piwik no script img

Coworking im Torf-Hub in Kastorf Foto: Miguel Ferraz Araujo

Coworking auf dem LandDie neue Landarbeit

Coworking-Spaces auf dem Land bieten nicht nur frische Luft für gestresste Stadtmenschen. Sie sind Testlabore für den Umbau der Arbeitswelt.

T om, der Mops, tappt vom Schreibtisch seines Herrchens über den mit Holzplatten belegten Boden. Er läuft vorbei an Arbeitsnischen, an der Sitzecke mit den orangefarbenen Sesseln, an der Station mit Drucker und Büromaterial, und das Klicken seiner Krallen mischt sich mit dem Klackern eiliger Finger auf Computertastaturen. Durch die hölzerne Schiebetür trabt Tom in die Küche: Dort zischt die Kaffeemaschine, Stimmen plaudern in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch. Klingt, als gäbe es da etwas zu fressen oder jemanden, der ihn streichelt.

Für Tom sind die Tage, in denen sein Herrchen im Coworking-Space arbeitet, gute Tage: „Er ist gern unter Menschen“, sagt Henning Springhorn.

Springhorn sitzt im Großraumbüro vor einem Bildschirm, vor sich ein Laptop und ein Smartphone. Der 26-Jährige könnte ebenso gut zu Hause bleiben, einen Schreibtisch hat er auch in der Wohnung in Hamburg, die er sich mit Freundin und Mops teilt. „Aber da fällt mir manchmal die Decke auf den Kopf“, sagt er. Dann setzt er sich ins Auto und fährt aus der Stadt aufs Land, in den Torf-Hub in Kastorf.

Das Dorf in Schleswig-Holstein besteht nur aus einer Handvoll Straßen, es gibt keinen Laden, aber eine Tankstelle, einen Imbiss und neuerdings ein kleines Ärztehaus. Rund 1.200 Menschen leben hier, doppelt so viele wie noch vor einigen Jahren, verrät die Gemeindehomepage stolz. Dennoch scheint es erst mal kein Ort zu sein, an dem ein Labor für die Arbeit von morgen entsteht. Tatsächlich war Kastorf nicht die erste Wahl für Jule Lietzau und Florian Watzke, das Gründungsduo des Torf-Hub: „Wir wollten nach Bliestorf, haben da aber keine passenden Räumlichkeiten gefunden“, sagt Lietzau. Bliestorf liegt vier Kilometer nordwestlich von Kastorf und ist mit 650 Ein­woh­ne­r*in­nen etwa halb so groß.

Coworking auf dem Land

Neues Arbeiten

Das feste Büro im Firmensitz ist ein Auslaufmodell. Zahllose Soloselbstständige und Freiberufler:innen arbeiten heute mobil. Start-ups probieren sich ein paar Monate aus – und spätestens seit Corona verrichten auch Angestellte klassischer Unternehmen ihren Dienst immer öfter außerhalb der Firma.

Die Stadt macht‘s vor

Coworking-Spaces sind zunächst eine urbane Angelegenheit. Hier bieten diverse private Anbieter Arbeitsplätze an, die auch tage-, wochen- oder monatsweise angemietet werden können, um nicht allein am vollgerümpelten Küchentisch vor sich hin zu wurschteln.

Raus aufs Land

Im ländlichen Raum sind solche Anbieter rar, geeignete Immobilien schwerer zu finden und auch die Nachfrage schwerer einzuschätzen. Immer öfter springen hier Kommunen ein – als Dienstleister am Bürger, aber auch, um die eigene Region attraktiver zu machen für flexibel arbeitende Menschen.

Coworking im ländlichen Raum ist ein vergleichsweise neues Phänomen. Aber eines, das sich schnell entwickelt. Ein treibender Faktor war die Coronapandemie, sagt Nicole Dau. Sie ist Sprecherin von CoWorkLand, einer Genossenschaft mit inzwischen etwa 250 Coworking-Büros bundesweit. Einen Schwerpunkt bildet Schleswig-Holstein.

Dort liegen auch die Wurzeln der Genossenschaft: Sie hat sich aus einem Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung entwickelt, die 2018 in verschiedenen Orten Container aufstellte und darin Coworking anbot. Gefördert wurde das Modell vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und sollte „die ländliche Bevölkerung dazu animieren, selbst Coworking-Spaces einzurichten“, unterstützt mit „speziellen Tools und Finanzierungsmodellen“ der Stiftung.

Zeitenwende: früher eine Schreinerwerkstatt, heute der Computerraum fürs Torf-Hub Foto: Miguel Ferraz Araujo

In Gettorf stand der Container direkt auf dem Dorfplatz, „das Amt hatte schnelles Internet gelegt“, erinnert sich Ulrike Münzberg-Niemann, zuständig für die Wirtschaftsförderung der 8.000-Personen-Gemeinde, die nahe der Ostsee zwischen Kiel und Eckernförde liegt. Es gab Dorfkino, Treffen für Start-ups, Kaffee, Gespräche, und irgendwann tauchte die Frage auf, ob die Gemeinde selbst einen Coworking-Space betreiben könnte.

Alte Arbeitswelt trifft neue

Die Coronapandemie verzögerte das Projekt, machte aber gleichzeitig deutlich, wie sinnvoll ein solches Büro als Alternative zum Homeoffice ist. Inzwischen arbeitet „Gettwork“ erfolgreich in einem Haus, in dem früher Kutschen gebaut wurden: Alte Arbeitswelt trifft neue.

Auch in Kastorf sind noch Spuren der Vorgänger zu finden. Der Torf-Hub – das „Torf“ steht für Kastorf – befindet sich in einer ehemaligen Schreiner­werkstatt, Fotos von früher hängen im Flur, eine gezimmerte Holztruhe steht im Besprechungsraum. Beton, Stahlbalken unter der Tonnendecke, offene Holzregale in der Küche: Alles solle ein bisschen roh, unfertig, „industrial“ aussehen, sagt Hub-Gründerin Lietzau, die gern englische Wörter einstreut. So heißt das größte Büro, das Platz für vier Schreibtische, Sofaecke und Druckerstation bietet, selbstverständlich „Open Space“.

Die 35-Jährige stammt aus Bremen, ist Zimmerergesellin, hat in Zürich und in Schweden gelebt und in Lüneburg und Hamburg Umweltwissenschaften und Stadtplanung studiert, bevor sie mit ihrem Partner nach Bliestorf zog. Schon früh hat sie geärgert, dass Stadtplanung kaum auf den ländlichen Raum schaue. Als sie im Studium auf das Thema Coworking stieß, „habe ich mich richtig darin verbissen“, sagt sie. Per Anzeige im Bliestorfer Amtsblatt – ja, tatsächlich – suchte sie Interes­senten für ein Gemeinschaftsbüro. Zwei Personen meldeten sich, darunter Florian Watzke.

Der 40-Jährige kehrte nach zahlreichen Stationen, darunter Berlin und Madrid, in sein Heimatdorf Bliestorf zurück, weil sein Mann und er mit den Kindern in der Nähe der Großeltern leben wollten. Watzke arbeitet als Trainer, Coach und in der Per­sonalentwicklung, alles online, vom heimischen Schreibtisch oder im Torf-Hub, wie es gerade passt. Lietzau hat aus der Cowork-Idee einen Beruf gemacht, sie berät andere Grün­de­r*in­nen und Gemeinden bei der ­Umsetzung. Den Torf-Hub betreiben sie nebenbei.

Ob Coworking auf dem Land gelingt, hänge davon ab, ob sich genügend Personen für das Konzept begeistern, weiß Nicole Dau: „Man muss erklären, was das soll, für wen es ist.“ Im Idealfall trifft sich dort auch „der Häkelzirkel von Oma Meyer“ und örtliche Sportvereine halten ihre Versammlungen ab. Es brauche vor der Gründung viel Kommunikation, mit möglichen Mie­te­r*in­nen und der Gemeinde: „Am besten hat man erst die Gemeinschaft, dann den Space.“

Arbeiten auf dem Lande: Blick ins Torf-Hub, den Coworking-Space in Kastorf Foto: Miguel Ferraz Araujo

In Gettorf, wo der Ort selbst der Betreiber ist, dauerte der Vorlauf ein Jahr. Der Gemeinderat richtete eine Arbeitsgemeinschaft ein, Bür­ge­r*in­nen und Vereine wurden befragt, die AG-Mitglieder fuhren über Land und schauten bestehende Büros an. Gleichzeitig suchten sie ein Gebäude – „möglichst zentral, denn in der Wallapampa bringt das nichts; mit Parkplätzen, Gastronomie und dem Bahnhof in der Nähe“, zählt Münzberg-Niemann auf. Inzwischen nutzen 40 Personen die 24 Arbeitsplätze regelmäßig, schätzt sie. Die landeseigene IT-Firma Data Port belegt dauerhaft mehrere Schreibtische und sorgt als Ankermieterin für planbare Einkünfte.

Die übrigen sind Selbstständige, die nicht ständig zu Hause sitzen, und Angestellte, die nicht pendeln wollen, Ur­lau­be­r*in­nen oder ehemalige Gettorfer*innen, die wochenweise im Ort ihre Eltern pflegen und ein Plätzchen zum Arbeiten brauchen. Studierende oder Schü­le­r*in­nen nutzen das Gettwork vor Prüfungen, Start-ups testen, ob es klappt mit der Selbstständigkeit.

Bis 2025 läuft der Betrieb mindestens, dann wird neu entschieden. „Ich bin ein bisschen stolz auf die Gemeinde, dass die sich das getraut haben“, sagt Münzberg-Niemann. Aus ihrer Sicht besteht der Erfolg des Projekts nicht nur darin, ob es sich wirtschaftlich trägt, sondern welche Chancen es für die Gemeinde bietet: „Wir bringen Leute zusammen, fördern Gründungen, sind Anlaufstelle.“

Mehr als billiger Büroraum

Dass Cowork auf dem Land mehr ist als billiger Büroraum, betonen alle, die mit dem Thema zu tun haben, angefangen von einer Broschüre des Bundesministeriums für Landwirtschaft bis hin zu den Aktiven vor Ort. Immer wieder fallen dieselben Begriffe: Austausch, Gruppen zusammenführen, Vernetzung. Nicole Dau berichtet von Büros, in denen Hand­wer­ke­r*in­nen auf Pilzfachleute und Schau­spie­le­r*in­nen auf Fo­to­gra­f*in­nen stoßen und wo sich aus der Mischung neue Ideen entwickeln, für die Beteiligten und für die Gemeinden. Als „Mini-Gründerzentren“ beschreibt Lietzau die Coworking-Spaces. Ulrike Münzberg-Niemann sagt: „Wir bieten Raum zum Rumspinnen.“

Landlleben heißt oft ja erst mal Strecke machen Foto: Miguel Ferraz Araujo

Zurzeit entstehen neue Varianten. Eine ist „Coworkation“, kurz für Cowork und Vacation, eine Kombination aus Arbeit und Ferien. Coworkation-Spaces bieten auch Übernachtungsplätze und liegen meist an idyllischen Orten mit See oder Bergen vor dem Fenster.

Vor den Fenstern des Torf-Hub in Kastorf rankt Efeu, im Großraumbüro stehen Pflanzen, die im Sommer auf die Terrasse gestellt werden. Das Dorf ist von Feldern umgeben, aber ein Urlaubs-Hotspot sieht anders aus. Wer sich hier einmietet, will arbeiten.

Für die Nut­ze­r*in­nen muss das Büro vor allem funktionieren: schnelles Netz, ausreichend Kaffee für die Maschine. „Wir fühlen uns wohl“, sagt Julia, die sich mit ihrem Mann einen Schreibtisch teilt. Das Ehepaar wohnt ein paar Dörfer weiter, die Kinder besuchen eine Schule im nächsten Ort, der Torf-Hub liegt in der Mitte. Abwechselnd fahren beide die Kinder zur Schule, arbeiten im Torf-Hub und fahren nachmittags zurück nach Hause, das spart Zeit und Fahrten. „Die Produktivität ist anders, wenn man nicht nur zu Hause sitzt“, sagt IT-Expertin Julia. Es sei angenehm, mit anderen in einem Büro zu sitzen und auch mal nicht über die Arbeit zu reden.

Felipe Nogueira, Geschäftsführer der IT-Firma Qiado, nennt einen einfachen Grund, warum er Coworking einem eigenen Büro vorzieht: „Ich will nicht selbst Klopapier einkaufen.“ Das sei ein Scherz, fügt er hinzu, aber dennoch: Er schätzt es, wenn andere ihm die Organisation abnehmen. Qiado hat sich an mehrere Standorte, darunter am Chiemsee und in Lissabon, in Coworking-Spaces eingemietet. In Kastorf besetzt die Firma zwei Räume. Aktuell aber braucht Qiado mehr Platz, als der Torf-Hub bieten kann. Zum ersten Mal wird Nogueira ein eigenes Büro mieten, vermutlich in Lübeck.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Für Jule Lietzau und Florian Watzke bedeutet der Weggang von Qiado einen Mietverlust, doch beide sind entspannt: „Coworking steht immer für Flexibilität, für Wandel“, sagt Lietzau. „Es ist eben ein atmendes Netzwerk.“

Die Küche leert sich, die Menschen gehen an ihre Schreibtische zurück. Tom, der Mops, baut sich neben seinem Herrchen auf und macht klar, dass er an die Luft will. Ein Spaziergang durch die Felder: auch so ein Vorteil des Coworkings auf dem Land.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Geschmackssache.



    Coworking ist an sich ja schon abtörnend und wird auf dem Lande sicher nicht besser. Für viele ist es bestimmt einen Notwendigkeit, schon klar. Schräg fand ich den Typen vom Anfang des Beitrages: da extra hinzufahren - ohne logistische Notwendigkeit (Kindergärten usw.)? Wie gesagt: Geschmackssache.



    Kritik, die keine Geschmackssache ist, habe ich aber auch: entspricht es wirklich journalistischen Standards, wenn alles, was geschrieben wird, das Wording der kommerziellen Anbieter*innen übernimmt? Echt alles voll dufte, kreativ, menschlich und kosmopolitisch hier, ey!

  • Hier wird eine Entwicklung als was Neues und Erstrebenswertes verkauft. Aber ist das so?



    - Umbau der Arbeitswelt? Was ist mit den HandwerkerInnen und ArbeiterInnen? Da passt es mal wieder überhaupt nicht. Die haben ganz andere Interessen an Arbeitswelt.



    - Coworking Space auf dem Land? Er fährt mit dem Auto von Hamburg, wo er eine Wohnung hat, aufs Land zum angenehmen Arbeiten. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem was LG fordert, was TAZ sonst unterstützt und was objektiv klimapolitisch sinnvoll wäre. Klar, kann, soll man Dörfer stärken. Aber das Konzept wirklich gewünscht als zukunftsträchiger Umbau der Arbeitswelt?

    • @fly:

      mehr homeoffice für firmen die es sich leisten können, fördern. Diese paranoia mal loswerden das leute nicht arbeiten wenn sie nicht zuhause sind. Im end effekt kann und sollte man leute rauskacheln wenn sie ihren job nicht tun. Ja, es gibt tage die nicht super produktiv sind aber da kann mir jetzt keiner sagen das es immer besser ist wenn man im büro sitzt. ich hatte viel mehr ablenkung im büro mit 40 leuten. Ich arbeite seit 6 jahren in firmen die reinen homeoffice anbieten und wir überlegen wieder aus berlin raus in eine kleinstadt umzuziehen das größte problem ist breitband internet ausbau. Ich muss taeglich tonnenweise daten im kreis herumschieben und einer der hauptgründe ist das es da wo wir hinziehen möchten nur nen lapprigen dls anschluss und nicht mal ne planung für glasfaser da ist. Es gibt viele viele menschen und firmen die das machen könnten wenn die infrastruktur da waere. Das könnte staette wie berlin und hamburg entlasten und dörfer und kleinstaete die langsam aber sicher zu geisterstaeten werden wieder etwas beleben. Für eine wohnung in berlin kann man auf dem land schon fast 2 haeuser kaufen. Ich würde sehr gerne aus berlin weg und in einer kleinstadt wohnen bin selber in einer aufgewachsen und würde das selbe für meine kinder wünschen. Dass man 2-3 mal im jahr hinfahren müsste is ja vertretbar. aber 99% der zeit ists echt unnötig sich im büro aufzuhalten.

    • @fly:

      Das war auch mein erster Gedanke. Noch mehr Pendler. Jetzt dann halt zum Arbeiten aufs Land raus. Hauptsache viel Zeit und Resourcen unnütz unterwegs verbraucht.

      Warum eigentlich kein Büro in einem Bürogebäude in Laufweite?

      Und die Angestellten fallen eh hinten runter, bzw. das fehlt noch, dass außerhalb günstig Büroräume gemietet werden und dann noch mehr gependelt werden muss.