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Kiezkickerin im Nationalteam

FRAUENFUSSBALL I Die 16-jährige Hülya Kaya aus Berlin-Kreuzberg spielt seit vier Jahren im Verein – so gut, dass der türkische Verband auf sie aufmerksam wurde

Eines Tages meldet sich der türkische Fußballverband und lädt Hülya zum Probetraining ein

AUS BERLIN JÖRN MEYN

Auf den Hinterhöfen der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg muss es laut zugegangen sein. Eine Horde brüllender Jungen, die mit hochroten Köpfen einem Ball zwischen zwei provisorischen Toren aus Schultaschen hinterherhetzen, und mittendrin ein achtjähriges Mädchen. So hat alles angefangen für Hülya Kaya, die ins Schwärmen kommt, wenn sie davon erzählt: „Bis es dunkel war, haben wir draußen Fußball gespielt und danach habe ich meist noch oben in der Wohnung Tricks geübt.“ Das ballverliebte Kind von damals wird in zwei Wochen 17 Jahre alt und ist das Aushängeschild der Mädchen- und Frauenfußball-Abteilung des Berliner Vereins Türkiyemspor. Für ihn war es ein Glücksfall, dass das mehr und mehr kaputtgeschossene Mobiliar der Familie Kaya Großvater Yusuf dazu veranlasste, seine Enkelin zum Training anzumelden.

Seit vier Jahren bereits spielt Hülya, deren Eltern aus der türkischen Schwarzmeer-Region Artvin nach Deutschland emigriert sind, im Angriff des Kreuzberger Kiez-Klubs. Nicht zuletzt durch ihre 16 Tore ist ihr Nachwuchsteam in diesem Sommer in Berlins höchste Spielklasse aufgestiegen. Auch wenn Hülyas Vater Mehmet früh das Talent seiner Tochter erkannte und sie förderte, wäre ihre Karriere fast am Veto ihrer Mutter gescheitert. Denn immer noch sind junge Musliminnen im Fußball selten: „Die Eltern davon zu überzeugen, dass ihre Töchter mit 15, 16 Jahren Fußball spielen dürfen, ist manchmal schwierig. Aber die türkische Gemeinde in Deutschland verändert sich. Die Akzeptanz wächst“, weiß Murat Dogan, Hülyas Trainer, der das Projekt „Mädchen-Fußball“ bei Türkiyemspor mit aufgebaut hat. Spätestens seit einem Jahr aber gibt es weder in Hülyas Familie noch im Umfeld des Vereins Zweifel am Frauenfußball oder an ihrem Talent.

Als an einem Abend im Oktober das Telefon bei den Kayas klingelte, meldete sich der türkische Fußballverband TFF und lud Hülya zum Probetraining nach Hannover, wo die U17-Nationalmannschaft gastierte. Die großgewachsene Stürmerin überzeugte und flog mit zur Qualifikation für die Europameisterschaft nach Antalya. Zwar verpasste das Team die Endrunde, doch der jungen Kreuzbergerin gelang beim 4:0-Erfolg über die Färöer-Inseln ein Tor: „Das war eine tolle Erfahrung. Ich konnte nur noch an Fußball denken. Es war traumhaft“, sagt Hülya strahlend und ein bisschen aufgeregt.

Wenn sie über Fußball redet, leuchten ihre Augen. Keine Partie ihres Lieblingsklubs Galatasaray Istanbul verpasst sie. „Fußballverrückt“ sei seine Schlüsselspielerin, meint Dogan, der um sie herum für die neue Saison das erste Frauenteam in Türkiyemspors noch junger Geschichte aufbaut. Hülyas Berufung ins Nationalteam hat das Interesse am Mädchenfußball bei Türkiyemspor gesteigert. Plötzlich ist das Projekt in aller Munde. Doch damit wächst auch das Begehren anderer Vereine. Zahlreiche Angebote für sein „Zugpferd“, wie Dogan seine Angreiferin liebevoll nennt, musste er schon ablehnen. „Wir werden bald ein richtig gutes Team sein. Warum sollte ich also woanders spielen“, fragt Hülya, die weiß, dass sie weiter unter Beobachtung steht.

Auch der DFB scheint auf sie aufmerksam geworden zu sein. Das brächte sie ein bisschen in Bedrängnis. Zwar ist sie in Berlin geboren, doch die Türkei bleibt ihre Heimat und wahrscheinlich würde sie sich für das Land ihrer Eltern entscheiden. In Anatolien aber steckt der Frauenfußball, anders als in Deutschland, noch in den Kinderschuhen und der Verband bemüht sich erst seit 2006 redlich um den Nachwuchs. Dabei greifen die Verantwortlichen gern auf Emigranten zurück, wie im Fall Hülya Kaya. Im Kader der U19-Nationalmannschaft, in den die Berlinerin vor kurzem aufgenommen wurde, stehen neben ihr drei weitere Talente, die das Fußballspielen in Deutschland gelernt haben.

Irgendwann, so hofft Hülya, wird sie bei einem großen Turnier mit der türkischen A-Nationalmannschaft antreten: „Das wäre ein Traum.“ Von der aktuellen Frauen-EM in Schweden allerdings hat sie bisher kein Spiel gesehen. Lieber schaut sie sich die Bundesliga oder Premier League an und verfolgt den Aufstieg des Bremer Deutschtürken Mesut Özil: „Den Männern zusehen macht viel mehr Spaß. Da ist das Tempo viel höher.“

Dass sie mit Fußball wohl nur unzureichend Geld verdienen wird, darüber macht sich Hülya Kaya keine Illusionen. Nachdem sie die Schule im Sommer beendete, bewarb sie sich für den Polizeidienst. Bis es aber so weit ist, möchte Hülya ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren – beim Bundesligisten Hertha BSC. Fußballverrückt eben.

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