Konzerte in Berlin: Awareness, Drugs and Rock ’n’ Roll

Nach Vorwürfen von sexualisierter Gewalt um Rammstein-Konzerte fordern die Grünen ein Awareness-Konzept. Das soll generell für kulturelle Veranstaltungen gelten.

Besucher*innen bei einem Konzert

Zu oft nutzen Stars das Machtgefälle zwischen den Fans aus Foto: Jana Legler/Redferns/getty

BERLIN taz | Der Fall Rammstein ist für Bahar Haghanipour nur der Auslöser. „Das ist kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem“, sagte die Grünen-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. „Der Kulturbetrieb ist mit seinem Starkult und den oft beträchtlichen Machtgefällen besonders anfällig für Machtmissbrauch.“

Die Grünen-Fraktion will daher ein umfangreiches Konzept für Kultur- und Sportveranstaltungen ins Abgeordnetenhaus einbringen. Damit wollen sie Be­su­che­r*in­nen bei Konzerten, auf Festivals, in Clubs und bei Kultur- und Sportveranstaltungen vor sexistischer und sexualisierter Gewalt schützen.

Demnach soll das Land Be­trei­be­r*in­nen von Veranstaltungen in Zukunft verpflichten, in ihren Sicherheitskonzepten auch Vorkehrungen gegen Gewalt, Missbrauch und Nötigung zu etablieren. Für Veranstaltungsstätten mit mehr als 5.000 Plätzen sollen die Maßnahmen obligatorisch sein – so, wie derzeit auch schon bestimmte Brandschutzvorkehrungen oder generelle Sicherheitsbestimmungen ab dieser Veranstaltungsgröße greifen.

„Dazu gehören Awareness-Teams, die für die Be­su­che­r*in­nen erkennbar und ansprechbar sein müssen, und auch Safer Spaces, also abgeschiedene Räume, in die sich insbesondere Frauen und Angehörige marginalisierter Gruppen zurückziehen können, wenn sie sich unsicher fühlen“, sagte Haghanipour. Für kleinere Veranstaltungen soll es eine Musterklausel geben, die auch hier die Ver­an­stal­te­r*in­nen dazu anhalten soll, Awareness-Konzepte anzuwenden.

Schulungen und Beratungen

Außerdem wollen die Grünen konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten, Schulungsformate entwickeln, Beratungsangebote ausweiten und sich daran beteiligen, einen Verhaltenskodex auszuarbeiten. Haghanipour machte dabei deutlich, dass sie solche Maßnahmen als kleinen Beitrag gegen Frauenhass und für Gleichberechtigung sieht. „Die Kultur- und Medienbranche braucht einen Kulturwandel“, sagte sie.

„Frauenfeindliche Strukturen ziehen sich durch alle Bereiche der Gesellschaft“, erläuterte Rechtsanwältin Asha Hedayati auf der Pressekonferenz die Hintergründe für ein solches Schutzkonzept. Sie vertritt vor allem von Partnerschaftsgewalt betroffene Frauen. „Oft erlebe ich, dass Frauen Angst davor haben, über ihre Gewalterfahrungen öffentlich zu sprechen, weil sie Abwertungen oder Angriffe fürchten“, sagt sie. „Das Umfeld der Täter schweigt, und ermöglicht die Taten dadurch.

Dieses Schweigen stabilisiert sexistische Strukturen.“ Kurzfristig könnten solche Konzepte und niedrigschwellige Anlaufstellen helfen, auf lange Sicht brauche es Arbeit mit den Männern an ihren Rollenbildern und Vorstellungen von Männlichkeit. Hedayati wies darauf hin, dass Deutschland sich mit der Istanbul-Konvention auch zur vorbeugenden Täterarbeit verpflichtet habe. „Doch gerade in der Prävention gibt es in Berlin noch beträchtliche Mängel“, sagte sie.

Die Vorschläge wolle sie auch mit der Zivilgesellschaft diskutieren, sagt Haghanipour. „Für Berlin gibt es aus der Theaterbranche, vom Musicboard und von der Clubcommission schon gute Ansätze.“ Darauf wolle sie nun aufbauen. Die Grünen wollen das Konzept im Herbst ins Parlament einbringen und hoffen auf Unterstützung auch aus anderen Fraktionen.

Awareness „von innen“

Ak­teu­r*in­nen wie die Clubcommission oder die Initiative Fairstage setzen ebenfalls auf Awarenessarbeit. Sie gehen allerdings davon aus, dass das „von innen“ passieren muss, damit sich auch wirklich langfristig und grundlegend etwas ändert. „Awareness kann nicht durch einen Ruf von oben kommen, sie muss intern entstehen“, sagte Katharin Ahrend im Juni im taz-Interview. Sie ist Co-Geschäftsführende der Awarenessakademie, die seit 2019 Teil der Clubcommission ist und zu Diversität und Antidiskriminierung arbeitet.

Ahrend fordert: „Die Politik muss sich überlegen, wie vorhandene Strukturen ausgebaut werden können.“ Für die Politik sei die Awarenessakademie immer ansprechbar, denn es sei wichtig, dass ein Kodex für Awarenessarbeit aus der tatsächlichen Arbeit heraus entstehe.

Einen weiteren Impuls setzt Fairstage, ein Projekt, dass sich für den Abbau von Diskriminierung an Berliner Theatern einsetzt. Die Senatsverwaltung rief das Modellprojekt 2021 ins Leben, nachdem es gegen die Schaubühne und das Gorki Vorwürfe des Machtmissbrauchs und der sexualisierten Gewalt gab. Haghanipour betonte den Vorbildcharakter des Projekts. Das Konzept der Grünen solle deshalb daran angelehnt entwickelt werden. Die Initiative beinhaltete Ex­per­t*in­nen Interviews und ein offener Dialog mit unterschiedlichen Akteur*innen.

Proteste am Olympiastadion

Auch bei den drei Rammstein-Konzerten im Olympiastadion ab Samstag wird ein Awareness-Team anwesend sein. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte außerdem Aftershow-Partys in Gebäuden des Landes Berlin untersagt. Auch die ominöse „Row Zero“, aus der heraus bei vergangenen Konzerten junge Frauen dem Sänger zugeführt worden sein sollen, wird bei den Berliner Konzerten wohl leer bleiben. Im Vorfeld hatten zwei Initiativen in Schreiben an den Senat ein Verbot der Konzerte gefordert. Verbieten lassen sie sich nicht, wie der Senat am Donnerstag noch mal betonte, die Verträge seien gültig.

Doch unkommentiert werden die Konzerte nicht stattfinden. Die Gruppe „Kein Rammstein Berlin“ hat für Samstag zu einer Demonstration aufgerufen. Um 14.30 Uhr wollen die Demonstrierenden am Theodor-Heuss-Platz starten, um dann 16 Uhr vor dem Konzert im Olympiastadion ihre Solidarität mit den Betroffenen auszudrücken.

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