„Space Synthesis“ Kunsthalle Baden-Baden: Das Rascheln der eigenen Bewegung

„Space Synthesis“: Der Elektronikproduzent Jan St. Werner erforscht die Kunsthalle Baden-Baden mit Klang.

Der Schatten eines Mannes an der Wand eines Ausstellungsraumes

Das Schmatzen, Schürfen, Brutzeln, Ticken, Schrillen und Glucksen muss man sich dazu denken Foto: Nick Ash

All unsere Träume von Musik werden in Klang gebündelt. Träumt Musik von uns, entsteht Lärm“, hat der US-Komponist Morton Feldman einmal postuliert. Feldman, der sich intensiv mit den Wechselwirkungen von Musik und Geräuschen im Raum befasste, hätte seine helle Freude an „Space Synthesis“, einer immersiven Schau, die der Berliner Elektronikproduzent und Künstler Jan St. Werner in der Kunsthalle Baden-Baden realisiert hat.

St. Werner klopft seine Musik jenseits von Experimentierlust nicht nur nach diskursiven und auditiven Potenzialen ab, er arbeitet Impulse von außen mit ins Material ein, um es zu erweitern.

Bekannt wurde der 54-Jährige als eine Hälfte des Elektronikduos Mouse On Mars. Dessen elektronische Cutting-Edge-Installation „Spatial Jitter“ war letztes Jahr im Münchner Lenbachhaus zu hören, einer Institution, die Bildende Kunst schon mehrfach mit Sound zusammengebracht hat. St. Werner, der am renommierten M.I.T. studierte und an Kunsthochschulen unterrichtet, ist sowohl im Akademischen zu Hause, als auch im Popbiz, wo er etwa mit der US-Band The National kollaboriert hat.

Im Kunsthaus Baden-Baden läuft nun St. Werners erste Einzelausstellung. Der Eindruck täuscht nicht, es ist beeindruckend, wie der Künstler das Haus nach seinen Vorstellungen komplett umgestaltet hat.

„Space Synthesis“ Kunsthalle Baden-Baden, bis 2. Juli 2023, (der Katalog erscheint im Juli bei Hatje-Cantz)

Klangkunst, Kunstmusik

Mit dem etwas hüftsteifen Begriff „Klangkunst“ ist St. Werners knirschende Granularsynthese nur unzureichend umschrieben. Klar erklingt hier „Kunstmusik“, aber ihr Schmatzen, Schürfen, Surren, Brutzeln, Tichken, Schrillen, Zirpen und Glucksen ist nicht weit von den akustischen Sphären des Alltags und ihrer Soundlogos, Klopfzeichen und Signaltöne entfernt. St. Werner sensibilisiert die Wahrnehmung seiner Hö­re­r:in­nen.

Die Geräusche oszillieren mit der Architektur der im klassizistischen Stil zwischen 1909 und 1911 nach Plänen von Hermann Billing erbauten Kunsthalle. Haut, Haare und Trommelfell der Zuhörenden stehen im Dialog mit dem musikalischen Material, das St. Werner mit der Software New Pulsar Generator komponiert hat, es ist eine körperliche Erfahrung.

„Eine Beschäftigung mit Klang setzt das Unverständliche als entscheidend für jede Begegnung voraus. Unverständliches, Unbekanntes oder Absurdes sind phänomenologische Erfahrungen, die innerhalb einer Begegnung Mutation und Veränderung ermöglichen“, schreibt Jan St. Werner im Katalog.

Das Unvorhersehbare, oder besser: Unvorherhörbare entsteht bei St. Werner durch eine eigenwillige Dynamik aus Klangmaterial und ortsspezifischer Kondensation. Seine Wucht verliert der monumentale Tempel der Kunst dadurch nicht, durch die technologischen Eingriffe wirkt er aber zurückgenommener.

Töne in jedem Winkel

Die acht Ausstellungsräume des Kunsthauses sind weitgehend leer, graue Turnmatten und quadratische Würfel mit Rollen dienen als Sitzgelegenheiten. Im Stehen und beim Gehen tönt es in jedem Winkel des Gebäudes jeweils unterschiedlich. Große dünne weiße und kleine schwarze Lautsprecher übertragen Klang. Mal sind sie rechteckig und lehnen hochkant an der Wand und ihr Unterbauch besteht aus Noppen. Mal sind sie quadratisch, vollständig genoppt, stehen quer im Raum und haben die Anmutung von Leichtathletikhürden.

Was aus ihnen an Klang dringt, überwindet alle architektonischen und akustischen Hindernisse. Dürre Kabelschnüre baumeln von der Decke und sind an die Boxen angeschlossen. Die Lautsprecher sind Pforten, die die Wahrnehmung steigern, man nähert sich ihnen von allen Seiten und hört immer neue Details. Eine riesige, an den Ecken gewölbte, in weiß getünchte Spanholzplatte zerteilt einen der Räume; eine sanfte Bodenwelle ändert die Innenarchitektur eines anderen. Jalousien öffnen und schließen Dachfensterluken.

Manche Räume sind schwach ausgeleuchtet, andere von großen Scheinwerfern vom Dachstuhl aus in grelles Licht getaucht, oder per Stroboskop am Boden fraktal verfremdet, bis auch das Licht Tonalität annimmt. Türen fehlen, ihre Rahmen sind ebenfalls Teil des Rundgangs.

Alles synchronisiert

Durch Übergänge von Raum zu Raum und Kontraste zwischen Hell und Dunkel, entstehen Zwischenräume: Klangschleusen, neue Perspektiven, ein Spiel aus Dis­tanz und Nähe. Klang, Licht und Jalousien sind miteinander synchronisiert und tragen Geräusche, Licht und Schatten weiter wie Wander­dünen die Sandkörner. Echo züngelt in unterschiedlichen Klangfrequenzen Wände hoch, dringt durch sie durch, fließt am Boden und flirrt in der Luft.

Zur Vorbereitung auf die Ausstellung hat der Künstler sich dem Haus zunächst aus der Vogelperspektive genähert und die Innenarchitektur durch ein Miniaturmodell auf ­Papier collagiert. Irgendwann habe er die Kunsthalle als Hallgerät, ihre Räume als Readymade begriffen. Die Ästhetik sei „leicht abbaubar“, erklärt St. Werner. Alle Einbauten und Möbel wurden aus vorhandenem Material erschaffen.

Kunsthallendirektorin Çağla Ilk, die die Kuratorin für den deutschen Pavillon der Kunstbiennale von Venedig 2024 sein wird, sieht die Schau durchaus in der Tradition des Hauses. Anknüpfend an Ausstellungen etwa von Stephan von Huene und Dan Flavin in den 1980ern, die sich in Klangskulpturen und Lichtinstallationen bereits mit der Beschaffenheit des Gebäudes auseinandergesetzt hatten. Aus Baden-Baden sendet auch der öffentlich-rechtliche SWR, der sich in Sendungen wie „jetztmusik“ seit Langem um die elektronische Avantgarde kümmert.

Schatten an den Wänden

Be­su­che­r:In­nen sind bei der Erkundung von „Space Synthesis“ mit von der Partie. Ihre Geräusche beim Begehen sind in den Sounds inkorporiert, jenseits der kontemplativen Erfahrung können sie etwas sehr Sinnliches mitnehmen und sind eingeladen, „ihr Hören zu imaginieren“. Umrisse von Be­su­che­r:in­nen werden an die Wände geworfen, bringen ihre Schatten ans Licht, sorgen für Durchlässigkeit im Gebäude, Menschen werden zu „raumerweiternden Protagonisten“.

Wände sind bei „Space Synthesis“ demnach keine Begrenzungen, sondern Schwellen, die von Schall überwunden werden. Schall öffnet die Räume der Kunsthalle, und Schall schickt das spektral verdichtete Klangmaterial weiter. Vielleicht sind es gar keine Töne, erklärt Werner der taz, vielleicht ist es „Luftverdichtung“.

Musik und Geräusche liegen hier nicht nur in der Luft, sie dehnen sich in ihr aus, bewegen sich fort. Im größten Raum schiebt ein Motorkran auf einer schräg geführten Deckenleiste eine Spanholzplatte vor sich her und zieht sie wieder zurück. Dieser Einbau wirkt wie ein Filter, erzeugt zusätzliche Resonanzen.

Mit „Space Synthesis“ wird die Reise von Klang im Raum zur Aus­ein­andersetzung mit „Geschichte als feststehendes Wissen“, offen, ohne Ende inszeniert. St. Werner gelingt es, Klang in allen Räumen freizulegen, ohne ihn zu bändigen, so dass auch die Gedanken der Hörenden frei darin umherschweifen.

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