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Kleine Pausen im AlltagMatrixlöcher bei Whatsapp

Die Brötchentaste hat es zu Bekanntheit gebracht. Leider nur für Autoparkende. Warum eigentlich? Brötchentasten für alle würden vieles erleichtern.

Eine Brötchentaste ist ein kleines Stück legale Rebellion Foto: Imago

E igentlich schade, dass nach der Landtagswahl in Bremen die Debatte über einen der Lichtblicke im asphaltgrauen Alltag der Autofahrenden so schnell versiegt ist: die Brötchentaste. Also die Taste an Parkscheinautomaten, die es in manchen Städten erlaubt, die motorisierte Zweitwohnung aka Auto für kurze Zeit an einem Ort kostenlos abzustellen, an dem man sonst für das Parken zahlen muss.

Dabei ist die Brötchentaste als Gesamtkonzept unterschätzt. Schließlich geht es eigentlich gar nicht um Brötchen. Nicht einmal ums Autofahren oder Parken, also zumindest nicht nur. Stattdessen ist die Brötchentaste ein kleines Stück legaler Rebellion. Eine Art Loch in der Vorschriften-Regelungen-Matrix, wo etwas plötzlich erlaubt ist, was sonst so nicht geht – einfach deshalb, weil es ja nur kurz ist, also relativ zumindest. Eine kleine Pause im sonst so durchgeregelten Alltag.

Stellen wir uns daher vor, wir könnten jenseits des kostenlosen Parkens einfach die Brötchentaste drücken und kleine Matrixlöcher erzeugen. Einfach kurz mit dem Fahrrad auf den Gehweg ausgewichen, weil die Radspur mal wieder weitgehend zugeparkt ist und sich auf der benachbarten Autospur LKWs aneinanderreihen? Brötchentaste. Schnell zu Fuß über die rote Ampel gefetzt, um noch die Straßenbahn zu kriegen? Brötchentaste. Ein paar Stationen ohne Ticket im Bus? Oder in der Regionalbahn? Oder eine Runde auf der Kreuzung an den Asphalt geklebt? Brötchentaste.

Das funktioniert natürlich nicht nur in Sachen Mobilität: Nachts für zwei Bahnen über den Schwimmbadzaun geklettert, bei Ikea den Mittagsschlaf gemacht, ein paar essbare Lebensmittel aus dem Supermarktcontainer gefischt? Statt Ärger, Polizei oder Hausverbot einfach Brötchentaste.

Verstanden hat das Bedürfnis nach dem magischen Matrixloch ausgerechnet der Tech-Konzern Meta. Der dazugehörende Messengerdienst Whatsapp erlaubt neuerdings das Editieren von Nachrichten innerhalb einer Viertelstunde nach dem Absenden. Damit deckt sich Metas Verständnis von „kurz“ ziemlich gut mit dem der meisten Brötchentasten-Orte.

Die Kongruenz wirft Fragen auf, genauso wie das Whatspp-Zeitfenster an sich: Wird sich der Warum-ist-mir-das-nicht-eher-eingefallen-Moment, der sich derzeit meist unmittelbar nach dem Absenden einer Nachricht einstellt, nun einfach um eine Viertelstunde nach hinten verschieben? Wird der Perfektionsdruck noch größer? Fordert die FDP das kostenlose Kurzparken überall vor allem deshalb, damit niemand mehr zum Editieren einer kompromittierenden Nachricht illegalerweise mit dem Handy beim Fahren hantieren muss? Und in welchen Matrixlöchern versenkt Meta eigentlich die ganzen persönlichen Daten, die es so sammelt?

Wäre eigentlich auch nicht schlecht, wenn es dort noch etwas Platz gäbe. Zum Beispiel für die ein oder andere Politiker:innen-Idee, die nicht einmal einen brötchentastenlangen Moment Realität werden sollte.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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