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Mehr Geld für alleinstehende GeflüchteteEin Flüchtlingsheim ist keine WG

Bremen darf das Zusammenleben in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht als Lebensgemeinschaft werten. So hatte der Senat Leistungskürzungen begründet.

Eine WG sieht anders aus: Küchenzeile in einer Gemeinschaftsunterkunft Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Bremen taz | „Mehr Geld für Geflüchtete“ heißt es in einer Pressemitteilung des rot-rot-grünen Bremer Senats vom zweiten Februar. Faktisch bekommen Geflüchtete in Bremen, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, aber nun eben das, was ihnen schon lange zugestanden hätte.

Konkret geht es um Alleinstehende, die in Gemeinschaftsunterkünften leben. Nach einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes 2019 bekamen diese teilweise weniger Geld. Das lag daran, dass mit der Gesetzesänderung die Bedarfssätze zwar angehoben wurden, zugleich aber eine neue Bedarfsstufe eingeführt wurde. Sie galt für Geflüchtete, die in keiner eigenen Wohnung leben.

Anstelle des Regelbedarfssatzes eins erhielten sie den Regelbedarfssatz zwei – also zehn Prozent weniger Geld. Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften wurden damit finanziell mit Personen in Lebensgemeinschaften gleichgestellt – also mit Gruppen, die gemeinsam wirtschaften und sich Produkte für den alltäglichen Gebrauch teilen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im November für unrechtmäßig erklärt.

Bereits 2021 hatte das Landessozialgericht Hessen entschieden, dass die Leistungskürzungen für Alleinstehende in Sammelunterkünften nicht nur verfassungs- sondern auch europarechtswidrig sind. Zuvor schon hatte das Sozialgericht Düsseldorf Verfassungsbeschwerde erhoben. Eine Ablehnung der Bedarfszuordnung auf Landesebene lag also im Bereich des Möglichen.

Flüchtlingsrat spricht von Realiltätsferne

In Bremen beschreibt der Flüchtlingsrat in einer Stellungnahme zum bundesweiten Verfahren im Februar 2022 detailreich die Haltlosigkeit der Bedarfskürzungen. Die Einordnung sei realitätsfern; die Bremer Sammelunterkünfte seien in keiner Weise auf die Gründung von Haushalts- oder Lebensgemeinschaften ausgerichtet.

Vielmehr erschwere die Infrastruktur ein vertrauensvolles Zusammenleben. Der Rat verweist zudem darauf, dass die Betroffenen nicht über die Leistungskürzungen aufgeklärt worden seien. Eine Anfechtung sei damit bewusst erschwert worden.

Dass in Einzelfällen eine Auszahlung des Regelbedarfssatzes eins vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes möglich war, zeigt ein Verfahren gegen die Bremer Stadtgemeinde von Juli 2020. Dort wurde auf Ausführungen des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern verwiesen, in denen es heißt: „Auch dem Senat erscheint nicht nachvollziehbar, warum Fremde, ähnlich wie Paare gemeinsam wirtschaften sollten.“

Von den Änderungen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sind nach Angaben des Bremer Senats 900 Personen betroffen. Bei 300 Fällen stehe die Umstellung auf die Regelbedarfsstufe eins noch aus. Da die Änderungen vom Amt für Soziale Dienste manuell vorgenommen werden müssen, bitte man um Geduld.

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2 Kommentare

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  • Worum es nicht nur in solchen Fällen, sondern auch ganz allgemein in den sozialen Bereichen geht, wird leider immer wieder totgeschwiegen. Gerechtigkeit? Fehlanzeige! Bedarfsdeckung? Fehlanzeige! Menschenwürde? Fehlanzeige!

    Es geht schlicht und ergreifend nur um Kostenvermeidung und die Wahrung des Anscheins. Da gibt es zum Massenphänomen ausgeuferte prekäre Lebensumstände, die unbedingt abgepuffert werden müssen, weil man ja ein humaner Staat sein will. Dann gibt es die relative Hilflosigkeit angesichts der großen Anzahl der Fälle, und es gibt den chronischen Geldmangel, der die Bezahlbarkeit bis zum St.Nimmerleinstag in Frage stellt, weil es stets starke Lobbys und/oder auch Mehrheiten gibt, die immer augenblicklich "wissen", wie man dringend benötigte Gelder für ganz andere Dinge viel "sinnvoller" ausgeben kann.

    Die Ergebnisse zeigen sich dann in der Praxis: Begriffsklaubereien, der Wahrung des Anscheins gerecht werdende kreativ gestaltete Statistiken als Grundlage zur Selbstrechtfertigungsmittel einer Ablehnungshaltung, gelegentlich auch eine vorausgreifende Schaffung zweckdienlicher Fakten, die notwendige Änderungen erst einmal für lange Zeit verhindern, Verfahrensdauern, die besser als Aussitzen bezeichnet werden sollten, und wenn doch endlich einmal etwas besser wird, dann wird es nach dem Prinzip von "linke Tasche, rechte Tasche" allzu oft durch Verschlechterungen an anderen Stellen wegkompensiert.

    Natürlich ist die Geldfrage immer relevant, denn die besten Absichten bleiben Utopien, wenn sie an der Bezahlbarkeit scheitern oder daran, daß die Menge der Fallzahlen Resourcen erfordert, die dann nicht mehr vorhanden sind.

    Doch alles das sollte kein Anlaß sein, ein- und dieselben allgemeinen Problemlagen immer wieder aufs Neue durchzukauen (auch vor den Gerichten), bis sie am Ende als ein dann als ungenießbar empfundener Brei wieder ausgespuckt werden, auch wenn dies bedeutet, dann von vornherein Klartext zu reden.

  • Es wäre ja so sehr realitätsfern, wenn sich zusammen Wohnende beim Kochen und Essen zusammentun!