Ausstellung „Learning from Loheland“: Aus dem Körper heraus

Seit den 1920ern erprobten Frauen in der Siedlung Loheland reformpädagogische Konzepte. Eine Hamburger Ausstellung fragt, was wir davon lernen können.

Frauen in weißen Gewändern werfen Bälle auf einer Wiese.

Beherrschung des Körpers als Basis: Ein Foto der Lichtbild-Werkstatt zeigt Frauen beim Ballwurf 1930 Foto: Loheland Stiftung Archiv

100 Jahre Bauhaus: Klar, das wurde 2019 gefeiert. Zwei neue Museen eröffneten, in Weimar und Dessau, den historischen Wirkungsstätten dieser Avantgarde-Schule.

Aber auch der Norden Deutschlands sichtete Spuren. Das Landesmuseum Oldenburg würdigte das Werk und die internationale Wirkung des aus Aurich stammenden Ex-Bauhausstudenten Hin Bredendieck.

In Hamburg gingen Architekturarchiv und Freie Akademie der Künste dem Einfluss von Bau­häus­le­r:in­nen auf die lokale Landeskunstschule nach – da gab es erstaunlich viele. Und in Celle brüstete man sich mit dem Werk von Otto Haesler. Er wäre 1930 um ein Haar neuer, chronologisch dritter Leiter des Dessauer Bauhauses geworden, aber er lehnte ab, um sich weiterhin auf sein gut ausgelastetes Architekturbüro konzentrieren zu können.

1919, also parallel zur Gründung des Bauhauses, startete ein weiteres großes, reformpädagogisches Experiment in der ästhetischen Erziehung, das 2019 dann allerdings durchs Raster der Feiern fiel: die Frauenbildungsstätte und Siedlung Loheland in der Rhön nahe Fulda, genauer die „Schule für Körperbildung, Landbau und Handwerk“.

Demeter und Deutsche Doggen

Lag es daran, dass eine Bildungsstätte einzig für Frauen in der Weimarer Republik bereits ein Anachronismus war, hatte die Verfassung ihnen doch 1919 nicht nur das volle Wahlrecht, sondern auch den uneingeschränkten Zugang zu Berufsausbildung, Hochschulen und Akademien gesichert? Oder fehlte dem Bildungsexperiment im Loheland (noch) die richtige feministische Vision, um es 2019 von dieser Seite aufs Tapet zu hieven?

Loheland war mit ähnlich umfassendem Anspruch angetreten wie das Bauhaus, dessen Gründungsdirektor Walter Gropius ja „die Umwandlung des ganzen Lebens und des ganzen inneren Menschen“ gefordert hatte. Durch beide Bildungsstätten waberte Anthroposophisches, eigenes Gemüse wurde angebaut.

In Weimar griff man aus Kostengründen zur Selbstversorgung, kredenzte ein Mus aus Rohkost, dem, um irgendeinen Geschmack zu erzielen, reichlich Knoblauch beigemengt wurde – das gern kolportierte olfaktorische Erkennungszeichen des frühen Bauhauses. In Lohe­land kultivierte man von Anbeginn sehr ambitioniert biodynamisch nach Demeter-Standards. Später kam die erfolgreiche, rein vegetarische Zucht Deutscher Doggen hinzu, selbst der New Yorker Bürgermeister erstand einen Hund.

In beiden Einrichtungen war die sportive Gymnastik im Freien fester Bestandteil des Programms. Die Wahrnehmung und Beherrschung des eigenen Körpers wurde Basis künstlerischer Ausdrucksformen jedweder Disziplin.

Die beiden Gründerinnen des Loheland, Louise Lang­gaard (1883–1974) und Hedwig van Rohden (1890–1987), waren ausgebildete Gymnastik-, Turn-, aber auch Zeichenlehrerinnen, sie planten ab 1912 das gemeinsame, rein privat finanzierte Projekt. 1919 institutionalisierten beide nicht nur eine Gymnastiklehre, die „Loheländerinnen“ entwickelten aus dem Körpertraining einen expressiven Ausdruckstanz, mit dem sie in den frühen 1920er-Jahren deutschlandweit Erfolge feierten, auch am Bauhaus. Ihre Tänze sollen durch futuristische, sehr freizügige Kostüme unterstützt worden sein. 1923 brannte der Fundus aus, die Aktivitäten lebten nicht wieder auf.

Heimatschutzstil statt Flachdach

Ähnlich dem Bauhaus dienten Werkstätten der zweijährigen, künstlerisch-handwerklichen Berufsausbildung: eine Handweberei für Stoffe geometrischer Muster à la Bauhaus, eine Schreinerei, Drechslerei, Schneiderei, Töpferei. Lederwaren wurden hergestellt, eine innovative „Lichtbildwerkstatt“ experimentierte mit kameralosen Fotogrammen.

Learning from Loheland: bis 13. 8., Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe

Stoffe, Korbwaren und andere Markenprodukte verkauften sich gut, so auch 1925 über eine Vertretung im Hamburger Alsterhaus: alles kunsthandwerkliche Unikate in modernem, sachlichem Design, aber keine Industrieware, wie sie das Bauhaus anstrebte.

Gänzlich anders war auch das architektonische Selbstverständnis: Statt weißer Moderne mit Flachdach zeichnet ein expressionistischer Heimatschutzstil in Sichtmauerwerk unter spitzem Dach viele der gut 20, mittlerweile denkmalgeschützten Originalgebäude aus. Darunter ist auch die „Waggonia“ aus umgebauten Eisenbahnanhängern.

Während das Bauhaus sich 1933 selbst auflöste, manövrierte Langgaard, allerdings ohne van Rohden, das Loheland durch die NS-Diktatur. Nach 1945 beschränkte es sich zunehmend auf eine Berufsfachschule für Gymnastik. In den 1990er-Jahren schloss die Weberei als letzte Werkstatt, 2009 verließ die allerletzte staatlich geprüfte Gymnastiklehrerin Loheland, eine von insgesamt 500 Schülerinnen im Laufe der Jahre. Das Areal dient mittlerweile der Waldorfpädagogik.

Reichlich Raum für Spekulationen

Was lässt sich von Loheland heute noch lernen? Dieser Frage nähern sich derzeit sechs jüngere Künstlerinnen in ihrer Gemeinschaftsausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe an.

Die Ini­tiative ging von Judith Kisner aus, die verstorbene Mutter der Hamburgerin war Loheland-Absolventin der Gymnastik. Kisner widmete ihre Masterarbeit dem Thema, schlug Kolleginnen für eine gemeinsame Vor-Ort-Recherche vor.

Entstanden ist ein Parcours, der historische Verweise und Originale aus dem Loheland-Archiv mit sehr individuellen Interpretationen spiegelt. Wobei Parcours auch wörtlich genommen werden kann, denn die in Berlin lebende Bühnenbildnerin Marie Gimpel steuert ein begehbares System aus Stegen sowie Sitzflächen bei. Deren Oberflächen aus Memory-Schaumstoff konservieren für eine Weile die „Eindrücke“ nach dem Benutzen.

Kisner selbst ist mit Collagen ihrer „Milimani (Eva-Haus)“-Serie vertreten. Das schmale Eva-Haus mit dem extrem spitzen Dach ist ein markantes Gebäude im Loheland, hier wohnte einst die Tanzpä­dagogin Eva Maria Deinhardt. Kisner bettet Fundstücke, auch aus dem Nachlass ihrer Mutter, in einen Astrid-Lindgren-gerechten Zaubermantel aus gestepptem Textil, erweckt sie so zu neuem Leben.

Die Hamburgerin Alex Hojenski reflektiert die körperbetonte Lehre des Loheland in schwebenden, textilen Hüllformen für das Selbstexperiment.

Filme und Performances von Jasmin Preiss, Julia Rómas und Lea Sievertsen gehen dem Gemeinschaftssinn des Loheland oder seinem androgynen, optisch mitunter maskulinen Frauenbild nach. Dabei zeigt sich: Ähnlich dem bislang wohl nur in Ansätzen aufgearbeiteten Archiv des Loheland bietet die Ausstellung viel Unbekanntes zum Entdecken – und auch reichlich Freiraum für Spekulationen.

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