Angeblich gekaufte Listenplätze: Die Kriegskasse der AfD
In Niedersachsen wurden am Mittwoch Einsprüche gegen die Landtagswahl verhandelt. Vorwürfe gibt es gegen die AfD wegen fragwürdiger Zahlungen.
Die Vorwürfe haben eine lange Vorgeschichte. Schon vor der Wahl erklärte der im Streit geschiedene Ex-AfD-Landtagsabgeordnete Christopher Emden in einem ZDF-Interview, er sei aufgefordert worden, für einen vorderen Listenplatz Geld zu bezahlen. 4.000 Euro seien dies in seinem Fall gewesen. Zahlbar auf ein Konto, auf das allein Ansgar Schledde Zugriff hatte – damals Landes-Vize, heute Fraktions-Vize der AfD. Gegen den wurden Ermittlungen eingeleitet und wieder eingestellt, die Staatsanwaltschaft Osnabrück hielt eine Untreue zulasten der Partei für nicht nachweisbar.
In den Augen des Ex-FDP-Landtagsabgeordneten Marco Genthe bedeutet dies allerdings noch lange nicht, dass damit nicht gegen das Wahlrecht verstoßen wurde. Der Rechtsanwalt hat gemeinsam mit dem ehemaligen Fraktionsmitarbeiter Alexander Grafe Einspruch eingelegt – als Privatpersonen, wie sie betonen, und nicht im Auftrag der FDP, die bei dieser Wahl aus dem Landtag flog.
Aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergäbe sich, sagt Genthe, dass mindestens sechs der aktuellen AfD-Landtagsabgeordneten Geld auf dieses Konto eingezahlt haben – mit Betreffzeilen wie „Kriegskasse“, „Kk“ oder „Aktionskasse“. Rund 16.000 Euro sollen allein aus diesen Kreisen geflossen sein, 41.000 Euro insgesamt. Daraus bestritten wurden nach Genthes Ansicht Fahrt- und Hotelkosten von Delegierten, Barabhebungen für „Handgeld“, aber auch sonstige Gefälligkeiten – wie die Gebühren für eine medizinisch-psychologische Untersuchung eines Parteimitgliedes zur Rückerlangung des Führerscheins.
Wahlleiterin ist skeptisch
Allein daraus ergebe sich der Verdacht, das hier eben keine freie und geheime Wahl stattgefunden habe, sondern das Wahlergebnis beeinflusst wurde, argumentieren Genthe und Grafe. Zumal es sich um ein Mischkonto, auch zum privaten Gebrauch Schleddes, gehandelt habe und nicht um ein Parteikonto. Das sei also überhaupt nicht vergleichbar mit den üblichen Spenden von Mandatsträgern in anderen Parteien, die sich auf diese Weise an Wahlkampfkosten beteiligten. Da gäbe es nämlich Spendenbescheinigungen und Rechenschaftsberichte, die für Transparenz sorgten.
Und es ist nicht der einzige Punkt, an dem die beiden Liberalen die Listenaufstellung der AfD für anfechtbar halten. Auch der Vorstand sei nicht ausreichend legitimiert gewesen – der Landesvorsitzende Jens Kestner, ein Fan von Björn Höcke, sei nach langen internen Machtkämpfen aus dem Vorstand gedrängt worden, aber nicht ordnungsgemäß zurückgetreten.
Die Wahl des neuen Vorstandes sei hinzu nicht innerhalb der von der Satzung vorgesehen Fristen erfolgt. Und auch die Einsetzung einer Delegiertenversammlung zur Verabschiedung der Wahlliste sei zu kurzfristig und ohne Verankerung in der Satzung erfolgt.
Die Landeswahlleiterin hält dem entgegen, dass es für die tatsächliche Verknüpfung zwischen Listenplatz und Zahlung keine ausreichenden Beweise gebe – möglicherweise habe Emden sich auch bloß öffentlichkeitswirksam distanzieren wollen, um eine Wiedereinsetzung in sein Richteramt zu befördern. Satzungsfragen hätte sie in ihrem Amt ohnehin nicht zu prüfen gehabt – die konkrete Ausgestaltung von Wahlen liege im Bereich der Parteiautonomie. Sie müsse nur prüfen, ob die allgemeinen Wahlgrundsätze eingehalten wurden, und das sei hier der Fall gewesen.
Was die Arbeit des Ausschusses nicht einfacher macht, ist der krawallige Auftritt des Ex-AfDlers Friedhelm Pöppe, der ebenfalls Einspruch eingelegt hat, mit wüsten Vorwürfen von „Rechtsbeugung“ und „Dienstpflichtverletzungen“ um sich wirft und mit der Polizei droht, als man sich seiner Auffassung nicht umgehend beugt. Eine schnelle Entscheidung ist aber ohnehin nicht zu erwarten: Der Wahlprüfungsausschuss tagt nun im Geheimen weiter. Im September wird er eine Beschlussempfehlung für den Landtag vorbereiten. Gegen dessen Beschluss kann dann vor dem Staatsgerichtshof geklagt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Habecks Ansage zur Kanzlerkandidatur
Pragmatismus am Küchentisch