Liga für Menschenrechte in Algerien: Zivilgesellschaft im Visier
Algeriens Regierung hat die Liga für Menschenrechte aufgelöst. Es ist der nächste Schlag gegen kritische Organisationen in dem Land.
Deren Vizepräsident Said Salhi erklärte sich entrüstet über die Entscheidung. Die Liga sei über den Gerichtsbeschluss nicht informiert worden, sondern habe erst jetzt in sozialen Netzwerken davon erfahren, so der Menschenrechtler. Ein Foto des Dokuments kursiert seit letzter Woche.
Seit Algeriens Innenministerium im Mai 2022 die gerichtliche Auflösung der LADDH beantragt hatte, habe die Liga weder die Chance gehabt, Akteneinsicht zu erhalten oder zu den bis heute unklaren Anklagepunkten Stellung zu beziehen, noch sei sie über die Gründe informiert worden, so die LADDH in einer Erklärung. Der Beschluss verweist lediglich darauf, dass die Liga gegen geltende Vorschriften verstoßen haben soll.
Ernst zu nehmen ist die Entscheidung dabei allemal, denn am Montag ließen die Behörden das Büro des mit der LADDH assoziierten Dokumentationszentrums für Menschenrechte in der Küstenstadt Béjaia östlich von Algier amtlich versiegeln.
Systematisches Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft
Die Auflösung der 1985 gegründeten Liga ist ein schwerer Schlag gegen die Zivilgesellschaft im Land, ist die Organisation doch eine der aktivsten Menschenrechtsgruppen Algeriens. Zwar hatten interne Querelen schon in den 2000er Jahren zur Spaltung der Liga geführt – seither arbeiteten die Regionalbüros der Organisation de facto getrennt voneinander –, doch die LADDH-Büros waren in den letzten 30 Jahren zentrale Akteure im Kampf gegen staatliche Repressalien gegen Dissidenten und Protestbewegungen und für die Rechte von Geflüchteten und Minderheiten.
Scharf kritisiert wird die Auflösung der LADDH sowohl von algerischen Oppositionsparteien und NGOs als auch internationalen Organisationen wie der Internationalen Föderation für Menschenrechte.
Überraschend ist das behördliche Vorgehen gegen die Liga allerdings nicht. Nachdem das Regime den Ausbruch der Coronapandemie 2020 instrumentalisiert hatte, um der 2019 formierten Protestbewegung Hirak sukzessive den Garaus zu machen, waren algerische Behörden zunehmend systematisch gegen die regierungskritische Zivilgesellschaft, Oppositionelle und unabhängige Medien vorgegangen.
Seither waren mehrere den Hirak unterstützende Oppositionsparteien aus dem linken und liberalen Lager gerichtlich verboten worden. Ein Prozess gegen den bei den Hirak-Protesten äußerst aktiven Jugendverband RAJ ist weiterhin im Gange – die Abschlussplädoyers wurden erst am Donnerstag angehört.
Algeriens Presse im Zentrum der Repression
Auch der algerischen Presse, die seit Ende der 1980er Jahre als vielfältig und trotz autoritärer Regierungsführung als ausgesprochen kritisch gilt, geht es seit 2020 an den Kragen. Immer wieder wurden Journalist*innen verhaftet, angeklagt und teils zu Haftstrafen verurteilt. Zuletzt traf es den Direktor der Internetmedien Radio M und Maghreb Emergent, Ihsane al-Kadi.
In der Nacht auf den 25. Dezember 2022 wurde der prominente Journalist in Boumerdès verhaftet und sitzt seither im berüchtigten Al-Harrach-Gefängnis in Algier in Untersuchungshaft. Einen Tag später wurden die Büros der beiden Onlinemedien in Algier durchsucht und versiegelt, technische Ausrüstung konfisziert. Der Zugang zu beiden Websites ist seit Mitte Januar in Algerien blockiert.
Hintergrund der Repressionswelle ist der Volksaufstand von 2019. Nachdem die Protestbewegung nach monatelangen Massendemonstrationen die Absetzung des seit 1999 amtierenden Staatschefs Abdelaziz Bouteflika erzwungen hatte, hatte das Militär wieder das Ruder übernommen und Ende 2019 mit Abdelmadschid Tebboune einen neuen willfährigen Präsidenten installiert. Dieser lässt nun gemeinsam mit dem Sicherheits- und Justizapparat die erkämpften Freiräume für Opposition und Zivilgesellschaft nach und nach schließen und erneut ein autoritäres Regierungssystem restaurieren.
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