Comic über die Sternzeichen: Lüsterne Skorpione

Der neue Comic von Liv Strömquist ist ein lustig-überzeichneter Sternzeichen-Kalender, der nebenbei den Hype um Astrologie erklärt.

Eine Zeichnung vom Philosophen Theodor W. Adorno

Dialektische Zweifel an der Sternzeichen-Wissenschaft Foto: Liv Strömquist/avant-verlag

Spätestens seit Liv Strömquist in „Der Ursprung der Welt“die Kulturgeschichte der Vulva erzählte, gehört die Schwedin zu den wichtigsten feministischen Stimmen in der Comicwelt. Mit der ihr eigenen Mischung aus schrägem Humor, Theorie und Verweisen aus der Popkultur analysiert sie Schönheitsideale („Im Spiegelsaal“), die Liebe in der Leistungsgesellschaft („Ich fühl’s nicht“) und Ursachen für stereotype Geschlechterrollen („Der Ursprung der Liebe“).

Dagegen wirkt das Thema ihres neuen Buchs fast enttäuschend harmlos: Es handelt von Astrologie. Gerade unter Millennials liegen Horoskope im Trend. Astrologie-Apps wie Co-Star geben praktische Lebenshilfe, manche Dating-Apps haben eine Funktion, die es erlaubt, potenzielle Dates nach Sternzeichen zu filtern.

Astrologie kann aber auch einfach Spaß machen, wenn man menschliche Eigenheiten als sternzeichengegeben hinnimmt. Das beweist Strömquist, indem sie hemmungslos über die Tierkreiszeichen herzieht. Dass die Graphic Novel sich weniger durch eine stringente Handlung auszeichnet als durch kalendarisch aneinandergereihte, teils überdrehte Minia­turen, stört dabei nicht.

Strömquist nimmt sich berühmte Beispiele vor, etwa den lüsternen Skorpion King Charles („Ich will dein Tampon sein“) oder den hartnäckigen Widder Jane Goodall, der sich 32 Jahre lang einer Schimpansen-Horde aufdrängt. Oder Beyoncé, die den Typus der langweiligen und perfektionistischen Jungfrau verkörpert.

Strömquist ist geprägt von der Riot-Grrrl-Bewegung und der Do-it-yourself-Kultur von Fanzines der 1990er Jahre. Entsprechend punkig-rotzig sind ihre Bildwelten, in die immer mal wieder Fotos montiert sind. Ihre Zeichnungen wirken gelegentlich schlicht, zeichentrickartig. Dass die berühmten Menschen nicht besonders gut getroffen sind, trägt ebenso zum DIY-Charme bei wie die hingekritzelten, oft schiefen Textfragmente.

Der aufgebrachte Krebs, die perfektionistische Jungfrau

Der exzessive Einsatz von Text ist denn auch Markenzeichen der Autorin – nicht selten nehmen Textpanels mehrere Seiten ihrer Bücher ein. Mitunter wirft sie ihren Le­se­r*in­nen aber auch nur Satzbrocken hin. Besonders lustig ist das in „Astrologie“, wenn sie mit Stichpunkten arbeitet: So zeigt sie einen aufgebrachten Krebs, der die Stirn runzelt und seine Scheren in die Seite stemmt, dazu schreibt sie: „Weinen/Umdekorieren“.

Und: „Ist immer noch sauer wegen einer Sache von 1996“. Ein Foto von Beyoncé und Jay-Z versieht sie mit den Worten: „Hygiene, gesundes Essen, immerzu produktiv, Listen, Ordnung“, und im Gesicht des Rappers scheint sich der ganze Horror über das Zusammenleben mit einer perfektionistischen Jungfrau auszubreiten. Hier zitiert sie die Machart von Internetmemes, schlägt eine Brücke zur Schnelllebigkeit von Online- und Social-Media-Welten.

Wie schon in ihrem letzten Comic „Im Spiegelsaal“ sind die Seiten in „Astrologie“ koloriert und nicht mehr vorwiegend schwarz-weiß gehalten. Jedes Sternzeichen hat seine eigene Farbwelt: Das Kapitel der Waage etwa beginnt mit einem zarten Rosa und verwandelt sich in ein immer dunkleres Pink, als deutlich wird, dass die vermeintlich so umgänglichen Waagen Kim Kardashian und Gwyneth Paltrow ihre Überzeugungskraft einsetzen, um Frauen überteuerte Schönheitsprodukte anzudrehen.

Wirkliche Schockwirkung entfaltet das allerdings nicht, denn Strömquist macht sich im selben Grad lustig über eine Betrügerin, die mit einem erfundenen Krebsleiden Spendengelder einnimmt, wie über den Stapelchips-Erfinder Fred Baur, der seine Asche in einer Pringlesdose begraben wissen wollte.

Eine Zeichnung vom Sternzeichen Widder, etwas grimmig

Der Widder ist vieles und insbesondere nicht binär Foto: Liv Strömquist/avant-verlag

Dreht man das Buch um 180 Grad, gelangt man schließlich zum Theorieteil dieser Graphic Novel. Einleitend verweist Strömquist dabei auf Gegnerinnen ihres Projekts: „Mit Astrologie sollte man sich gar nicht erst befassen“, lässt die Autorin ihre Mutter sagen. Auch die Schwiegermutter ist skeptisch. Menschen in Kategorien einzuteilen – ob das nicht eine Form von Faschismus sei? Da beginnt Strömquist mit der Ursachenforschung und ergründet, was Menschen an Horoskopen fasziniert. An dieser Stelle erinnert „Astrologie“ eher an jene typisch text- und theorielastige Herangehensweise, die man von Strömquist-Comics gewohnt ist.

Sternenkunde bei Adorno

Die Politikwissenschaftlerin ordnet den Hype sodann kritisch ein. Mit Sigmund Freud bringt Strömquist den Begriff des narzisstischen Abwehrmechanismus ins Spiel; jenen Verteidigungstechniken des Ichs, mit denen sich insbesondere Anna Freud später ausgiebig beschäftigte. Ein ebensolcher narzisstischer Abwehrmechanismus könne die Astrologie sein, schreibt sie mit Verweis auf den Philosophen Theodor W. Ador­no, der die Sternenkunde als „Pseudo-Vernunft“ bezeichnete: Nicht das eigene Verhalten ist Schuld am Scheitern der Beziehung, sondern Merkur, der zurzeit leider rückläufig ist.

Liv Strömquist: „Astrologie“, avant-verlag, 176 Seiten, Softcover, 22 Euro

Apropos Narzissmus: In einer ichbezogenen Gesellschaft könne die Astrologie ein willkommener Anlass sein, sich obsessiv mit sich selbst zu beschäftigen, überlegt Strömquist. „Wer bin ich?“, fragt ein an Edvard Munch angelehnter Wassermann mit Aszendent Krebs und Mond im Schützen, mit einem Seitenhieb in Richtung Identitätspolitik.

Strömquist bezieht sich auch auf den Soziologen Aris Komporozos-Athanasiou, dem zufolge Horoskope in einer unsicheren Zeit Antworten bieten könnten. In einer übergroßen Sprechblase fragt er: „Was aber, wenn die Antwort, nach der wir jetzt suchen, die Unsicherheit selbst ist?“ In einer Gesellschaft, in der so vieles auf Spekulation basiere – vom Finanzsystem bis zu Dating-Apps –, tendierten Menschen dazu, ebenfalls spekulativ zu handeln.

Zentral für die Graphic Novel sind diese theoretischen Ausführungen allerdings nicht. Komporozos-Athanasiou, Freud und Kollegen bleiben kritische Ergänzung. Obwohl Strömquist die Sternzeichen-Vertreter*innen schonungslos überzeichnet, erhebt sie sich an keiner Stelle über jene, die an Astrologie glauben. Ziel ihres Buches ist es nicht, Sternzeichen als Unsinn zu entlarven. Stattdessen zeigt sie auf gelungene Weise, dass Astrologie dabei helfen kann, sich und andere nicht allzu ernst zu nehmen. Ob man am Ende lieber auf Adorno oder den Merkur hört, bleibt ohnehin jedem selbst überlassen.

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