Parteitag der Berliner Linken: Zwei Neue proben den Aufbruch
Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer führen die Linkspartei. Die bisherige Chefin Katina Schubert attackierte den schwarz-roten Senat scharf.
Der landespolitisch bislang wenig bekannte Schirmer, Jahrgang 1990, hielt dabei die mitreißendere, programmatischere Rede. Die Partei müsse ein „Berlin entwickeln, das sich zumindest teilweise aus der Marktlogik befreit“, so Schirmer. Er kündigte eine „programmatische Neuaufstellung“ bis zur Wahl 2026 an – zusammen mit der Stadtgesellschaft, mit Gewerkschaften, Initiativen und Vereinen. Für die Partei gelte dabei „öfter mal zuzuhören und nicht immer nur zu überzeugen“.
Die Linke müsse „mit einem Kraftakt aus der Abwärtsspirale befreit“ werden. Gezielt sollen neue Mitglieder vor allem auch unter jenen 40 Prozent der Berliner:innen mit Migrationsgeschichte geworben werden, so Schirmer: „Wir wollen eine moderne Linke, eine diverse Linke, eine, die die Stadt repräsentiert und gestaltet.“ Das Ziel dabei ist eindeutig und unumstritten: Die Berliner Linke will zurück an die Regierung.
Bis dahin aber kündigte Franziska Brychcy eine wahrnehmbare Oppositionsarbeit im Abgeordnetenhaus an. „Jede Plenarsitzung wird für uns ein Fest.“ Die SPD werde man „sehr gern daran erinnern“, was unter einem rot-grün-roten Bündnis möglich gewesen wäre. Druck werde man hochhalten in der Frage der Enteignung der großen Immobilienunternehmen; auch sei man bereit, ein mögliches zweites Volksbegehren von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zu unterstützen. „Wir wollen gemeinsam die Stadt von unten entwickeln“, so Brychcy, die vielen in der Partei als Versöhnerin und Teamplayerin gilt.
Linker Flügel eingebunden
Der Parteitag verlief ohne große Kontroversen oder Überraschungen. Der Leitantrag unter dem Titel „Die Zukunft der Stadt solidarisch entwickeln“ entfachte kaum Widerspruch und wurde mit nur einer Handvoll Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Versöhnt ist die Partei auch in ihrem jahrelangen zentralen Streitfeld – Regieren oder Opponieren. Hinter der Formel des „rebellischen Regierens“ können sich alle Strömungen der Landespartei versammeln.
Auch personell spiegelt sich diese Entwicklung der Partei wieder: durch die Einbindung jener linken Kräfte in den Landesvorstand, die lange nur außen vor waren. So wurden als stellvertretende Vorsitzende die Parteilinken Katalin Gennburg, Fraktionssprecherin für Stadtentwicklung, und Ruben Lehnert, Sprecher des Bezirksverbandes Neukölln gewählt. Ergänzt wird die Riege der Vizes durch Björn Tielebein aus Marzahn-Hellersdorf und Deniz Seyhun aus Mitte.
Zu Beginn des Parteitages hatte sich Katina Schubert nach sechseinhalb Jahren an der Spitze der Berliner Linken verabschiedet – wenig wehmütig als vielmehr angriffslustig. Hart attackierte sie dabei Berlins neuen Senat und den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (SPD). Bei ihm paarten sich „Piefigkeit und Provinzialität mit stockkonservativer Haltung“, so Schubert. Sie verwies abermals auf die Vornamensabfrage in der Silvesterdebatte. Seine Wahl, in der „sehenden Auges“ die AfD zum Zünglein an der Waage werden konnte, sei „verantwortungslos und dieser Stadt nicht würdig“.
Franziska Giffey (SPD) warf sie vor, sich ins Wirtschaftsressort geflüchtet und nicht „den Mumm“ zu haben, zuständige Senatorin für den Neubau zu werden, den sie stets zur Chefinnensache erklärt hatte. In der schwarz-roten Koalition kämen nun ihr „infantiles Bauen Bauen Bauen“ mit „Auto Auto Auto“ zusammen. Die ersten Regierungsmaßnahmen – das Zurückziehen des letzten Teiles des Mobilitätsgesetzes und die Ankündigung, Mietsteigerungen in den landeseigen Wohnungsbaugesellschaften wieder zuzulassen – zeigten, „wohin die Reise geht“.
Ein bisschen Wehmut gab es dann bei Schubert doch, dieser galt aber weniger dem Ende des eigenen Amtes als dem Ende der Regierungsbeteiligung ihrer Partei. „Wir waren mit dem rot-grün-roten Senat trotz aller Widerstände und Rückschläge auf einem guten Weg“, so Schubert. Bei ihrem Dank an die ehemaligen Senator:innen Klaus Lederer, Lena Kreck und der krankheitsbedingt abwesenden Katja Kipping flossen dabei sogar Tränen.
Um die Partei will Schubert, die stellvertretende Bundesvorsitzende ist, dabei weiter kämpfen. Großen Applaus erhielt sie für eine Ansage an Sarah Wagenknecht und deren Kokettieren mit einer Parteineugründung: „Wer glaubt, die Partei erpressen zu können, irrt. Wer eine andere Ausrichtung der Partei möchte, muss um Mehrheiten ringen, nicht um Sendezeit in Talkshows“, sagte Schubert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“