Nach dem Bootsunglück vor Italien: Melonis Kommunikations-Unfall
Italiens Rechtsregierung verabschiedet neue Maßnahmen gegen Schlepper. Plötzlich spricht sie auch von Wegen zu „regulärer Einwanderung“.
Am 26. Februar waren mindestens 72 Personen vor der Küste Cutros tief im Süden des Landes ertrunken, als ihr von der Türkei abgefahrenes Holzboot nur 100 Meter vom Strand entfernt bei hohem Wellengang kenterte und auseinanderbrach.Bis zu 40 Menschen werden noch vermisst, während 80 Menschen gerettet werden konnten.
Seither geht eine Welle des Entsetzens und der Anteilnahme durch das Land. Der Papst würdigte die Opfer ebenso wie Staatspräsident Sergio Mattarella, der nach Cutro reiste, um sich vor den Särgen der Toten zu verneigen, und auch Elly Schlein, die neue Vorsitzende der größten Oppositionspartei Partito Democratico, reiste zum Kondolenzbesuch in dem kalabrischen Ort an.
Gar nicht blicken ließen sich bis zum Donnerstag dagegen die Vertreter*innen der ultrarechten Meloni-Regierung, beginnend bei der Ministerpräsidentin selbst. Einzig der Innenminister Matteo Piantedosi war bisher durch zynische Kommentare aufgefallen, zum Beispiel dass Eltern, die mit ihren Kindern eine solche Überfahrt wagen, schlicht „unverantwortlich“ seien.
30 Jahre Haftandrohung für Schlepper
Deshalb jetzt die Kabinettssitzung in Cutro: Giorgia Meloni wollte das in der Öffentlichkeit entstandene Bild der kaltherzigen Teilnahmslosigkeit geraderücken – und sie wollte zugleich Entschlossenheit auf dem Feld der Flüchtlings- und Migrationspolitik demonstrieren.
Doch schon kommunikativ wurde der Ausflug zum Desaster. Empörte Bürger*innen bewarfen den Wagen Melonis mit Plüschtieren, um an die toten Kinder des Schiffsunglücks zu erinnern, und die postfaschistische Ministerpräsidentin schaffte es nicht einmal, sich in die Sporthalle zu begeben, in der die Särge aufgebahrt sind, aus Angst vor öffentlichen Anfeindungen.
So reichte es nur zur Verabschiedung eines Maßnahmenpakets, mit dem die Regierung „den Schleusern das Handwerk legen“ will, das aber an der Migrationsdynamik wenig ändern wird. So sollen Schlepper, die für den Tod von Passagieren verantwortlich sind, künftig bis zu 30 Jahre Haft erhalten (bisher sind es 20 Jahre), und so sollen in Italien weitere Haftzentren für die Rückführung von irregulären Migrant*innen in ihre Heimatländer errichtet werden.
Zugleich verspricht die Regierung für die Zukunft die Stärkung regulärer Zuwanderungswege – und dabei sollen Migrant*innen aus jenen Staaten bevorzugt werden, die sich Italien gegenüber bei der Verhinderung irregulärer Migration kooperativ zeigen, zum Beispiel dadurch, dass sie in ihren Ländern Werbekampagnen schalten, die auf die tödlichen Gefahren der irregulären Überfahrten hinweisen.
Dass jetzt überhaupt Italiens Rechte plötzlich von regulärer Zuwanderung redet, liegt vor allem daran, dass die Arbeitgeberverbände händeringend den Mangel an Arbeitskräften beklagen, in der Landwirtschaft, im Tourismus, aber auch auf dem Bau und in der Industrie.
Keine Rolle spielte dagegen diesmal der von der Regierung eröffnete Kampf gegen die NGOs, denen Italiens Rechte seit der Machtübernahme im Oktober 2022 mit zahlreichen Schikanen die Arbeit systematisch erschwert, beginnend damit, dass den NGO-Schiffen nach jedem Rettungseinsatz weit vom Einsatzgebiet liegende Häfen in Norditalien zugewiesen werden.
Propagandistisch mochte dieser Kleinkrieg gegen die NGOs für einige Wochen in der rechten Wählerschaft ziehen, an der Migrationsdynamik hat er jedoch nichts geändert. Ganz ohne NGO-Beteiligung trafen im Jahr 2023 deutlich mehr Menschen von Libyen und Tunesien kommend an Italiens Küsten ein als noch im Vorjahr. Allein am Donnerstag, dem Tag der Kabinettssitzung in Cutro, wurde aus Lampedusa die Ankunft zahlreicher Boote mit rund 1.300 Personen an Bord gemeldet.
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