Bestatter über seine Arbeit: „Überrascht, dass ich das konnte“

Nach einer Trauerfeier bedanken sich die Angehörigen „oft wie in der Bar für den schönen Abschied“, sagt Frank Blume. Der Hamburger muss es wissen.

Ein Mann steht in einem hellen Raum: Frank Blume arbeitet jetzt als Bestatter und früher mal in einer Kneipe

Frank Blume arbeitet bei einem alternativen Hamburger Bestattungsunternehmen Foto: Miguel Ferraz Araujo

wochentaz: Gibt es Parallelen in der Arbeit als Kneipenwirt und als Bestatter, Herr Blume?

Frank Blume: Dass man mit Menschen zu tun hat. Als Kneipier versuche ich, den Leuten einen schönen Abend zu machen und als Bestatter versuche ich, den Verstorbenen noch ein bisschen Würde zurückzugeben und vielleicht einen schönen Abschied, eine schöne letzte Fahrt. Ich bin nicht unbedingt der geselligste Mensch, aber hinterm Tresen war ich ganz gut, und ich habe mich immer gefreut, wenn es so gegen elf Uhr voll war, die Getränke waren gut und wenn die Leute nach Hause gingen, waren sie ein bisschen selig. Nach einer Trauerfeier bedanken sich die Angehörigen oft wie in der Bar für den schönen Abschied.

Was macht einen guten Abschied für die Toten aus?

Einen Verstorbenen, gerade wenn er von der Intensivstation kommt oder eine lange Krankheit hinter sich hat und in einem schlimmen Zustand sein kann, so zu versorgen, dass er wieder würdevoll aussieht. Also angezogen ist, in seinem Sarg liegt, friedlich aussieht. Man kann den Verstorbenen keine schöne Zeit machen, aber man kann ihnen ein bisschen Würde zurückgeben.

Der Mensch

Frank Blume (57) hat Anglistik und Germanistik, Schwerpunkt Film studiert. Anschließend hat er als Barmann gearbeitet und 2004 und 2008 eigene Kneipen im Hamburger Schanzenviertel eröffnet. Seit 2019 arbeitet er bei einem alternativen Hamburger Bestattungsinstitut. Nebenbei arbeitet er für einen Hersteller für nachhaltigen Surf­bedarf.

Die Arbeit

Als Teil des Bestattungsorganisationsteams kümmert sich Blume um die Versorgung der Toten, Waschen, Wundversorgung und Ankleiden. Er überführt die Toten von ihrem Sterbeort zum Bestattungsinstitut und ist bei den Abschieden und Trauerfeiern dabei. (grä)

Woran haben Sie gemerkt, dass es Zeit war, mit der Kneipe im Schanzenviertel aufzuhören?

Ich war mit dem Thema langsam durch. Ich habe schon 1996 in der Gastronomie angefangen, 2004 habe ich mit einem Kumpel das Nord aufgemacht, 2008 dann die Austerbar und 2019 ist das dann langsam bei mir eingeknickt. Der Laden läuft immer noch gut, aber er ist zu klein, um zwei Leute wirklich zu versorgen. Ich habe immer schon nebenher gearbeitet, in einem Shop für nachhaltiges Surfen. Aber ich wurde immer unzufriedener.

Aber es lag nicht an der Arbeit, sondern am Geld?

Ich habe vielleicht 10 Prozent der Zeit hinter dem Tresen gearbeitet, das war Bombe. Der große Rest war zum Schluss Buchhaltung, Ladenputzen, Bestellungen machen und Personalplanung. Ich war dann müde von der Gastronomie. Und wenn man als Gastronom einen eigenen Laden hat und müde ist, dann ist man ein schlechter Gastgeber.

Und wie kam das Bestatterwesen ins Spiel?

Meine Lebensgefährtin kannte Christian, den heutigen Geschäftsführer von Trostwerk, der so von meiner beruflichen Unzufriedenheit erfuhr und mich einlud, ein Praktikum bei ihm zu machen und eventuell bei ihm zu arbeiten.

Trostwerk ist das alternative Bestattungsinstitut, bei dem Sie jetzt arbeiten …

Trostwerk kannte ich schon länger, ich habe früher um die Ecke gewohnt und habe da immer die Särge im Schaufenster gesehen und Christian gehörte schon lange zu meinem Bekanntenkreis.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und wie kam es dann zu Ihrer neuen Arbeit?

Also, ich hatte vorher nicht gedacht, ich möchte Bestatter werden, und habe mich einen Monat damit befasst, es gedanklich hin und her geschoben und dann das Praktikum gemacht. Da haben wir festgestellt, dass ich gut ins Team passe, dass mir die Arbeit, so fremd sie mir anfangs auch war, gefällt. Und dann bin ich ins Team aufgenommen worden.

Was ist das Fremde?

Fremd ist es, aus dem prallen Barleben zu wechseln und dann, was ich vorher nie gemacht habe, im Bereich von Trauer und Tod zu arbeiten und Verstorbene zu versorgen. Und dann die Feststellung, dass das klappt, dass ich das kann.

War es für Sie eine Überwindung, die Verstorbenen zu berühren?

Ich musste mich an meine Zeit im Zivildienst erinnern, da habe ich bei der Pflege geholfen. Da geht es auch ums Anfassen, ums Umwenden, teilweise mit denselben Griffen, die man hier bei der Versorgung hat. Die Arbeit und das Berühren des Körpers von Verstorbenen ist aber was komplett anderes, da musste ich mich erst dran gewöhnen.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie den Verstorbenen die Würde zurückgeben wollen. Wodurch haben sie die verloren?

Wenn die Leute im Krankenhaus versterben, werden die Kabel von den Geräten abgenommen, aber der Rest wird am Körper gelassen – so möchte niemand gesehen werden. Deswegen sehe ich das als Würde zurückgeben, wenn man diese ganzen Sachen entfernt, alle Wunden schließt und die Leute ankleidet.

Wunden schließen zu können, das klingt wie Zaubern.

Ich war überrascht, dass ich das konnte. Und im übertragenen Sinn schließt man auch noch einige andere Wunden, wenn man die Verstorbenen für den Abschied herrichtet.

Wie haben Sie das Wundenverschließen gelernt?

Zuerst guckt man beim Versorgen zu. Dann gibt es Fortbildungskurse für Bestatter, wo man so etwas lernt. Wobei wir bei uns versuchen, die Eingriffe so klein wie möglich zu halten.

Vermittelt sich etwas von der Person, die die Toten einmal gewesen sind?

Auf alle Fälle. Wir werden von Trostwerk vorher über die Verstorbenen informiert, gar nicht unbedingt über den Todesgrund, sondern darüber, was es für Angehörige gibt, was für einen Beruf die Leute hatten, wo und wie sie gewohnt haben. Und gerade wenn man die Person dann angezogen hat, sieht man sie komplett. Sie bekommen die Kleidung, die sie gerne mochten. Bei manchen ist es das, was sie im Garten getragen haben, weil sie gerne gegärtnert haben. Das ist manchmal seltsam, weil sie dann wie schlafend aussehen – sehr weit entfernt davon, eine Sache zu sein.

Warum eine Sache?

Für die Behörden sind die Verstorbenen zwar keine Sachen, aber sie verlieren alle Persönlichkeitsrechte. Ich glaube nicht an Gott oder an einen Himmel, aber ich habe das Gefühl, dass der oder die Verstorbene einen beobachtet und immer noch bei einem ist.

Dürfen die Angehörigen bei der Versorgung der Toten helfen?

Dürfen sie, aber es kommt in unserer Kultur als Idee gar nicht mehr vor – alles, was den Tod betrifft, wird an den Bestatter abgegeben.

Ist es auch die Furcht, dass man den toten Menschen nicht wiedererkennt, dass das Gesicht schmerzverzerrt oder fremd ist?

Verstorbene sehen oft fremd aus, anders als zu Lebzeiten. Aber ob es daran liegt, kann ich nicht sagen, ich habe keinen intensiven Kontakt zu den Angehörigen. Bei mir persönlich wäre die Angst früher wahrscheinlich auch groß gewesen.

Versuchen Sie die Angehörigen vorsichtig davon zu überzeugen, doch bei der Versorgung zu helfen?

Das tun wir, hängt aber von der jeweiligen Situation ab. Wenn sich die Angehörigen dazu entscheiden, findet eine unterstützte Totenfürsorge statt, in der wir beiseitestehen. Dann kann man schon sehen, wie vorsichtig die Angehörigen dort reingehen und manche erst lange warten, bevor sie überhaupt an den Tisch herantreten.

Was war das Wichtigste, was Sie bei Ihrer Arbeit gelernt haben?

Dass in den meisten Fällen das Sterben gerade im Alter ein sehr anstrengender, langer Prozess ist. Und dass die ganze Familie oft unglaublich viel durchmacht, gerade wenn Leute von ihren Verwandten zu Hause mitversorgt werden. Es ist ein langer Weg, und wenn ich einen Verstorbenen vor mir habe, habe ich auch Achtung davor, dass die Person das alles durchgestanden hat. Und nicht vorher einen anderen Ausweg gesucht hat, sondern wirklich gewartet hat, bis Schluss ist.

Im Augenblick arbeiten Sie im BO-Team, BO steht für Besttattungsorganisation. Warum nicht auch in der Trauerbegleitung?

Man ist drei- bis viermal pro Woche im Familienkreis von Angehörigen, man ist wirklich intensiv dabei und ich bin mir unsicher, ob ich dieser Herausforderung gewachsen bin.

Warum?

Ob ich die nötige Mischung aus Abstand und Nähe hinbekomme. Also nah genug, um empathisch zu sein, aber weit genug entfernt, um nicht selbst von der Trauer angefallen zu werden.

Wie viel Trauer fällt Sie bei der Arbeit an, die Sie jetzt tun?

Wie misst man das? Eine Träne pro Tag? Dort, wo ich arbeite, ist es gut dosierbar, sehr gut absehbar. Am intensivsten sind die Momente, wenn wir die Verstorbene von zu Hause abholen. Das ist oft im Familienkreis, meistens auch sehr kurz nach dem Tod. Ich finde es sehr anstrengend und herausfordernd, dort alles eins zu eins mitzubekommen. Gerade wenn es Familienväter oder Kinder sind.

Ich stelle mir das sehr schwierig vor: Man soll den Verstorbenen abholen, aber irgendwie nimmt man ihn ja auch der Familie weg.

Auf alle Fälle. Der finale Moment ist, wenn das Oberteil des Sargs geschlossen wird, denn das ist dann für die Angehörigen wirklich der Augenblick, der zeigt, dass jetzt der geliebte Mensch abgeholt wird. Das ist schon auch ein Wegnehmen. Wobei es den Angehörigen offensteht, immer bei uns vorbeizukommen, auf Wunsch sogar nachts.

Gibt es Situationen bei der Arbeit, bei denen Sie sagen: Das kann ich nicht, das geht über meine Grenzen?

Jeder hat die Möglichkeit zu sagen, ich mach nicht weiter, und das würde einem auch auf keinen Fall nachgetragen werden. Ich habe bisher bei mir noch keinen solchen Moment erlebt.

Ich finde, das Beeindruckende ist, dass Menschen diese Arbeit tun, denen es schwerfällt und sie es trotzdem tun.

Es gibt Leute, denen es noch schwerer fällt als mir. Es ist wesentlich härter für einige Leute hier, die eigene Kinder großgezogen haben. Oder wenn es um Kinder geht, die das gleiche Alter haben wie die eigenen.

Wenn man die Porträts der Mit­ar­bei­te­r:in­nen hier liest, sind es sehr viele Quer­ein­stei­ge­r:in­nen – so wie Sie.

Fast alle, gerade bei den Begleiterinnen und Begleitern. Es sind Leute, die vorher im Hospiz gearbeitet haben oder in sozialen Berufen. Aber es ist keiner oder keine dabei, der oder die schon mit 17 dachten: Ich möchte Bestatterin werden oder Bestatter. Die Leute werden dann eher angesprochen. Übrigens, die Geschichte von Trostwerk hat mit der Bestattung eines Kindes angefangen.

Was ist damals passiert?

Im Umfeld der Trostwerk-Gründer starb ein Kind und es war damals für sie unmöglich, einen Bestatter zu finden, der eine Bestattung oder eine Trauerbegleitung anbieten konnte, die zum alternativen Lebenskonzept der Leute passte. Daraus entstand die Idee, ein Bestattungsinstitut zu gründen, um auch andere Wege zu zeigen.

Trostwerk selbst hatte einen Todesfall, eine Mitarbeiterin, an die auf der Internetseite erinnert wird.

Es war eine Person, die wusste, dass sie sterben wird. Und die bis zum Schluss einfach noch gearbeitet hat. Sie hatte einen wahnsinnig beeindruckend bewussten Umgang mit ihrem Tod.

Sprechen Sie untereinander über den Umgang mit der Traurigkeit?

Es gibt Supervision und einmal pro Woche eine Teamsitzung, wo solche Sachen besprochen werden.

Ist die Arbeit eigentlich wieder so eine Zwischenposition wie als Kneipenwirt: als Teilzeit-Mitglied des Büroteams Teil des Geschehens sein, aber eher vom Rand her? Sodass Sie den Grad selbst dosieren?

Ja, ich könnte dosieren – bisher musste ich das nicht. Aber ich glaube, wenn ich Begleiter wäre, wäre es das Schwierigste für mich zu dosieren, wie viel ich jetzt mit nach Hause nehme.

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