Sexualwissenschaftler über Till Lindemann: „Er hat etwas Gepanzertes“

Im Pornovideo von Rammstein-Sänger Till Lindemann werden Frauen entsubjektiviert. Sebastian Schädler spricht über den fehlenden Spaß am Begehren.

Till Lindemann auf der Bühne vor einem Mikrofon

Rammstein-Sänger Till Lindemann während eines Konzertauftritts in Horsens, Dänemark, 2017 Foto: Sebastian Dammark/Gonzales Photo/imago

wochentaz: Herr Schädler, in einem jetzt von einer großen Öffentlichkeit entdeckten Pornovideo zu dem Song „Till the End“ sieht man Till Lindemann beim „Rough Sex“ mit jungen Frauen. Kei­ne:r wirkt dabei, als ob er oder sie Spaß hat – die teils Lindemann-Masken tragenden passiven Frauen werden auf Tische gepresst, gedemütigt und mit Gewalt fixiert, sie würgen am Lindemann-Penis, sehen gequält aus. Auch der Rammstein-Sänger selbst scheint sich nicht zu amüsieren. Was für eine Art Sex wird hier propagiert?

Sebastian Schädler: Dass es keine Begehrensinszenierung gibt, kein Spaß gezeigt wird, unterscheidet das Video von anderen „Rough Sex“-Videos. Bei üblichen Pornoproduktionen wird zumindest vorher oder hinterher irgendeine Art positiver Lust gezeigt. Ich nehme trotzdem erst mal an, dass der Film unter ordentlichen Produktionsbedingungen erstellt wurde und dass in ihm keine nichtkonsensuelle Gewalt zu sehen ist. Er ist eine Inszenierung und insofern ein Bestandteil unserer visuellen Kultur, in dem Sex gezeigt wird.

Geboren 1964, ist Schädler Professor für Sexualpädagogik im Studiengang Sexualwissenschaft an der MSB Medical School Berlin.

Ich habe also kein Problem mit den Sexpraktiken an sich, ein moralisches sowieso nicht. Ein Problem habe ich mit der Inszenierung dieser Praktiken. Die Frauen werden zu einer Art von Fleisch reduziert, sie bleiben – im Gegensatz zu Lindemann – namenlos, er arbeitet sich fließbandartig an Körpern und Löchern ab, das nennt man in der klassischen feministischen Kritik Entsubjektivierung, denn in der feministischen Pornografie haben Frauen immer eine Subjektivität, also ein eigenes Begehren an dieser Sexpraktik. Verboten ist diese Art der nichtfeministischen Pornografie dennoch nicht.

Bei einem konsensuellen Heterosex-Gangbang werden schließlich Männer auch auf ihre Sexualorgane reduziert.

Genau, die Reduktion an sich muss kein Problem sein. Sex muss nicht unbedingt mit Liebe oder mit Gefühlen zu tun haben. Man kann durchaus puren Sex, pure Praxis genießen – und das auch filmen, wenn es konsensuell ist. Sich jetzt darüber so zu ereifern wie Lindemanns Buchverlag, das ist eine überflüssige moralische Empörung. Für mich ist eher das Problem, was Lindemann als Sexualität für sich selbst inszeniert, dazu gibt es eine klassische feministische Theoriefigur: der Mann, das unbekannte Wesen. Männer kennen sich selbst nicht. Ich unterstelle Lindemann, so wie er sich darstellt, dass er seinen eigenen Körper in dessen Vielfältigkeit von Lust und Begehren nicht kennt. Das soll nicht heißen, dass er unbedingt auch mal Kuschelsex machen muss. Aber er hat ja wirklich eine Penisfixierung, wie sie im Buche steht.

Jedenfalls die von ihm inszenierte Künstlerfigur oder Persona hat eine.

Er zeigt seinen eigenen Körper, seinen eigenen Schwanz, das ist etwas Intimes, Persönliches. Die Differenz zwischen künstlerischem Ich und seiner Person ist darum eher klein. Seine Inszenierung von männlicher Sexualität entspricht dem Klischee, dass Männer sich selbst zwar nicht kennen, aber trotzdem glauben, dass es die höchste Form von Lust ist, wenn sie es Frauen mal „so richtig besorgen“. Männer sind in dieser Tradition diejenigen, die Frauen zum Beispiel durch SM-Praktiken beibringen, was sie noch nicht wissen.

Die Frau ist zwar der begehrte Körper, aber sie kann nichts mit diesem Körper anfangen. Sie braucht den Mann dazu, das ist Thema bei de Sade, bei „9 1/2 Wochen“, bei „Fifty Shades Of Gray“: Der Mann zeigt der Frau, wie das ist mit diesem – nach Freud und schon damals in problematischer Perspektive – dunklen Kontinent. Also man nutzt Sex als Pädagogik, und der Pädagoge ist der Mann. Und das finde ich bizarr. Der Mann selbst lernt auch nichts dabei, weil sein Penis immer funktioniert, wie ein Roboter. Deshalb muss er nichts lernen. Das ist verrückt.

In dem Video fehlt der Cum­shot – extrem selten in Pornos mit Männern. Bei den Frauen fehlt die gespielt postorgiastische Miene sowieso.

Eine pornografiekritische These besagt, dass es in dieser Art von Pornos ohnehin nicht um Sex geht, sondern ausschließlich um Dominanz und Gewalt und Macht, und das würde es schon ein bisschen treffen. Nicht mal mehr der eigene Sex wird durch einen Cum­shot inszeniert, sondern man will zeigen, dass die Frauen Spaß haben, durch einen – Lindemanns – Schwanz dominiert zu werden.

Aber man sieht ja nicht, dass sie Spaß haben.

Man kann Spaß am Schmerz haben, dann lacht man nicht dabei. Zum Beispiel beim BDSM wird Lust mit Schmerz konnotiert, das ist Teil des Arrangements. Für mich ist nur seltsam: In anderen Arten von Pornografie gibt es eine sichtbare Verabredung, auch wenn die nur angedeutet wird, vor allem beim sehr konsensuellen BDSM. Es gibt ein Treffen, ein Ausziehen, alles ganz schnell in Sekundenbruchteilen, aber es gibt eine Art von Hinführung, wenn auch keine echte Narration. Im Lindemann-Video nicht. Bei diesem Video ist der Schmerz omnipräsent, sowohl im Gesichtsausdruck Lindemanns als auch bei den Frauen, das ist also ein sehr lustferner Film. Diese Art von männlicher Sexualitätsinszenierung finde ich höchst kritikwürdig.

Verachtet er die Frauen vielleicht dafür, dass sie ihn ständig in Versuchung bringen, und sich selbst dafür, dass er dieser Versuchung nachgeht?

Frauenverachtung würde ich ihm nicht unterstellen, da gibt es andere Videos. Aber ihn interessieren Frauen anscheinend nicht. Es geht ihm weder um deren noch um seine eigene Sexualität. Vielleicht sollte er sich mal über männliche Sexualität informieren. Er hat etwas sehr Gepanzertes in dem Video, wie eine Maschine, das erinnert an Theweleits These vom Körperpanzer.

Die Frauen werden in solchen Videos scheinbar zum Sex gezwungen, sie haben also keine Lust dazu. Ist das das alte Narrativ der stets lustlosen Frau, die ihr Begehren nicht formulieren darf, weil sie sonst eine Schlampe ist?

Das ist typisch für unsere christlich bestimmte Kultur – im Islam oder Judentum ist sexuelle Lust höhergestellt, da gibt es nicht die Aufteilung von Frauen in Heilige und Hure. Da soll zwar die sexuelle Lust ausschließlich in der Ehe stattfinden, ist aber als solche nicht verpönt. In der christlichen Tradition galten Frauen, die ihre Lust auslebten, als Hexe, Hure oder Femme fatale. Das hat sich zum Glück seit der zweiten Frauenbewegung der 70er Jahre geändert. Dennoch wissen gerade junge Frauen und auch Männer oft immer noch nicht genau, was sie wünschen oder verweigern „dürfen“. Sexualpädagogik muss immer noch vermitteln, wie das nicht nur mit der Stimme, sondern auch mit dem Körper geht, ja, aber auch nein zu sagen.

Wieso sagen Frauen überhaupt oft Nein, haben sie wirklich weniger Lust als Männer?

Männlich gedachte Sexualitätsformen sind oft nicht besonders vielfältig, achten nicht auf interdependente Lusterfüllung, beziehen nicht so viele Körperzonen mit ein, sind sehr schwanz-, penetrations- und orgasmusfixiert. Es gibt eine Ritualisierung – das gefällt Frauen einfach oft nicht, weil auf ihre Bedürfnisse nicht eingegangen wird, das führt zu übergriffiger Sexualität. Frauen sagen also vielleicht auch Nein zu dieser Art von Sexualität. Dazu gibt es die lange Diskreditierung der weiblichen Lust als medizinisch zu behandelnde Hysterie.

In der Serie „The Idol“ steht die Protagonistin auf Asphyxie, sie findet es erregend, wenn ihr Liebhaber beim Dirty Talk davon spricht, sie mit seinem Schwanz zu ersticken. Dieses „gagging on his cock“, das auch im Lindemann-Video praktiziert wird, ist – jedenfalls nach seiner Pornohäufigkeit – eine weit verbreitete Praktik oder Fantasie. Seit wann gilt der gewalttätig wirkende Oralsex, das Würgen und Fastersticken als Sexmainstream?

Mich würde es überraschen, wenn plötzlich 30 oder 40 Prozent der Frauen tatsächlich Lust auf Würgereflexe hätten. Das erscheint mir rein statistisch zu häufig. Diese Vorliebe mag vorkommen, genau wie Asphyxie, und es ist eh alles erlaubt, aber das wird medial momentan überrepräsentiert. Offensichtlich geht es auch um eine Art von gewollter Skandalisierung. Die Sexualwissenschaftlerin Nicola Döring hat das ganz aktuell untersucht und spricht von einer medialen „Normalisierung von Rough Sex“.

Die Gefahr besteht, dass das gegen deren Willen in die Praktiken von jungen Menschen einfließt. Man muss also unbedingt darüber reden, damit weder Frauen noch Männer denken, sie müssen eine solche Praktik übernehmen, nur weil es jetzt dazugehört. Dagegen hilft nur Sprechen, Sprechen, Sprechen. In der sexuellen Bildung nennt man das sexuelle Körperkompetenz: die eigenen Lüste und Grenzen der eigenen Lust kennen, sie formulieren, aber auch nonverbal ausdrücken zu können. Das wird bei uns vernachlässigt.

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