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Barrierefreies WohnenSchöne Worte kosten nichts

Ein Rollstuhl fahrender Mieter kämpft für eine Rampe am Haus. Für den Vermieter scheint das ein Riesenproblem zu sein – für die Verwaltung auch. Warum?

Nicht barrierefrei: Der Hauseingang von Nicola Arsic in Berlin-Kreuzberg Foto: André Wunsdorf

Berlin taz | Dass es um die Barrierefreiheit in Berlin nicht allzu gut bestellt ist, weiß Nicola Arsic aus eigener Erfahrung. In anderen Städten sei man viel weiter, sagt der serbische Architekt, der im Rollstuhl sitzt. „Hier kann ich nur an bestimmten U-Bahnhöfen ein- und aussteigen, weil es nicht überall Aufzüge gibt.“ Auch öffentliche Gebäude seien oft mit Barrieren ausgestattet, beim neuen BER etwa gebe es unnötige Stufen und „lebensgefährliche“, da zu steile Rampen ohne Geländer. „Offensichtlich ist das Thema noch nicht bei allen Verantwortlichen in Politik und Verwaltung angekommen“, sagt Arsics Ehemann Dennis Kuhlow.

Die Verbitterung, die aus den beiden spricht, ist verständlich. Seit mehr als zwei Jahren kämpft das Paar darum, wenigstens im privaten Wohnumfeld mehr Barrierefreiheit herzustellen – und bekommt es mit massiven Widerständen zu tun.

Im Oktober 2020 zog Arsic in Kuhlows Wohnung im 10. Stock eines 70er-Jahre-Baus mit Aufzug in Kreuzberg, wo dieser schon mehrere Jahre lebte. Allerdings ist der Hauseingang nur über sechs Stufen zu erreichen, weshalb Arsic das Gebäude nicht allein betreten kann. Das Paar schlug daher dem Vermieter, der landeseigenen Gewobag, die Installation einer Rampe vor. Arsic selbst fertigte einen Plan nach allen Regeln deutscher DIN-Sicherheitsnormen an, sein Mann besorgte beim Bezirksamt die Zusage, die Kosten von rund 25.000 Euro zu übernehmen.

Doch die Gebowag wollte nicht. Erst reagierte man über Monate gar nicht auf Kuhlows Briefe, dann lehnte man die Rampe ab: zu teuer, zu gefährlich, unnötig. Daraufhin verklagten Arsic und Kuhlow ihren Vermieter – und bekamen Recht. Der Bau einer Rampe sei kein „erheblicher Eingriff in die Bausubstanz“, heißt es im Urteil des Amtsgerichts vom vorigen März – sie stelle sogar eine „dauerhafte Wertverbesserung“ dar.

Klarer Fall für den Richter

Auch die übrigen Argumente der Gegenseite zerpflückte der Richter: Ein elektrischer Lift, den die Gewobag kurz vor dem Prozess als Alternative ins Spiel gebracht hatte, sei nicht vorzuziehen, da solche Anlagen reparaturanfällig seien. Nicht ersichtlich sei zudem, weshalb die Rampe die Unfallgefahr erhöhen soll – schließlich entspreche sie den DIN-Normen für barrierefreies Bauen. „Unsubstantiiert“, so der Richter, sei zudem der „Vortrag der Beklagten, dass eine Rampe zu einer Erhöhung der Prämie der Gebäudehaftpflichtversicherung oder der Kosten für den Winterdienst führen könnte“.

Doch das Unternehmen, das in Berlin 74.000 Wohnungen sein Eigen nennt und damit wirbt, „Die ganze Vielfalt Berlins“ zu repräsentieren, wollte immer noch nicht – und ging in Berufung. Das war der Sachstand im Mai 2022, als die taz erstmals über den Fall berichtete.

Seitdem haben Arsic und Kuhlow einen weiteren juristischen Sieg errungen: Das Landgericht bestätigte am 11. November das Urteil des Amtsgerichts. Einziger Unterschied: Die beiden müssten eine „Sicherheitsleistung“ von 5.000 Euro hinterlegen, damit die Rampe nach eventuellem späterem Auszug wieder abgebaut werden kann. Am liebsten wäre die Gewobag in Revision gegangen – doch das Landgericht ließ dies wegen des geringen Streitwerts nicht zu. Das Urteil ist daher rechtskräftig.

Mit der Umsetzung ließ sich die Gewobag Zeit. Erst vorigen Donnerstag, knapp zwei Monate nach dem Urteil, kam die Genehmigung mit der Post. Allerdings versucht die Wohnungsbaugesellschaft in dem Schreiben, das der taz vorliegt, jede Menge Vorgaben zu machen – verklausuliert als „Hinweise“, die Kuhlow unterschreiben soll. Penibel auf einer ganzen Seite aufgelistet ist jede Einzelheit, auf die beim Rampenbau zu achten sei und für die Kuhlow Haftung übernehmen soll. Vorgeschrieben werden soll sogar, einen Poller, der im Weg ist, „einzulagern und nach Rückbau der Rampe an der ursprünglichen Stelle wieder einzubauen“.

Klage auf Entschädigung

Seine Anwältin habe ihm geraten, das nicht zu unterschreiben, sagt Kuhlow, die Genehmigung sei ihrer Auffassung nach auch ohne Unterschrift gültig. „Wir werden die Rampe genauso bauen, wie es im Gerichtsurteil beschrieben ist. Diese Bedingungen der Gewobag stehen nicht darin“, so Kuhlow.

Ohnehin sind er und sein Mann sauer, weil ihr Vermieter wieder so langsam reagiert hat. Darum haben sie mit ihrem Anwalt eine Klage auf 5.000 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung durch fortgesetzte Untätigkeit vorbereitet. „Offensichtlich setzt die Gewobag alles daran, die Sache weiter aufzuschieben und uns hinzuhalten“, sagt Kuhlow.

Aber warum eigentlich? Warum diese Angst vor einem kleinen Projekt, das die Eigentümer nicht einmal etwas kostet? Anhaltspunkte für eine Antwort liefert eine Stellungnahme der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die der Petitionsausschuss angefordert hatte. Aus dem Schreiben vom Juli 2022 wird nicht nur deutlich, dass die Senatsverwaltung – eigentlich das Aufsichts- und Kontrollgremium der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – die Argumente der Gewobag ungeprüft übernimmt, obwohl sie vor Gericht widerlegt wurden. Etwa dass ein Treppenlift „gleichtauglich“ mit einer Rampe sei, wie die Senatsverwaltung behauptet. „Das zeigt, wie erschreckend ahnungslos die Verwaltung in Punkto Barrierefreiheit ist“, sagt Kuhlow. Eine Rampe sei nicht nur robuster sondern vor allem für die Allgemeinheit nutzbar – ein elektrischer Lift nur für einzelne Schlüsselinhaber.

Die Stellungnahme zeigt auch, was Senat und Verwaltung grundsätzlich befürchten: dass der gesetzliche Anspruch von Mie­te­r:in­nen auf barrierefreie Umbauten, der in Paragraf 554 BGB verankert ist, letztlich dazu führt, dass Hauseigentümer nicht mehr allein über ihr Eigentum verfügen dürfen. Sie können eben dazu gezwungen werden, ihnen missliebige Umbauten zuzulassen.

Für alle Wohnungsbestände relevant

„Es ist davon auszugehen“, so die Senatsverwaltung, „dass die zugrundeliegende Rechtsfrage, wie weit der Anspruch des Mieters tatsächlich die Dispositionsbefugnis des Eigentümers einschränken darf (…), in Zukunft zunehmend für den Gesamtbestand der Gewobag AG, wie auch für die Bestände der übrigen städtischen Wohnungsbaugesellschaften, relevant werden wird.“

Auf Deutsch: Wo kommen wir hin, wenn Tausende Mie­te­r:in­nen Umbauten wegen Barrierefreiheit verlangen? Das Recht auf eine umfassend barrierefreie Umwelt ergibt sich zwar aus der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 unterzeichnet hat. Aber mit der Umsetzung durch die Länder und Kommunen hapert es seither. Erst seit 2020 ist in Berlin vorgeschrieben, dass bei Neubauten 50 Prozent der Wohnungen barrierefrei sein müssen. Und erst Anfang 2021 hat der Senat einen Maßnahmenplan 2020–2025 zur Umsetzung der Konvention verabschiedet. Zum Thema Wohnen steht dort vage: „Ziel ist die Bereitstellung von mehr barrierefreien Wohnungen“.

Auch die Gewobag betont gegenüber der taz, „dass wir als landeseigenes Wohnungsbauunternehmen zu unserer sozialen Verantwortung stehen und unsere MieterInnen dabei unterstützen, einen barrierefreien Zugang zur Wohnung zu erhalten“.

Die Realität sieht offenbar anders aus, wie auch das folgende Beispiel zeigt. Am Magdeburger Platz ist die Gewobag Eigentümerin eines Wohnhauses von 1972 mit 88 kleinen Einraumwohnungen und Gemeinschaftsräumen. Es ist kein offizielles Seniorenwohnhaus, aber bis heute laut Gabriele Hulitschke von der Quartiersentwicklung Tiergarten Süd mehrheitlich an ältere Menschen vermietet. Viele Mie­te­r:in­nen seien in ihrer Mobilität eingeschränkt, teils auf Hilfsmittel wie Rollatoren angewiesen.

„Aber das Haus ist nicht barrierefrei zugänglich, denn der Lift beginnt erst halbe Treppe“, erklärt Hulitschke. Die Mie­te­r:in­nen hätten sich daher seit 2020 für die Installation einer Rampe stark gemacht und entsprechende Briefe an die Gewobag geschrieben, auch mithilfe von Hulitschke. „Bisher gibt es leider kein Gesprächsangebot des Vermieters“, bedauert sie.

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