Neuer „Tatort“ aus Zürich: Bäriger Krimi, halb ruiniert
Realismus prägt diesen „Tatort“: Die Mafia ist legal, sexualisierte Gewalt allgegenwärtig. Leider fehlt das Vertrauen in die Sprachkompetenz.
„Forget the facts and remember the feelings“, heißt es in einem derzeit viel zitierten zeitgenössischen Roman – von dem dann spontan auch nicht der faktische Titel vor dem geistigen Auge auftaucht, sondern das Gefühl, welches mit und vor allem um ihn herum hergestellt wird.
Für unsere Zwecke hier ist an dem Zitat relevant, dass eher niemand die Handlung von Krimiklassikern wie „Der große Schlaf“ oder „Rote Ernte“ en detail nacherzählen kann, das Gefühl hingegen, das sich beim Lesen eingestellt hat – und immer wieder einstellt: Klassiker halt! – einem aber eingebrannt bleibt.
Der neue „Tatort“ aus Zürich ist gerade in der ersten Hälfte nicht einfach erzählt. Eventuell frustriert es sogar ein wenig, der Entwirrung der titelgebenden „Seilschaft“ zu folgen. Dafür stimmt im zweiten Teil die Intensität der Gefühle, die einem dieser Krimi mit in die Woche gibt, dann um so mehr.
Aber fragen wir doch mal ganz öffentlich-rechtlich: Ist denn dann noch jemand anwesend und sogar wach vor den Empfangsgeräten? Die Frage ist um so berechtigter, als es sich hier um einen Schweizer Tatort handelt, der vor Ort auf Schweizerdeutsch gedreht und anschließend für die deutschen und österreichischen Zuschauer:innen nachsynchronisiert wird. Durchgehende Untertitel können dem dumpfen heimischen und depperten alpin-benachbarten Publikum offenbar nicht zugemutet werden, zumindest nicht mit Fernbedienung in der Hand.
Sterile Tonspur
Das führt zu enorm merkwürdigen Verdrehungen, wenn etwa der zugezogene Sonderermittler wie auch der nette Uhrenspezialist erst französisch sprechen, um dann mal in die Hochsprache, mal ins akzentuierte Deutsch zu wechseln.
Über dem bis in die Nebenrollen tadellosen Spiel liegt noch dazu die sterile Tonspur der Synchronisation, was zusammen mit der breiig-leitmotivischen Musik an die kürzliche Aussage von Bayern-Trainer Thomas Tuchel erinnert: „Zwei Dinge konnten das Niveau des Spiels nicht halten“.
Das ist schade und typisch für die kunstfeindliche Angstkultur im öffentlich-rechtlichen System, kann aber den Film nicht völlig zerstören. Beide Ermittlungsstränge, die das Team um Isabel Grandjean (toll-zurückgenommen: Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (toll-extrovertiert: Carol Schuler) verfolgen, sind realistisch: Bei der Mafia ist inzwischen alles legal, und sexueller Missbrauch ist allgegenwärtig, eine Triggerwarnung muss an dieser Stelle sein.
Die Darstellerinnen prägen diesen Film (Buch: Claudia Pütz, Karin Heberlein), die Männer bleiben banal, auch im Ekligen, einen hohl-angeberischen Praktikanten à la Richard David Precht könnte man sich gut als Ergänzung des Casts vorstellen.
Ziemlicher Horror
Die Personenführung ist präzise, die Dramaturgie nicht immer glücklich (Regie: Tobias Ineichen), und der Klassiker, dass die Ermittelnden grundsätzlich allein und mit abgeschaltetem Mobiltelefon an die gefährlichsten Orte gehen – ja mei: Geht es denn wirklich nicht auch mal ohne diese Billigmittel der Spannungserzeugung?
„Seilschaft“, So., 20.15 Uhr, ARD
Die drei Morde hingegen sind sehr anschaulich inszeniert, und nicht zuletzt ist das, was für uns nur zu hören ist und lediglich in den Augen von Ermittlerin Tessa Ott zu sehen, schon ein ziemlicher Horror.
Last but not least ist es ein Moment ganz am Schluss, sind es Augen, die auch in einem Moment großer Innigkeit sich nicht schließen, die nie mehr aufhören werden zu sehen, was ist und was zu erleiden gewesen ist. Da wäre dann fast zu wünschen, dass es lieber nicht dieses schrecklich-stumpfe Gefühl wäre, das in Erinnerung bleibt, sondern irgendein noch so banales Detail.
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