Kieler Staatsanwaltschaft verklagt: Datenschützerin will Schmerzensgeld

Die Landes-Datenschutzbeauftragte Marit Hansen verklagt die Kieler Staatsanwaltschaft wegen Verstößen gegen die Strafprozessordnung und den Datenschutz.

Eine Frau betritt einen Saal

Will mit dem Prozess auch ein Licht auf das Verhalten der Staatsanwaltschaft werfen: Marit Hansen Foto: Axel Heimken/dpa

KIEL taz | Normalerweise klagt die Staatsanwaltschaft andere an, jetzt steht sie selbst vor Gericht: Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragte Marit Hansen will Schmerzensgeld von der Behörde in Kiel, weil die in einem Rechtsstreit der Gegenpartei zu viele Informationen gegeben habe.

Der Termin vor dem Landgericht dauerte kaum eine Stunde, der Vorlauf ist umso länger. Er reicht bis ins Jahr 2015 zurück. Damals warf ein ehemaliger Mitarbeiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) Hansen vor, sie habe Geld veruntreut, indem sie EU-Fördermittel falsch verwendete. Die Staatsanwaltschaft ließ öffentlichkeitswirksam Räume durchsuchen. Volle drei Jahre lastete der Verdacht auf Hansen und schädigte damit auch den Ruf des ULD. Schließlich stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein: Geringe Schuld und kein öffentliches Interesse, heißt es im entsprechenden Paragraphen 153 der Strafprozessordnung.

Im Jahr 2020, als Hansens erste Amtszeit endete, bewarb sich der Ex-Mitarbeiter als ULD-Chef. Er schickte dafür an alle Landtagsfraktionen Unterlagen, die aus dem bereits abgeschlossenen Verfahren stammten und die Hansen in schlechtes Licht rückten. Dass der Mann Zugriff auf diese Unterlagen hatte, liegt in der Natur der Sache, schließlich durfte er als Beteiligter, gegen den zwischenzeitlich selbst wegen falscher Verdächtigungen ermittelt wurde, die Akten einsehen.

Aber die Datenschutzbeauftragte und ihr Anwalt Jens Eckhardt bezichtigen die Staatsanwaltschaft, dem Ex-Mitarbeiter weit mehr Informationen gegeben zu haben, als ihm zustand. Es geht um Verstöße gegen mehrere Paragraphen der Strafprozessordnung und gegen das Bundesdatenschutzgesetz, für die sie 5.500 Euro Schmerzensgeld haben möchte. „Wir sehen kein Fehlverhalten“, sagt dagegen Oberstaatsanwaltschaft Sören Pansa als Vertreter seiner Behörde. Er und der vom Land beauftragte Anwalt Oliver Buss fordern, die Klage abzuweisen.

Öffentliches Getöse gegen Po­li­ti­ke­r*in­nen

Richterin Katrin Seidel und ihre Kammer haben nun mit Fragen zu tun, die „nicht unser tägliches Brot sind – aber wir werden uns einarbeiten“, so Seidel. In einem Monat wird voraussichtlich ein Urteil fallen.

Schon einmal hatte Hansen gegen die Staatsanwaltschaft gewonnen. Sie klagte wegen der ungebührlichen Länge des ersten Verfahrens vor dem Oberlandesgericht in Schleswig, das 2021 eine Rüge aussprach.

Hansen geht es auch darum, ein Licht auf die Kieler Staatsanwaltschaft zu werfen, die in einer Reihe von Fällen mit großem öffentlichen Getöse Verfahren gegen Po­li­ti­ke­r*in­nen – viele weiblich und der SPD nahe – begonnen und später lautlos eingestellt hat. Darunter waren die ehemalige Bildungsministerin Waltraud „Wara“ Wende, die ehemalige Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke und die Polizei- und Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni. Berichte der Staatsanwaltschaft über den früheren Landesinnenminister Hans-Joachim Grote (CDU) führten am Ende zu dessen Entlassung.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft gibt es keinen Fehler, aber eben diese Haltung sorgt sogar in Justizkreisen für Stirnrunzeln: Die Neue Richtervereinigung in Schleswig-Holstein nannte die „pauschale Abwehr von Kritik nicht zielführend“ und führte aus: „Eine moderne Staatsanwaltschaft ist kein Staat im Staate, sondern muss ihr Vorgehen der Öffentlichkeit und der Presse erklären.“

Zivilverfahren um Schmerzensgeld

Nach dem Verfahren in Schleswig hatte Hansen angekündigt, ein Zivilverfahren um Schmerzensgeld anzustrengen. „Wobei das Monitäre dabei nicht im Mittelpunkt steht“, sagte Anwalt Eckhard am Rand der Verhandlung. Hansen gehe es darum festzustellen, dass die Akten damals nicht hätten herausgegeben werden dürfen.

Die Diplom-Informatikerin trat 2015 die Nachfolge von Thilo Weichert an, deren Stellvertreterin sie seit 2008 war. Weichert hatte die Behörde seit 2004 geführt und in seiner Amtszeit weit über die Landesgrenzen hinaus agiert. So strengte er von Kiel aus Prozesse gegen Facebook und Google an. Um ihm eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, änderte der Landtag eigens die Regeln. Doch bei der Wahl erhielt Weichert keine Mehrheit, zur Freude der CDU: Die „Kampagnen“ Weicherts hätten „kleinen und mittleren Unternehmen im Land das Leben schwer gemacht“, so der frühere CDU-Abgeordnete Hans Jörn Arp.

Die damaligen Regierungsparteien SPD, Grüne und die Minderheitenvertretung SSW schlugen dann die parteilose Marit Hansen vor. Unter ihr ist es um die Behörde ruhiger geworden: Statt gegen weltweite Datenkraken zu kämpfen, kümmert sich das ULD um die Einhaltung des Datenschutzrechts bei Landesbehörden und privaten Stellen in Schleswig-Holstein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.