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Zwang zur Koedukation in PapenburgKlasse mit Jungs

Seltsam, dass in Zeiten von Safe Spaces Mädchen­schulen ein Auslaufmodell sind. Auch im Marien­gymnasium Papenburg kommen jetzt die Jungs.

Nun offen für alle: das Marien­gymnasium in Papenburg Foto: Hauke-Christian Dittrich/picture alliance

Papenburg taz | Nach 188 Jahren wird das Mariengymnasium im niedersächsischen Papenburg im nächsten Schuljahr auch Jungen aufnehmen, und die interessante Frage ist, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Helene ist Schülerin der 10. Klasse und fand die Idee so schlecht, dass sie im vergangenen Jahr mit ihrer Klasse eine Unterschriftenaktion dagegen startete. 313 von knapp 700 Schülerinnen haben unterschrieben.

Helene sitzt in einem Café neben der Schule, um davon zu erzählen, sie hat sich Notizen gemacht, um nichts Wesentliches zu vergessen, obwohl sie nicht so wirkt, als würde sie Wesentliches vergessen. Sie hat die Unterschriften gleich in doppelter Hinsicht nicht für sich gesammelt: Weil sie als Zehntklässlerin nicht davon betroffen ist, dass in den künftigen 5. Klassen Jungs dabei sind. Und weil sie für „schüchterne Mädchen“ den Entwicklungsraum erhalten wollte, den sie bislang hatten, und den sie wichtig findet, weil sie glaubt, dass es mehr schüchterne Mädchen als Jungen gibt. Sich selbst zählt sie nicht dazu, kein Wunder: Kürzlich hat sie an der Mathe-Olympiade teilgenommen, davor war sie in der Technik-AG und hat Programmieren gelernt, nebenbei ist sie noch bei People for Future.

Aber die 313 Unterschriften, die zusammengekommen sind, haben nichts genützt, denn bei der Öffnung für die Jungen ging es gar nicht um pädagogische Konzepte – es ging schlicht um Anmeldezahlen. Und die lagen mit 72 für die drei fünften Klassen unter den erforderlichen 75, mit denen man kostendeckend arbeiten und attraktive Kursauswahlen anbieten kann. „Das ist der absolute Kipppunkt“, sagt Thomas Weßler, der Vorsitzende des Stiftungsvorstandes der Schulstiftung im Bistum Osnabrück. Wenn man mit ihm telefoniert, wird schnell klar, dass es hier nicht um eine konzeptionelle ­Entscheidung geht, um ein Bekenntnis für oder gegen das Prinzip Mädchenschule. „An Monoeduaktion ist an und für sich nichts Verkehrtes, solange sie nachgefragt wird“, sagt Weßler. Und dass dem Mädchengymnasium in Papenburg – dem einzigen der Schulstiftung – ein paar demographisch schwierige Jahrgänge das Genick gebrochen haben.

Die Schule hatte sich ein einjähriges Moratorium erbeten, „superschöne Dinge gemacht“, so Weßler, und gezeigt, „was für eine gute Schulgemeinschaft sie hat“ – geholfen hat es nicht. Die Enttäuschung darüber hat Weßler abbekommen, „schön war es nicht“, sagt er, und dass es andererseits kein gutes Zeichen wäre, wenn die Schule nicht gekämpft hätte.

„Es hat nicht gereicht“, sagt Michael Bloemer, der Schulleiter in seinem Büro. Das Mariengymnasium hat die betoneckige Nicht-Schönheit aller Schulen, und dass es eine kirchliche ist, ist hier vor allem an einem sehr kleinen Ansteckkreuz an Bloemers Sakko zu sehen. „Im ersten Moment war es schwer, auch für die Kollegen, die die Mädchenbildung verinnerlicht haben“, sagt Bloemer. „Wir haben uns geschüttelt und machen jetzt das Beste daraus.“ Aber viel, so klingt es, ist gerade gar nicht zu tun. Neue pädagogische Konzepte schreibt man im Mariengymnasium nicht. „Es ist ja nicht die Quadratur des Kreises, wir nehmen Jungs auf“, sagt Bloemer. Zunächst wird man sie ganz normal mitlaufen lassen.

Wieso eigentlich kein Role Model?

Etwas Jungenerfahrung hat man ohnehin, weil das Mariengymnasium in der Oberstufe mit dem örtlichen Gymnasium gemeinsame Kurse anbietet, wenn man sie aus eigener Kraft nicht stemmen kann.

Es ist offenkundig, dass Michael Bloemer zu denen gehört, die die Mädchenbildung verinnerlicht haben. Er zieht einen Flyer hervor, den die Schule im Moratoriumsjahr bei einer Werbeagentur beauftragt hat, auch das hat nicht gereicht. „Es ist ärgerlich“, sagt er, „es gibt keine inhaltlichen Gründe, das bringt einen zum Nachdenken.“ Und zugleich stellt er fest, dass die Mädchenschule ganz generell stirbt, jenseits des Mariengymnasiums, das sei eine deutlich wahrnehmbare Tendenz.

Warum eigentlich? Warum ist die Mädchenschule in Zeiten, in denen „safe space“ ein weitestgehend anerkanntes Konzept ist, so komplett Auslaufmodell und so gar nicht Role Model? Weil sie mit der katholischen Kirche verbunden ist, die nicht gerade im Aufwind ist?

Schutzraum? Ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist

Michael Bloemer, Schulleiter

„Eigentlich“, sagt Thomas Weßler von der Schulstiftung, „haben die katholischen Schulen kein Nachfrageproblem.“ Es scheint also doch am Prinzip Monoedukation zu liegen. Diejenigen, die es erhalten wollen, vermeiden alle Begriffe, die nach Schutzbedürftigkeit oder Rückzug klingen. „Schutzraum?“, sagt Schuldirektor Bloemer, wenn man ihn danach fragt. „Ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist. Eher ein Ort, wo alle Kompetenzen, die Mädchen besitzen, entwickelt werden.“ Empowerment hätte die Werbeagentur vielleicht auf den neuen Flyer schreiben sollen, aber vielleicht wäre das auch kontraproduktiv gewesen.

Monoedukation gerade kein Thema

Für die Forschung zu geschlechtergerechtem Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften, und das ist bemerkenswert, ist Monoedukation zur Zeit kein Thema. „Studien hängen von Auftraggebern ab, und das Thema ist nicht mehr so in“, sagt Andrea Blunck, die eine Professur für Mathematik und Gender an der Uni Hamburg hat. „So etwas würde es heute nicht mehr geben“, sagt sie über ihre eigene Stelle, und es ist auffallend, dass die Mädchenschulen und die Genderprofessuren zu MINT-Fächern zur gleichen Zeit im Abwind sind. Jungen ließen sich in Mathematik eher auf Risiken bei der Suche nach Lösungen ein, Mädchen folgten eher Lösungsschemata und hielten sich bei dem, was man „fragend-­entwickelndes Lehrgespräch“ nennt, eher zurück. Ebenso wisse man, dass Jungen häufiger aufgerufen und häufiger gelobt würden.

Folgt aus all dem, dass man eine Mädchenschule braucht, um darauf Rücksicht zu nehmen?

Genderstereotype greifen ab der Pubertät

Immerhin kommen überpro­portional viele der Frauen, die Mathe­matik oder Naturwissenschaften studieren, von Mädchenschulen. Die mathematischen Fähigkeiten unterscheiden sich bei den Geschlechtern erst mit etwa zehn Jahren, und das ist für die Forschung Beleg dafür, dass dafür Genderstereotype verantwortlich sind, die ab der Pubertät greifen. Dann, und das nur als Fußnote, verschlechtert sich auch die Lesekompetenz der Jungen, die inzwischen ingesamt schlechtere Bildungsabschlüsse machen.

„Besonders mit Blick auf die Grundschulen müsste man heute eher eine Förderung der Jungen durch Monoedukation fordern“, sagt Thomas Weßler. Aber die überwiegende Mehrheit der Päd­ago­g:in­nen fordert ohnehin nicht Monoedukation, sondern eine sogenannte reflektierte Koedukation. Alles andere, so fürchten sie, würde Genderstereotype eher verewigen als aufbrechen.

Andrea Blunck etwa würde die Schü­le­r:in­nen nur phasenweise trennen und setzt ansonsten auf eine gendersensible Ausbildung der Lehrenden, die sich der unterschiedlichen Zugänge bewusst werden sollen und auch, etwa als Grundschullehrerin, der eventuell vorhandenen eigenen Angst, mathematisch unzulänglich zu sein. Denn diese Angst wird von den Lehrerinnen an die Schülerinnen weitergegeben. Nur: „Genderkompetenz spielt für Lehrkräfte in der Uniausbildung eine geringe Rolle“, sagt Blunck. Der Schwerpunkt liege auf dem Umgang mit heterogenen Gruppen, etwa in Bezug auf Lernschwierigkeiten.

Im Mariengymnasium Papenburg, vor dem Plakat der letzten Theateraufführungen, schwärmt Michael Bloemer von den Betriebspraktika bei einer Firma aus Leer, wo die Schülerinnen vor allem programmieren. „Wir hätten gern mehr Mädchen von euch“, hieße es dort immer, „die bleiben konzentriert bei einer Sache, während die Jungen daddeln.“ „Die Jungen sind Anwender, die Mädchen sind Entwickler“, sagt Bloemer, ohne seinen Stolz zu verbergen.

wochentaz

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Helene, die Schülerin aus der 10. Klasse, hätte sich mehr von der Unterschriftenaktion erhofft. Immerhin darf künftig jemand aus der Schülerverwaltung Beisitzerin im Sitzungsrat des Bistums sein. Ihr Zorn ist weitgehend verraucht. „Ich sehe es etwas gelassener“, sagt sie, „vielleicht ist es ein bisschen zeitgemäßer und wir kommen immer näher ans Berufsleben, an die Kooperation mit Jungs.“

Aber eigentlich will sie etwas anderes: die Wahlfreiheit, dass sich auch künftig Mädchen für reine Mädchenschulen entscheiden können, ohne dass das ein großes Ding wäre.

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8 Kommentare

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  • Das liegt wohl nur an einer unbegründeten Angst vor Veränderung. Mehr Diversittät ist immer besser und die Jungs werden diese Schule mit vielen neue Perspektiven bereichern.

  • Vielleicht liegt es an der kleinen Stadt. In Berlin müsste man es nur wollen

  • Mist. Langtext abgestürzt - Short cut.

    “Beie Nönnekes?!“ Meine Große*75 - Pruust!



    “Gut - daß du das verhindert hast!“



    (Mariengymnasium Arnsberg - da drückten sich auch grad 5/6 Jungs am Pausenende als letzte in die Klassen!)



    Sie jenseitiges Abi. “Haste dich durch Jungs gehindert gefühlt?“



    “Hä. Wieso das denn?“ Promoviert über ein als unlösbar geltendes Problem aus der Zellenecke. ImmunologenPreis. Prof Toronto ausgeschlagen.



    Funktionelle Oberärztin. Spezialistin für Neonatologie. Bei Thieme auf dem Zettel.



    Ende des 🎡 der Eitelkeiten!



    & But!



    Schieben wir doch bitte mal den unbedarft-nostalgischen



    Vorhang beiseite! Woll.



    Ok. Phasenweise Trennung ala Andrea Blunck - so angebracht & situativ sinnvoll. 🦆🦆🦆



    Aber. Der hier naiv apologetisierte nostalgische Retroschaum!



    Den! Braucht kein Mensch - insbesondere keine Fraun •

    unterm——btw but not only — Mariengymnasium et al - 🤒🤢🤧🤑 -



    Zu den subkutanen Infiltrationen der klerikalen Seelenverkäufer!



    Mit Rückkopplungen an welchen Himmelswart auch immer! Gelle.



    Ist jedes Wort zu viel! Newahr.



    Na aber Si’cher dat. Dat wüßt ich ever. Da mähtste nix.



    Normal Schonn •

    Ende des Vorstehenden

    • @Lowandorder:

      Phasenweise Trennung geht aber leider nach hinten los.



      War selbst Teil eines Experiementes in den 90ern. Koedukative Schule, aber Physikunterricht nach Geschlecht getrennt. Galt für einen ganzen Jahrgang in RLP (oder ein Teil von RLP, nicht ganz sicher)



      Ab der 11 wieder alle zusammen. Kein anderer Jahrgang hatte so wenige Schülerinnen, die in der Oberstufe Physik LK weitermachten, oder so viele Schülerinnen, die Physik ab der 11 komplett abwählten.



      Trennt man nur für ein Fach, werden die Leistungen in dem Fach herabgewürdigt. (Dir macht Physik Spaß? Ist aber ja auch nur Mädchenphysik!)



      Positive Wirkungen durch aufs Geschlecht angepassten Unterricht gibt es nur, wenn alle Fächer getrennt unterrichtet werden.

      • @Herma Huhn:

        Doch noch mal zu “Mädchenphysik“



        Das laß ich ala long nicht gelten! Woll



        ME ein typisches Lehrerding!



        Wer als Lehrer was drauf hat - grad in der Oberstufe - der schafft sich! einen Unterricht drauf - der alle mitnimmt & die Könner fordert!



        Und dann - aber nur dann - ist Schicht im DissenSchacht! Wollnich. But



        Ich kenn doch unsere Lehrer: machen hirnlos ihren Stiefel weiter! Gelle.



        Letzteres gern genderneutral!



        Mal der Jüngste*97 - Montessori!



        Nennt sich Naturwissenschaften!;)(



        “Jetzt weiß ich alles über Bakterien! Darüber hatse mal was gemacht!“ 🥱



        “Ok Ok. Wieviele in der Klasse sind echt interessant? 6-7?! Reicht doch. Hängt euch ins Netz & kaspert ab - was ihr verschärft wissen wollt!“



        Halbes Jahr später: “Und?“



        “Höerauf! Hat sich ein Gebiet direkt daneben rausgesucht! Das war’s! 🥱🥱“

        So geht das & Na Mahlzeit

        • @Lowandorder:

          Schön, dass Sie "Mädchenphysik" nicht gelten lassen.



          Hatte auch keine reale Grundlage. War das eine Mädchen im LK, kam nicht schlechter und nicht besser mit als die Jungs.



          Wird an anderen Schulen ähnlich gewesen sein.

      • @Herma Huhn:

        Danke für den Bericht aus den Mühen der Ebene.



        The proof is in the pudding!



        Denke dennoch - nicht nur meine Tochter! Auch unsere alte Dame*04 Lyzeum & meine knapp was ältere Tante Liese wahrscheinlich eine der ersten Dr. rer.oek. hätten sich über sojet schlapp gelacht ä“Jungs?“ - kannste in der Pfeife rauchen!“



        &



        “Meine Dame - meine Herren!“ Prof Beuthin BGB Uni Mbg 1968



        Hück - Das lange Gezottel locker in der Überzahl & im Schnitt die besseren Examamina!



        That’s it!

    • @Lowandorder:

      Moment Momentemal

      Warum wohl machen’s denn ehra Klerikalhütten heute noch auf! Woll.



      Doch nur um ehra Schäfchen ins trockne zu kriegen!



      Was da spitzenfalls bei rausbrät! Gelle.



      Kannste an Lichtgestalten wie Lasset & Kemmerich - “den kenn ich! Der ist in Ordnung!“ - 🥴🤢🤮🤑 - studieren!



      De zwaa Tuppes ahl Oecher Prente!



      & diese WeichKwaderschmiede wurde gezielt geschaffen im Dreiländereck!



      “Das Bischöfliche Pius-Gymnasium ist ein in der Trägerschaft des Bistums Aachen stehendes Gymnasium in Aachen, dessen Gründung 1956 von Bischof Johannes Pohlschneider initiiert wurde.“ Eben. Noch Fragen.



      de.wikipedia.org/w...s-Gymnasium_Aachen



      “1991 wurden zum ersten Mal auch Mädchen in die Klassen 5 und 11 aufgenommen. Die Schule wurde vierzügig, vorübergehend in Teilen auch fünfzügig.“

      Au Banan & Och härm.



      Au huur - ahl Frittezang!