Politisierung der Wechseljahre: Von Hirn und Hormonen
Die Behandlung von Wechseljahresbeschwerden ist ein Akt weiblicher Selbstermächtigung. Doch dahinter steckt auch neoliberales Denken.
Neulich habe ich einen Vortrag von Sheila de Liz gehört, jener Gynäkologin, die mit ihrem Hormon-Erklärbuch „Woman on Fire“ einer ganzen Generation von Frauen, nämlich unserer, die Augen geöffnet hat. Sie gilt wahrscheinlich als Deutschlands bekannteste Gynäkologin.
Empfohlener externer Inhalt
In diesem Vortrag erklärt sie, welche Funktion Hormone haben, wie es in den Wechseljahren zu ihrem Abbau kommt und welche Konsequenzen das für unsere Befindlichkeit hat. Doch Sheila de Liz bleibt nicht beim Informieren stehen, sie appelliert.
Daran, diese Umstände – also die Schlappheit, Antriebslosigkeit, die Depression, die geringe oder verschwundene Libido – nicht mehr hinzunehmen. Sie sagt Sätze, die seit einigen Jahren im Munde vieler Frauen sind. Sätze wie: „Das muss so nicht sein.“ „Keine Frau muss das heute aushalten.“ Und: „Warum sollten wir uns nicht helfen lassen, wenn es doch geht?“
Auch ich habe bei ihrer Rede den Impuls gespürt zu denken: „Ja, vielleicht wäre es doch nicht so schlecht, etwas einzunehmen. Mir Testosteron-Salbe auf den Arm zu schmieren, um die Antriebslosigkeit in den Griff zu bekommen. Oder ein Estradiol-Plaster aufzukleben, damit in Kombination mit einer Progesteron-Tablette die Hitzewallungen milder ausfallen.
ist Publizistin und hat 2020 Palais F*luxx für Frauen ab 47 gegründet, ein „Onlinemagazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre“. Ihr Ziel: ein neues Bild von Frauen und Alter zu schaffen.
Nach Jahren, in denen es über Wochen keine Nacht ohne drei- bis vierstündiges Wachsein gab, ein Energieniveau kurz vor dem Nullpunkt und Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, bei denen mir mitunter nicht mal mehr der Name meines Vis-à-vis-Nachbarn einfiel oder mir das Wort nicht in den Kopf kam, wie dieses Ding heißt, das man nimmt, wenn man nicht mit der U-Bahn fährt, sondern dieses lange Ding nimmt, mit den Rädern, geht es mir mittlerweile wieder recht gut.
Wie Doping
Der Kopf funktioniert wieder, die Schlafstörungen kommen nur noch selten vor, Energie ist wieder da und auch die restlichen Beschwerden wie Herzrasen haben sich weitestgehend verflüchtigt.
Bestimmt, so der verführerische Gedanke, könnte es mir noch besser gehen. Ich habe mit dem Aufbau meiner Onlineplattform Palais F*luxx eine anstrengende Zeit vor mir und gleichzeitig große Angst, körperlich nicht durchzuhalten, dass es doch nicht schaden könnte, sich ein wenig zu helfen zu lassen. Ein klein wenig Hormone zu nehmen, um sich fitter zu fühlen, um mehr zu schaffen. Meine Freundin sagte, das wäre wie Doping. Darum könne es ja wohl nicht gehen.
Ich bin auf der Veranstaltung „Douglas Beauty and Health-Summit“ mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die begeistert davon erzählte, dass sie Hormone nehme. Ihre Wechseljahresbeschwerden schienen nicht besonders stark gewesen zu sein, im Vergleich mit meinen ein kleiner, nerviger Floh. Sie schien unter leichter depressiver Verstimmung gelitten zu haben, aber jetzt, wo sie Hormone nimmt, fühlt sie sich so gut und kraftvoll.
Auch sie war von dem Umstand begeistert, das ist ja alles gar nicht so sein müsse, wie die Natur es eingerichtet hat. Und freute sich, ihr ein Schnippchen schlagen zu können. Einfach, weil sie es kann. Jetzt, da die Medizin so weit ist, wir Frauen das Wissen haben und Sheila de Liz uns geradezu befreit hat von der Geißel der Unwissenheit.
Während ich die Liz-Jüngerin so anschaute und sehr neidisch wurde, ob ihrer abgeworfenen Skepsis, ihrer hinter sich gelassenen Bedenken und Mahnungen wegen möglicher erhöhter Krebs-und Thrombose-Risiken und sich mir stattdessen ihr Wille zur Freiheit offenbarte, meinte ich etwas zu verstehen.
Vermeintliche Selbstermächtigung
Es geht der Frau gar nicht so sehr um die Hormone und die Frage, ob es wirklich klug ist, sie zu nehmen. Es geht darum, es zu tun, weil sie es kann. Es ist der Rausch einer vermeintlichen Selbstermächtigung. Es ist die Freude über eine neu erkämpfte Freiheit, die Frauen wie Sheila de Liz so beflügelt.
Hier triumphiert nichts anderes als der Kern des Neoliberalismus: etwas, das im Rahmen des Möglichen liegt, als Freiheit zu verstehen. Und daraus einen Anspruch zu formulieren, den es umzusetzen gelte, auch, wenn die Umsetzung unklug sein könne. Es reicht aus, das Gefühl, den Gedanken zu haben: „Weil ich es kann!“.
Die ständig wiederholte rhetorische Frage „warum man sich nicht helfen lassen soll, wenn es doch geht“, ist das Mantra der Stunde. Was der Autofahrer-Lobby „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist, ist uns Frauen „Warum was aushalten, was ich nicht aushalten muss?“. Es ist nach Jahrhunderten, in den Frauen durch Mediziner – häufig in Absprache mit den Ehemännern – bevormundet wurden, die Ermächtigung, die vermeintliche Selbstbestimmung, die dahintersteht und die den Hormonkonsum so attraktiv macht.
Die wirksame Suggestion ist die: Bis zu diesem Punkt waren Frauen abhängig von dem Wissen und der Macht der (meist männlichen) Ärzte. Jetzt sind wir aufgeklärt. Sheila de Liz hat uns aufgeklärt. Sie hat uns Wissen gegeben, sie hat uns befreit.
Wir können jetzt Zaubermittel schlucken, die uns aus dem Joch des Leids herausholen. Wir wären ja dumm, es nicht zu tun. Diese Gedanken in ihrer lieblichen Verführung und ihrem süßen Versprechen lassen nicht nur die Skepsis an den Hormonen zur Rede der Dummen werden, sie schalten jeden relativierenden Gedanken aus.
Was bleibt, ist eine Frau, für die sich Möglichkeiten zu einem intrinsischen Anspruch wandeln. Die zwischen Können und Wollen nicht mehr unterscheidet und für die – Kern der neoliberalen Denke – Vernunft nicht länger eine Währung ist. Was hinter der vermeintlichen Ermächtigung verschwindet, ist die kapitalistische Knute der uneingeschränkten Leistungsbereitschaft, die ein gesellschaftliches Thema – Wechseljahre – zu einem der individuellen Lösung und Ertüchtigung macht.
Das letzte Lebensdrittel
Sie erklärt einen natürlichen Prozess, den einer Wandlung, zum vermeidbaren Übel. Die Natur muss ausgetrickst werden, die Trickserei wird als Triumph der Selbstbestimmung verkauft. Auf dem Siegertreppchen der neoliberalen Leistungsgesellschaft stehen die fitten, die hormongefütterten Frauen. Die, die nicht cremen und schlucken, liegen kollabiert davor.
Klar, jede Frau, die Hormone nehmen will, soll es tun. Es ist gut, dass es die Möglichkeit gibt, wenn es notwendig und medizinisch unbedenklich ist. Aber wir sollten uns vielleicht mehr mit der Frage beschäftigen: Nehme ich sie, weil ich sie brauche oder weil ich die Möglichkeit habe? Weil es zu tun ein Ausdruck meiner Selbstermächtigung ist, nach den Jahrhunderten der Bevormundung und Unterdrückung die Entscheidung selbst treffen zu können?
Unsere Entwicklung in den Wechseljahren, unser körperliches und geistiges Älterwerden hat ihren Sinn. Es ist ein Abschied von der Zeit, als unsere Fruchtbarkeit unterschiedlichste Türen der Lebensgestaltung geöffnet hat, gleichzeitig ermöglicht er uns, andere Positionen in der Gesellschaft einzunehmen. Fern der Kümmernden, der Versorgenden – in manchen Kulturen steigen wir in die Sphären der Weisen auf, bekleiden angesehene Ämter. Gleichzeitig sind die Wechseljahre die Vorbereitung auf das, was kommt: das letzte Lebensdrittel.
Es ist schwierig, diesem Prozess zuzugucken, ihn auszuhalten. Er tut weh. Gerade, wenn man sich wenig „alt“ fühlt, sich als in der Blüte seines Lebens empfindet und noch viel vorhat, ist es, als führe ein Zug mit dem Körper davon, während der Geist noch auf dem Bahnsteig steht.
Unsere Generation von Frauen, die jetzt in ihren 50ern ist, ist eine neue. Eine, die sich befreit. Die die Zuschreibungen und Bilder von „älteren“ Frauen hinter sich lässt und neu definiert. Das ist großartig und auch für mich das Ziel: ein neues Bild von Frauen und von Alter in der Gesellschaft verankern. Für mich ist es allerdings nicht damit getan, bunte, fancy Klamotten anzuziehen und auf Instagram zu zeigen, dass wir auch mit 55 noch „voll jung“ aussehen oder so viel leisten können wie 30-Jährige.
Es geht auch darum, sich mit Alter und dem Älterwerden auseinanderzusetzen, den Prozess zu begreifen und zu gestalten. Etwas zu schaffen, das mehr ist als eine Hülle. Das uns erfüllt und auch der Gesellschaft Antworten gibt. Es ist die anstrengende Art. Die mit Hirn. Nicht nur mit Hormonen.
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