­nen den ultrarechten Ex-Staatschef. Die Verurteilung werde sicherlich „einen Einfluss“ auf die Schlagkraft der Bewegung haben, glaubt Odilon Caldeira Neto, Geschichtsprofessor und Rechtsextremismusexperte, im Gespräch mit der taz. Der Bolsonarismus bringe jedoch ganz verschiedene Themen und unterschiedliche rechtsradikale Gruppen zusammen, die auch „ohne die Führung Bolsonaros“ weiterleben werden.

Laut Neto gebe es zudem viele Abgeordnete und Se­na­to­r*in­nen die weiterhin auf der „Bolsonaro-Welle“ surfen. Sicherheitsfragen und konservative Werte – Kernthemen Bolsonaros – dürften auch bei den nächsten Wahlen einen großen Stellenwert einnehmen. Trotz aller Loyalität haben bereits die Diskussionen über eine mögliche Nachfolge Bolsonaros begonnen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt derzeit der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas.

Dieser sagte nach dem Gerichtsurteil, die Führung Bolsonaros sei weiterhin „unbestreitbar“. Bei eingefleischten Bolsonaro-Fans gilt er allerdings als nicht loyal und radikal genug. Auch Bolsonaros Frau Michelle brachte sich unlängst für eine politische Karriere ins Spiel. Die streng gläubige Christin könnte gerade bei An­hän­ge­r*in­nen der Pfingstkirchen punkten, die immer mehr an Einfluss in Brasilien gewinnen. Jair Bolsonaro erklärte, es gebe „mehrere gute Namen“ für seine Nachfolge – natürlich werde er aber seine Frau unterstützen, sollte sie höhere Aufgaben anstreben.

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