piwik no script img

China überholtIndien erringt Bevölkerungsrekord

Schätzungen zufolge zählt Indien jetzt mehr Menschen als China. Das birgt Hoffnungen vom wirtschaftlichen Aufstieg.

Eine Familie fährt durch die nordindische Millionenstadt Amritsar im Punjab Foto: Helen Schaetzle/laif

Mumbai taz | Indiens Regierung brüstet sich gerne mit Größe. So hat die „größte Demokratie der Welt“ derzeit den Vorsitz der G20 inne. Doch rund um das geschätzte Datum Mitte April, in dem Indien den Rivalen China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablöste, blieb die Regierung in Delhi still.

Der US-Datenbank World Population Review zufolge hat Indien mit geschätzten 1,426 Milliarden Menschen die Volksrepublik mit 1,425 Milliarden bereits überholt. Der am Mittwoch veröffentlichte neue UN-Weltbevölkerungsbericht kommt zu ähnlichen Zahlen.

Bereits Mitte des Jahres werde Indien 2,9 Millionen mehr Menschen als China haben, so die Prognose. Doch finden dem Bericht zufolge Menschen in Indien und Nigeria die hohe Bevölkerungszahl ihres eigenen Landes beunruhigender als die gewachsene Weltbevölkerung an sich. Kein Wunder also, dass in Indien in der Vergangenheit darüber diskutiert wurde, ob eine Geburtenkontrolle wie bis vor Kurzem in China üblich, auch in Indien notwendig wäre.

Dabei gibt es in Regionen wie dem westindischen Maharashtra durchaus Anreize: Jobs in der Verwaltung sind etwa Personen vorbehalten, die nicht mehr als zwei Söhne haben. Für Mädchen gibt es eine Ausnahme, um geschlechtsspezifischer Stigmatisierung vorzubeugen.

Indiens Bevölkerungswachstum hat sich schon verlangsamt

Indiens Bevölkerung wird künftig noch weiter wachsen, auch wenn sich das Wachstum schon deutlich verlangsamt hat: Frauen in Städten bekommen im Schnitt 1,6 Kinder, in ländlichen Gebieten etwa 2,1. Der Anteil der Ehen von unter 18-­Jährigen lag in Indien 2006 bis 2022 bei 23 Prozent.

Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) betonte bei der Vorstellung des Weltbevölkerungsberichts am Mittwoch das Engagement der Bundesregierung für Geschlechtergerechtigkeit: „In Entwicklungsländern sehen wir, dass Rechte für Frauen enorm eingeschränkt werden, aber Frauen brauchen Selbstbestimmung über ihren Körper.“

Ihr Ministerium (BMZ) stelle dafür jährlich mindestens 100 Millionen Euro bereit. Darüber hinaus unterstütze das BMZ den UN-Bevölkerungsfonds UNFPA dieses Jahr mit 47,5 Millionen Euro. Selbstbestimmte Frauen und Mädchen seien die Antwort auf Bevölkerungsfragen.

Inzwischen hat die Weltbevölkerung eine neue Rekordmarke überschritten. Die Au­to­r:in­nen des UNFPA-Berichts sprechen von „8 Milliarden Leben, unendliche Möglichkeiten: ein Plädoyer für Rechte und freie Entscheidungen“ und wählen damit einen positiven Ansatz.

Benötigt: Ernährung, Wohnraum, Wasser, Elektrizität

Doch stellt das globale Bevölkerungswachstum nicht nur Indien vor Herausforderungen von Ernährungssicherheit, Wohnraum oder der Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität.

Michael Herrmann, Referent beim Bevölkerungsfonds, erklärte, der Bericht konzentriere sich auf Länder mit hoher wie mit niedriger Fertilität. Indien spiele eine untergeordnete Rolle, denn dort seien die Bedenken im Hinblick auf die weitere Bevölkerungsentwicklung gering. Indien hat mit zwei Kindern pro Frau eine Fertilität, mit der viele Länder zufrieden wären, so Herrmann zur taz.

Dass Indiens Volkszählung überfällig ist und frühestens 2024 stattfinden wird, bringt für die Bevölkerung selbst die größten Herausforderungen, sagen Expert:innen. Denn eine Volkszählung sei wesentlich für die Entwicklung politischer Strategien und einer effizienteren öffentlichen Verwaltung.

Indiens Bevölkerung ist im Schnitt deutlich jünger als in vielen weiterentwickelten Ländern. Laut World Population Review liegt das Durchschnittsalter in Indien bei 28,7 Jahren. In den USA und China sind es 38,5 und 38,4 Jahre, in Deutschland gar 47,4. Auch deshalb werben Länder von Deutschland bis Kanada um indische Fachkräfte.

Entwicklungssprünge trotz Bevölkerungswachstum

Indien hat zwar eigene Probleme, die von Armut über Korruption bis hin zu den autoritären Zügen der Regierung reichen. Doch: „Indien hat große Entwicklungssprünge gemacht“, sagt der Arzt und Familienvater Shailendra Hodgar aus Mumbai. Er nennt die staatliche Krankenversicherung für Geringverdiener von 2018. Und der Druck, früh mehrere Kinder zu bekommen, habe nachgelassen.

Hodgar sieht Chancen für Indien, die vor allem auf die junge und gut gebildete Bevölkerung zurückgingen: „Gerade im Gesundheitsbereich arbeiten viele meiner Kollegen in den USA, Großbritannien und Europa.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Der Kapitalismus dem sich Indien gerade unterwirft wird wie auch in China gigantische Wohlstandssprünge bringen.



    Aber auf Kosten der Umwelt. Zwar ist der Kapitalimus am Ende ein viel viel saubereres Wirtschaftssystem als der Sozialismus, die brutalen Wohlstandsgewinne machen aber auch viel mehr Resourcen notwendig. Kann man in China ebenfalls gut sehen. Armut quasi ausgerottet aber Umwelt ist auch ziemlich versaut.

    • @Wombat:

      Anderen das anzukreiden womit wir selbst zur erfolgreichen Wirtschaftsmacht geworden sind, ist purer Zynismus. Wir sind erstmal dran entsprechend zu Handeln. Andere können nicht auf Wohlstand verzichten damit der unsere erhalten bleibt. Und der Kapitalismus ist offensichtlich kein sauberes Wirtschaftssystem und die Armut in China ist ganz bestimmt nicht ausgerottet.

      • @Andreas J:

        Absolute Armut in China zu sozialistischen Zeiten um die 70%. Heute unter 1%. Kein Chinese muss heute noch am Existenzminimum leben. An der Küste sind die Löhne bereits deutlich über dem Niveau von Osteuropa und sie wachsen schnell weiter.

        Ich kreide es den Chinesen nicht an. Das unglaubliche Erfolgsmodell des Kapitalismus ist hier super zu sehen. Entfessle ihn und die Armut verschwinden. Sieht man gerade auch in Vietnam - absolute Armut schrumpft von 80% auf heute noch 8% innerhalb weniger Jahre. Nur noch ein bisschen hinter China her zeitlich.

        Aber das hat einen Preis - der Ressourcenbedarf ist immens.