Öffentlicher Nahverkehr in Deutschland: Gemischte Bilanz bei 49-Euro-Ticket

Das Deutschland-Ticket zieht seit Mai fast eine Million neue Fahrgäste an. Erfolgreich wie das 9-Euro-Ticket ist es noch nicht. Verbände ziehen gemischte Bilanz.

Überfüllter Bahnsteig, Zug fährt ein

Volle Bahnsteige wie über Himmelfahrt in Hamburg gibt es durch das 49-Euro-Ticket nur selten Foto: Nibor/action press

BERLIN taz | Schlecht kommt der günstige Nahverkehr bei den Menschen insgesamt nicht an. Das erst Anfang Mai eingeführte 49-Euro-Ticket hat bereits elf Millionen Kunden gefunden. Der größte Teil der Fahrgäste hatte zuvor bereits eine Zeitkarte oder nutzte Busse und Bahnen schon regelmäßig. Doch acht Prozent der Abonnenten waren bis zur Einführung nie oder nur selten mal im öffentlichen Nahverkehr unterwegs. Das entspricht rund 880.000 Neueinsteiger:innen. Die Zahlen nannte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in seiner Bilanz am Mittwoch.

„Das war eine Revolution für unsere Branche“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann, der auch Chef der Münchner Verkehrsbetriebe ist. Denn nach dem Testlauf mit dem 9-Euro-Ticket im vergangenen Sommer soll das Anschluss-Abo dauerhaft im Angebot bleiben. Dafür haben die rund 2.000 Verkehrsunternehmen im Schnelldurchgang digitale Strukturen aufbauen müssen. Denn das Ticket soll es nach dem Willen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Ende nur als digitale Variante geben. Da der Bund das Vorhaben mitfinanziert, redet er auch mit.

Derzeit werden für eine Übergangszeit auch noch auf Papier gedruckte Fahrscheine verkauft. Diese Begrenzung ist nach Einschätzung von Verbraucherschützern eine der Schattenseiten des Angebots. „Das war beim 9-Euro-Ticket besser“, sagt Andreas Schröder vom Fahrgastverband Pro Bahn, „man konnte das einfach am Fahrkartenautomaten kaufen.“ Vor allem Senioren und ausländische Touristen würden durch den komplizierten Vertrieb eher abgeschreckt.

Eine andere Schattenseite ist nach Einschätzung des VDV die ungewisse Dauerfinanzierung des günstigen Tickets. Die dafür veranschlagten jährlichen Kosten von drei Milliarden Euro teilen sich Bund und Länder hälftig. Doch die Zahlung ist nur bis zum Ende dieses Jahres gewährleistet. „Wir müssen das Ticket auskömmlich finanziert bekommen“, verlangt Wortmann. Der Verband geht zudem davon aus, dass die Kosten im kommenden Jahr aufgrund der Inflation auf deutlich mehr als 3 Milliarden Euro steigen werden.

Bald teurer als 49 Euro?

Immerhin rechnet der Verband nicht mit einer schnellen Anhebung der Preise für das offiziell „Deutschland-Ticket“ getaufte Abo. Der Name wurde mit Bedacht gewählt. Er müsste nicht geändert werden, wenn das Ticket teurer wird. Und 49 Euro sind nur ein Einstiegspreis. VDV-Geschäftsführer Oliver Wolff geht zwar von einem stabilen Preis bis Ende 2024 aus. Doch wie es danach weitergeht, ist noch völlig offen.

Nach den ersten zwei Monaten zeigt sich ein weiterer Schwachpunkt des Konzeptes. „Es gibt kaum eine Nutzung auf dem Land“, kritisiert Wortmann. Gerade in abgelegenen Gebieten gibt es kein attraktives Nahverkehrsangebot, wenn es überhaupt eines gibt. Dagegen ist die Nutzung in den Ballungsgebieten hoch. „Wir brauchen mehr Angebote in den Städten und wir brauchen ein Angebot auf dem Land“, stellt der VDV-Präsident fest.

Doch für mehr Busse, Trams und Bahnen fehlt den Unternehmen das Geld. Die Verkehrsministerkonferenz hat den Finanzbedarf für eine flächendeckend bessere Abdeckung mit Verkehrsleistungen auf 48 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 taxiert. Doch ob es dafür Geld vom Bund gibt, ist ungeklärt. Ein Ausbau- und Modernisierungspakt soll Wortmann zufolge erst 2024 diskutiert werden. Seine Münchner Verkehrsbetriebe haben den Ausbau daher schon bis Mitte des Jahrzehnts zurückgestellt. Viele andere Verkehrsverbünde halten sich ebenfalls zurück, weil ihnen das Geld für zusätzliche Fahrten fehlt.

Der Verband hat die beiden ersten Monate auch für Marktforschung genutzt. Danach steigen die Nutzerzahlen an. Neun Millionen Fahrgäste waren es im Mai, 9,6 Millionen im Juni. Wichtigster Grund für den Kauf des 49-Euro-Tickets ist die bundesweite Gültigkeit. Diesen Aspekt nannten 41 Prozent der Befragten. Für 36 Prozent ist der günstige Preis ausschlaggebend. Fast jeder Fünfte gab als Kaufgrund den bewussten Verzicht auf Autofahrten an, 22 Prozent ist der mit der Nutzung von ÖPNV verbundene Umweltschutz am wichtigsten.

Verschiedene Gründe für Nichtkauf

Gefragt wurden auch Personen, die kein Abo abschließen wollen. Für 41 Prozent würde sich der Kauf nicht lohnen, mehr als ein Drittel haben keinen Bedarf am ÖPNV und jeder Vierte braucht keinen bundesweit gültigen Fahrschein. Zu teuer finden das Angebot lediglich 11 Prozent der Befragten. Gleichzeitig gab jeder Zwanzigste an, sich das Ticket nicht leisten zu können.

Auch die Nutzung als Job-Ticket ist nach Einschätzung der Verkehrsunternehmen noch ausbaufähig. 18 Prozent der 49-Euro-Abos laufen über einen Arbeitgeber. „Allerdings versprechen wir uns als Branche da noch einen deutlichen Nachfragezuwachs“, sagt Wolff. Es könne für Unternehmen und Betriebe ein Imagefaktor in Sachen moderner umweltfreundlicher Mobilitätsangebote sein. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen will der Verband jetzt noch einmal verstärkt für das Jobticket die Werbetrommel rühren.

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