Marozsán über Rücktritt im DFB-Team: „Das macht mich müde“
Deutschlands beste Fußballerin Dzsenifer Marozsán erklärt, warum sie ihre DFB-Karriere beendet und wie mühsam der Kampf um bessere Bedingungen ist.
taz: Frau Marozsán, das deutsche Frauen-Nationalteam wird auf dem Weg zur WM 2023 in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) rund um Ostern zwei Testspiele in den Niederlanden und gegen Brasilien bestreiten. Sie hatten das Trainingslager in Spanien und damit auch den Jahresauftakt gegen Schweden (0:0) abgesagt. Sind Sie diesmal wieder dabei?
Dzsenifer Marozsán: Ich werde diesmal dabei sein, aber gegen Brasilien mein Abschiedsspiel geben. Ich werde aus der Nationalmannschaft zurücktreten. Seit einigen Monaten habe ich mir bereits intensive Gedanken dazu gemacht, die jetzt zu dem Entschluss gereift sind.
Das kommt sehr überraschend. Warum?
Durch meine schwere Knieverletzung (Kreuzbandriss im Frühjahr 2022; Anm. d. Red.) habe ich gemerkt, dass es sich richtig anfühlt, in der Nationalmannschaft aufzuhören. Die verpasste EM in England war eines von vielen Zeichen. Ich erinnere mich gut, wie ich bei der WM 2011, als ich ebenfalls verletzt war, nicht mal ein Spiel anschauen wollte. Jetzt war ich am Fernseher der größte Fan von den Mädels, ohne dass es weh tat, nicht dabei zu sein. Hinzu kommt die Doppelbelastung, die nicht optimal wäre. Ich bin zwar im Verein wieder gut dabei, aber das Knie ist nicht mehr das alte – ich muss enorm viel arbeiten, damit ich alle Trainingseinheiten und Spiele absolvieren kann. Ich glaube, es wäre einfach zu viel, dann noch Länderspiele, Vorbereitung und das Turnier zu spielen.
30, spielt für Olympique Lyon, hat 111 Länderspiele bestritten, gewann mit dem DFB-Team die EM 2013 und olympisches Gold 2016.
Das klingt verständlich, aber Sie sind bei Olympique Lyon wieder in Form und es steht eine Weltmeisterschaft an. Die Heim-WM 2011 haben Sie verpasst, 2015 in Kanada haben Sie sich beim Turnier verletzt und 2019 in Frankreich haben Sie sich im Auftaktspiel den großen Zeh gebrochen. Gab es nicht die Überlegung, diesen Fluch jetzt zu besiegen?
Ja, natürlich war das ein Gedanke, aber es kommen viele Elemente für mich zusammen, dass es gefühlt der richtige Moment ist, das Kapitel Nationalmannschaft abzuschließen. Jede WM ist für mich unglücklich gelaufen: Ich will nicht sagen, dass ich Angst hätte, mich jetzt wieder zu verletzen, aber natürlich sind diese Erlebnisse ein Teil meiner persönlichen Geschichte und daher präsent bei mir.
Sie sind im November 2022 in Lyon auf den Platz zurückgekehrt. Sie schrieben, Sie seien bereit für mehr Comebacks. War da schon der Entschluss gereift, der Nationalmannschaft den Rücken zu kehren?
Mit dem Gedanken habe ich mich wie schon erwähnt länger beschäftigt, aber ausgesprochen habe ich es erst vor einem Monat – und das nur intern mit dem DFB-Trainerteam.
Wie hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg reagiert?
Sie war sprachlos, aber sie hat meine Entscheidung respektiert. Im ersten Moment fehlten ihr wirklich die Worte, deswegen bot ich ihr an, eine Woche später noch mal zu telefonieren. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich mit ihr immer über alles offen sprechen kann. Von ihr kam dann auch das Angebot, ein Länderspiel als Abschiedsspiel zu deklarieren. Ich empfinde das als schöne, besondere Geste von ihr und dem DFB.
Sie waren zuletzt nach dem EM-Finale beim Team. Was sagen Sie zur Entwicklung?
Es war in England wirklich toll, dass diese Mannschaft so befreit so schönen Fußball gespielt hat. Das erleichtert die Situation auch für mich, weil ich sehe, dass die Mädels es super machen. Ich werde ein Riesenfan von ihnen bleiben.
Im Frauenfußball ging es zuletzt oft um mehr Wertschätzung, bessere Bedingungen und vielleicht auch dieselben Prämien wie die Männer. Wo hat sich denn wirklich mehr getan: beim Equal Play oder beim Equal Pay?
Wenn ich zehn Jahre zurückschaue, hat sich der Frauenfußball in allen Bereichen bereits enorm entwickelt, aber es ist auch überall noch Luft nach oben. Ich habe das Glück, dass es bei Olympique Lyon sehr professionell zugeht, aber bei manchen Auswärtsspielen sind die Bedingungen wirklich noch unterirdisch. Es kann auch nicht sein, dass eine professionelle Spielerin nebenbei noch arbeiten muss.
Von Ihnen war zu solchen Themen eher selten etwas zu hören. Warum?
Ich finde es einfach nur schade, dass wir einen Zirkus veranstalten müssen, um respektiert zu werden. Irgendwann hat man die Nase voll! Die Kanadierinnen haben lila Trikots angezogen, um ausstehende Zahlungen einzufordern. Es ist doch krass, was wir immer wieder anstellen müssen, um Anerkennung und Sichtbarkeit zu erfahren. Das macht mich müde.
Ihr Vertrag läuft aus, aber Sie wollen nicht aufhören?
Ich möchte noch ein paar Jahre kicken, das ist überhaupt keine Frage für mich. Aber es ist noch nicht entschieden, wo ich weiterspiele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos