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Wahlen in NigeriaWahl mit Hindernissen

Nigeria hat gewählt, trotz einer Reihe von Problemen in Wahllokalen. Unsere Autorin war am Wahltag unterwegs in der Wirtschaftsmetropole Lagos.

Stimmauszählung vor einem Wahllokal Lagos in Nigeria Foto: Ben Curtis/ap

Lagos taz | In der Ikeja Street in Ikoyi, einem Stadtteil von Lagos, fängt der Wahltag mit Warten an. Nigerias Präsidenten-, Repräsentantenhaus- und Senatswahlen sollten eigentlich um 8.30 Uhr beginnen. Doch 45 Minuten später sind die Ver­tre­te­r*in­nen der Wahlkommission (INEC) noch immer nicht da. Die Wartenden haben sich auf den Bürgersteig auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesetzt, und die graue Mauer spendet etwas Schatten. Für die Älteren werden Plastikstühle aus den Häusern geholt.

Aus vielen Landesteilen wird Ähnliches berichtet. Yiaga, eine nichtstaatliche Organisation mit 3.836 Wahlbeobachter*innen, sagt: Um 9.30 Uhr konnte nicht einmal in jedem zweiten Wahllokal abgestimmt werden. Auf der interaktiven Karte von Connected Development (CODE), die 20.000 Personen mit Daten füttern, bleibt das anfangs ebenfalls die Hauptkritik. Im Laufe des Tages werden allerdings hauptsächlich aus Lagos – Hochburg des regierenden All Progressives Congress (APC) – Vorfälle von gestohlenen Wahlurnen und Einschüchterungsversuchen bekannt. Häufiger Schauplatz ist Surulele.

In Ikoyi bleiben die Menschen gelassen. Auch Moji Dange ist an ihrem Wahllokal an der Ikeja Street angekommen. Sie ist gerade 70 geworden und lässt sich in einem kleinen blauen Transporter vorfahren. Zu wählen, das ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie macht keinen Hehl daraus, wer ihre Stimme erhalten wird. „Tinubu natürlich,“ der 70-jährige Präsidentschaftskandidat des APC. „Als Gouverneur hat er uns doch schon gezeigt, was er alles kann.“ Für den Wunschkandidaten vieler junger Menschen, Peter Obi, hat sie wenig übrig. „Je älter jemand ist, desto mehr Erfahrung hat er. Die Jugendlichen wissen doch gar nicht, was Tinubu alles für Lagos gemacht hat.“

Mit 90 Minuten Verspätung kommen schließlich zwei Wahlhelferinnen an, bauen Wahlkabinen und Urnen auf. Doch das elektronische Einlesen der Wäh­le­r*in­nen­kar­ten (BVAS) funktioniert lange nicht. Das Gerät ist heiß, und in der prallen Sonne lässt sich auf dem Bildschirm kaum etwas erkennen. Doch irgendwann klickt es, und Moji Dange kann als erste Wählerin auf die drei Stimmzettel ihren Fingerabdruck machen. Als sie diese in die Wahlurnen wirft, nickt sie zufrieden. Mittlerweile ist es elf Uhr.

Wählen für ein anderes Nigeria

So viel Glück haben die Wäh­le­r*in­nen an der Isale Eko Avenue nicht. Hier ist bisher niemand von INEC gekommen. Eine Frau auf einem Plastikstuhl im Schatten: „Wir sind hier gestrandet. Die Menschen werden ärgerlich.“ Eine mögliche Erklärung ist, dass es sich um einen neuen Wahlkreis handelt, und die Verantwortlichen selbst nicht genau wissen, wohin sie müssen. Kommt bis Mittag niemand, will sie wieder gehen. „Dabei ist mir die Wahl so wichtig.“

Das sieht auch eine Frau in Surulele so, die im Internet zur Heldin wird. Als eine Gruppe von Schlägertypen in ihr Wahllokal eindringt und Unterlagen stehlen will, stellt sie sich gegen diese, wird verletzt. Die Gruppe muss jedoch flüchten. Wenig später kommt die Frau im blutverschmierten T-Shirt und Pflastern im Gesicht zurück, um doch noch zu wählen. Das kleine Video ist mittlerweile millionenfach geteilt worden.

Mit mehr als dreistündiger Verspätung sind an der Isale Eko Avenue doch noch Wahlkabinen und Wahlurnen aufgestellt worden. 116 abgegebene Stimmen werden um 14.30 Uhr – offizielles Ende ist bereits um 14 Uhr – gezählt. Eine große Menschentraube hat sich gebildet. Etwas abseits lehnt sich eine Gruppe von Männern an ein Auto und trinkt Whiskey.

Je mehr Stimmen an die Labor Party und Spitzenkandidat Peter Obi gehen, desto mehr tanzt Etuh David Baba um die Menschentraube herum. 76 erhält Obi hier schließlich. Wie bei einem Countdown zählen alle mit, sogar eine Frau, die eigentlich für Atiku Abubakar, Kandidat der People's Democratic Party (PDP) gestimmt hat. „Wenn das hier schon so gut läuft für Obi, obwohl Tinubu doch der Lagos Boy ist – wie wird das erst in anderen Regionen des Landes sein?“, jubelt der Zwei-Meter-Mann. In den vergangenen Wochen hat er versucht, so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren. „Wir brauchen ein anderes Nigeria“, sagt er.

Bis es verlässliche Ergebnisse gibt, kann es allerdings noch Tage dauern. Hochrechnungen gibt es nicht. Yiaga hat am Abend kritisiert, dass INEC auch Stunden nach Schließung der Wahllokale noch kein einziges Ergebnis hochgeladen hat.

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