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Tödliche Schüsse auf Zeugen JehovasVerdächtiger war Ex-Mitglied

Bei der Amoktat in Hamburg am Donnerstag starben acht Menschen, acht wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter war früher Mitglied der Gemeinde.

Mitarbeiter der Spurensicherung kommen aus dem Versammlungsgebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf Foto: Christian Charisius/dpa

Berlin/Hamburg taz/dpa/epd | Die Amoktat in einer Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg hat nach Erkenntnissen der Polizei ein ehemaliges Gemeindemitglied verübt. Wie die Ermittler am Freitag mitteilten, starben bei der Tat am Donnerstagabend acht Menschen, darunter der mutmaßliche Täter, ein 35 Jahre alter Mann. Er sei beim Eintreffen der Einsatzkräfte in den ersten Stock des Gebäudes geflohen und habe sich dort selbst erschossen.

Ralf Peter Anders, Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg, sagte, es gebe keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund. Der mutmaßliche Täter sei der Polizei bislang nicht bekannt gewesen. Thomas Radszuweit, Leiter des Staatsschutzes in Hamburg, sagte, der Mann habe die Gemeinde vor anderthalb Jahren freiwillig verlassen, offenbar „aber nicht im Guten“. „Das Motiv für die Tat lässt sich derzeit noch nicht sicher feststellen“, sagte er. Der Mann habe die Tatwaffe als Sportschütze legal besessen. Während der Pressekonferenz äußerte sich ein Sprecher der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas. Seinen Worten zufolge war der Verdächtige nicht ausgeschlossen worden, sondern aus der Gemeinde ausgetreten. Er sprach seine Fassungslosigkeit und Anteilnahme mit den Opfern und Verletzten aus.

Der mutmaßliche Täter, der 35-jährige Philipp F., stammt laut seinem Lebenslauf aus einer streng gläubigen, evangelikalen Familie im Allgäu. Er hatte ein Consulting-Büro an bester Adresse am Ballindamm an der Hamburger Binnenalster, offenbar ohne Mitarbeiter:innen. Seine edel gestaltete Website vermischt schon auf den ersten Blick in kruder Weise religiös-weltanschauliche und betriebswirtschaftliche Themen. Konkrete Kunden sind kaum zu finden und wo sie erwähnt sind, legt sein LinkedIn-Profil nahe, dass es sich in Wahrheit um Tätigkeiten aus früheren Festanstellungen bei großen Unternehmen handelt. Demnach hatte er in den vergangenen drei Jahren nur eine dreimonatige Beschäftigung beim Energiekonzern Vattenfall. Davor habe er sich während eines Sabbaticals „persönlichen Projekten“ gewidmet, danach seine Firma als „Investigator“ gegründet.

Sein Sabbatical hat F. offenbar genutzt, um ein umfängliches Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. „The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions“. Ein wirres, fast 300-seitiges Kompendium, mit dem F. beansprucht, „erstmals die Interaktion zwischen Himmel und Erde“ zu verdeutlichen. Der Schrift liegt offenbar ein strenger und wortwörtlicher Bibelglaube zu Grunde, den er immer wieder mit Floskeln aus dem Management-Sprech vermengt.

F. beantragte Waffenbesitzkarte als Sportschütze

2022 hatte F. als Sportschütze eine Waffenbesitzkarte beantragt, die ihm am 6. Dezember erteilt wurde, wie der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagte. Nur sechs Tage später, am 12. Dezember, kaufte F. sich eine halbautomatische Pistole. Wenig später erreichte die Hamburger Polizei ein anonymer Brief: F. sei demnach möglicherweise psychisch krank, ohne dass das diagnostiziert sei – und hege „Hass“ auf Religionsgemeinschaften, insbesondere die Zeugen Jehovas, sowie auf frühere Arbeitgeber. Deshalb müsse seine Waffenerlaubnis überprüft werden.

Daraufhin führten zwei Polizeibeamte der Waffenbehörde eine unangekündigte Kontrolle in F.s Altonaer Wohnung durch. Dort fanden sie Waffe und Munition ordnungsgemäß eingeschlossen vor – bis auf ein Projektil, das auf dem Waffenschrank stand. F. habe sich dafür entschuldigt, so Meyer, und eine Geldbuße bezahlt. Sein Verhalten habe aber ansonsten keinerlei Zweifel an seiner Eignung zum Führen einer Waffe genährt. Für weitergehende Untersuchungen habe es keine Rechtsgrundlage gegeben.

Der Polizeipräsident sagte jedoch, die rechtlichen Voraussetzungen für waffenrechtliche Genehmigungen und deren Überprüfung müssten möglicherweise angepasst werden. Ob F. damals bereits die gesamte Munition gelagert hatte, die er zum Zeitpunkt seines Amoklauf besaß, konnte Meyer zunächst nicht sagen.

Laut Staatsanwaltschaft wurde in der Wohnung des mutmaßlichen Täters auch eine größere Menge Munition gefunden. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und 4 Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet werden. Die Wohnung wurde am Freitagmorgen um 0.30 Uhr durchsucht, wenige Stunden nach der Tat.

Innenministerin Nancy Faeser auf dem Weg nach Hamburg

Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) lobte den Einsatz der Polizei. Wenige Minuten nach den ersten Notrufen seien Einsatzkräfte vor Ort gewesen. Es sei davon auszugehen, dass sie vielen Menschen das Leben gerettet hätten. Laut Polizei hatten sich am Donnerstagabend rund 50 Gemeindemitglieder in dem Gebäude im Stadtteil Alsterdorf versammelt. Acht Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. Die von dem Täter erschossenen Opfer sind zwei Frauen, vier Männer sowie ein weiblicher Fötus im Alter von 28 Wochen.

Die Bundesregierung sprach den Angehörigen der Opfer der Gewalttat ihre Anteilnahme aus. „Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den Angehörigen, Familien und Freunden der Opfer und bei den Verletzten dieser Tat“, sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. Die Anteilnahme sei auch bei den europäischen Partnern groß.

Hoffmann bedankte sich bei den Einsatz- und Rettungskräften „für ihren entschlossenen und schnellen Einsatz“. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, Ministerin Nancy Faeser sei in engem Kontakt mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher und Innensenator Grote. Demnach wird erwartet, dass Faeser noch am Freitag zum Tatort reist und sich dort äußert.

Die Opferschutzorganisation Weißer Ring hat Betroffenen schnelle Hilfe nach den tödlichen Schüssen in Hamburg angekündigt. „Wir sind erschüttert über diese brutale Tat. Noch ist vieles unklar, was aber feststeht: Wir sind sofort für die Betroffenen da“, teilte die Hamburger Landesvorsitzende Monika Schorn mit.

Die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer habe umgehend alle notwendigen Schritte eingeleitet, um Betroffenen schnell und unbürokratisch Hilfe anbieten zu können. Das Angebot richtet sich demnach auch an Anwohner aus der näheren Umgebung, denen die erstmal unsichere Situation eventuell große Angst gemacht hat.

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