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Braune Wolken über Sonneberg

Erstmals gewinnt die AfD eine Landratswahl in Deutschland. Die rechte Partei jubelt. An seinem Medienverständnis möchte der neue Landrat Sesselmann wohl nichts ändern

Volksfest­stimmung in Sonneberg: AfD-Wahlparty am Sonntagabend Foto: Jacob Schröter/imago

Aus Leipzig Rieke Wiemann

Am Sonntag um zwanzig vor acht – das Ergebnis der Stichwahl um den neuen Landrat im südthüringischen Landkreis Sonneberg steht gerade fest –, hat Heidi Büttner es noch nicht realisiert. Die 60-Jährige, die für die Grünen im Sonneberger Kreistag sitzt, hatte bis zum Schluss gehofft, dass der CDU-Kandidat Jürgen Köpper das Rennen um den Landratsposten macht.

„Ich habe mich noch gar nicht mit dem Gedanken befasst, dass die AfD das Amt des Landrats übernimmt“, sagt Büttner mit brüchiger Stimme am Telefon. Sie spricht langsam und klingt so, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Während des Telefonats ringt die Grünen-Politikerin immer wieder um Worte. „Wir sind ziemlich geschockt.“

Heidi Büttner hat die Auszählung der Stimmen im Sonneberger Gesellschaftshaus verfolgt – jenem Ort, wo die ehemals vier Land­rats­kan­di­da­t:in­nen am 1. Juni vor knapp 500 Zu­schaue­r:in­nen in einem Wahlduell gegeneinander antraten. Weil das Medieninteresse an der Stichwahl so groß war, hatte das Sonneberger Landratsamt die Präsentation der Wahlergebnisse vom Sitzungssaal des Landratsamts in das Gesellschaftshaus verlegt. Vor allem Jour­na­lis­t:in­nen hätten an der Veranstaltung teilgenommen, erzählt Büttner, aber auch Bür­ge­r:in­nen und Politiker:innen. „Etliche waren schwer betroffen und sind erst mal nach Hause gegangen.“

Die gemeinsame Kandidatin der Linken und Grünen schied bereits im ersten Wahlgang aus. „Wir haben im Wahlkampf gemerkt, dass ganz viele Leute Zukunftsängste haben und denken, dass sowieso alles den Bach runtergeht“, sagt Büttner. Das spiegele sich jetzt in dem Wahlergebnis wider.

Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann, der schon im ersten Wahlgang vor zwei Wochen mit 46,7 Prozent die meisten Stimmen bekam, hat die Stichwahl mit 52,8 Prozent gewonnen. Jürgen Köpper von der CDU erhielt 47,2 Prozent – 5,6 Prozentpunkte weniger als Sesselmann.

Die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang war mit 59,6 Prozent höher als im ersten. Von den knapp 48.000 Wahlberechtigten hatten im ersten Durchgang vor zwei Wochen nicht mal die Hälfte (49,1 Prozent) ihre Stimme abgegeben. Sonneberg liegt ganz im Süden von Thüringen an der Grenze zu Bayern, knapp 57.000 Menschen leben dort. Es ist der kleinste und einwohnerschwächste Landkreis in ganz Ostdeutschland.

Die AfD hat es in den vergangenen zwölf Monaten in Ostdeutschland schon öfters in Stichwahlen geschafft, sowohl bei Landrats- als auch bei Bürgermeisterwahlen. Gewinnen konnte die extrem rechte Partei bisher aber nie – was auch daran lag, dass sich die demokratischen Parteien fast immer zusammengetan und zur Wahl des AfD-Konkurrenten aufgerufen haben, nach dem Motto: Gemeinsam gegen die AfD.

Auch in Sonneberg haben die Kreisverbände der Linken, Grünen und SPD den Kandidaten der CDU unterstützt, selbst Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warb für Köpper. Gereicht hat der Schulterschluss der demokratischen Parteien diesmal nicht. Die AfD hat ihr lang ersehntes Ziel, ein Amt auf kommunaler Ebene zu erlangen, erreicht. Sie stellt mit Robert Sesselmann nun erstmals einen Landrat in Deutschland.

Sesselmann, 50 Jahre, ist in Sonneberg etabliert und als Rechtsanwalt angesehen. Er sitzt für die AfD im Thüringer Landtag, im Sonneberger Kreistag sowie im Stadtrat der gleichnamigen Kreisstadt. Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet.

Sesselmann ist ein Politiker, der nicht die mediale Aufmerksamkeit sucht. Im Gegenteil. Man könnte sogar sagen, er versteckt sich vor der Presse. Interviewanfragen der taz lehnte Sesselmann schon Ende Mai strikt ab, auch Fragen per Mail beantwortete er nicht. Wie will sich Sesselmann als Landrat gegenüber den Medien verhalten? Ist er nun für ein Gespräch bereit? Sesselmann antwortet bis Redaktionsschluss nicht. Stattdessen geht sein Mitarbeiter Andreas Groß ans Telefon. Genauso wie Sesselmann arbeitet er als Rechtsanwalt und sitzt für die AfD im Sonneberger Kreistag. Groß geht davon aus, dass Sesselmann an seinem Umgang mit der Presse nichts ändern werde. „Ich persönliche halte das für extrem ratsam“, sagte der AfD-Politiker der taz.

Vom AfD-Landeschef, dem Rechtsextremisten Björn Höcke, grenzt Sesselmann sich nicht ab. Auf Facebook postet er Fotos mit Höcke, vor einer Woche haben die beiden zusammen Wahlkampf in Piesau gemacht, einer kleinen Gemeinde im Landkreis. Sesselmann hat im Wahlkampf auf bundespolitische Themen gesetzt: Austritt aus dem Euro, Russlandsank­tionen aufheben, Abschiebung „krimineller“ Geflüchteter beschleunigen, „sichere Grenzen“ und ein Ende der „linksgrünversifften Verbotspolitik“. Auf Themen also, auf die er als Landrat gar keinen Einfluss hat.

Noch ist Sesselmann nicht im Amt. Der Kreiswahlausschuss stellt das Wahlergebnis erst am Mittwochvormittag final fest. Dann benachrichtigt der Wahlleiter den Gewählten schriftlich über seine Wahl. Stimmt Sesselmann zu oder lehnt er seine Wahl nicht binnen einer Woche ab, gilt die Wahl als angenommen. Die Amtszeit des neuen Landrats beginnt einen Tag nach der Annahme der Wahl.

Die AfD feiert Sesselmanns Sieg als Meilenstein auf dem Weg zur Normalisierung. Parteichefin Alice Weidel twitterte, Robert Sesselmann habe „Geschichte geschrieben“.

Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke teilte mit, dass von Sonneberg ein „politisches Wetterleuchten“ ausgehe. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen und sich dann auf die Landtagswahlen vorbereiten, wo man ein „politisches Erdbeben“ im Osten erzeugen könne.

Der unterlegene CDU-Kandidat Jürgen Köpper bezeichnete den Wahlausgang als „enttäuschend“ und sprach von einem schlechten Tag für den Landkreis und für Thüringen. Noch vor dem ersten Wahlgang hatte der 57-Jährige gleichwohl mitgeteilt, dass er einen Sieg der AfD für „nicht unwahrscheinlich“ halte.

Köpper war von März 2021 bis heute amtierender Landrat. Er wurde nicht gewählt, sondern hat den erkrankten Landrat Hans-Peter Schmitz (parteilos) vertreten. Im März 2023 wurde Schmitz in den Ruhestand versetzt. Regulär wäre seine Amtszeit erst am 30. Juni 2024 zu Ende gegangen. Daher fand vorzeitig eine Neuwahl statt.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) betonte im ZDF, dass Sonneberg eine „wirtschaftlich sehr starke und prosperierende Region“ mit guter Lohnentwicklung sei. „Trotzdem haben die Sonneberger für sich entschieden, dass sie ein Signal an die ganze Republik senden wollen, dass ihnen viele Dinge einfach nicht gefallen.“

Sesselmann habe nun das Vertrauen bekommen. Der neue Landrat werde nachweisen müssen, dass er bewege, was der Landkreis brauche. „Er führt eine Verwaltung“, betonte Ramelow.

Thüringens Innenminister und SPD-Vorsitzender Georg Maier bezeichnete das Wahlergebnis als „Alarmsignal für alle demokratischen Kräfte“. Er kündigte noch am Sonntag über Twitter an, die Landesvorsitzenden von CDU, Grüne, Linke und FDP zu einem Gespräch einzuladen, um über das Wahlergebnis in Sonneberg zu beraten.

Wissenschaftler warnen indes vor einer weiteren rechten Diskursverschiebung insbesondere in Ostdeutschland. Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich schrieb auf Twitter, die AfD werde versuchen, mehr aus dem Sonneberger Ergebnis zu machen, als es ist. Zugleich zeichne sich ab, dass möglicherweise weitere gewonnene Stichwahlen in weiteren Regionen die Normalisierung der AfD stabilisieren und ein politischer Gewöhnungseffekt eintreten würde. Statt den Blick nur auf die AfD zu richten, müsse „das ganze mehrdimensionale Ökosystem rechter Hegemonie“ gerade in Ostdeutschland angeschaut und verstanden werden, sagte Begrich.

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