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Neues Album des Folkduos UnthanksBehutsame Kosmetik am Kanon

„Sorrows Away“ heißt das neue Album von Rachel und Becky Unthank. Ihr Folksound spiegelt die britische Gesellschaft zwischen Covid und Brexit.

Postkartenidylle in einer Fußgängerzone: Rachel und Becky Unthank Foto: Rebbel Rouser Records

Es sollte ein Licht am Ende des Tunnels sein. Lockdowns waren vorbei – Sorgen verflogen – „Sorrows Away“. So hatten sich die Unthanks das wohl gedacht, als sie die Musik für dieses Album, noch getrennt voneinander, jeweils allein zu Hause ausarbeiteten. Was gibt es auch Schlimmeres, als plötzlich solo zu singen, nachdem man über Jahre an sogenannten „Singing Weekends“ gemeinsam mit Dutzenden Anderen Folksongs in den schiefergrauen nordenglischen Himmel geschmettert hat? Mit anderen singen geht nun wieder, aber die Sorgen wurden eher mehr, wie wir inzwischen wissen.

Vielleicht ist „Sorrows Away“, das erste neue Unthanks-Album seit sieben Jahren, gerade deshalb das Werk zur krisenhaften Zeit, in der Großbritannien von Premierministerrücktritten, steigenden Lebenshaltungskosten und Streiks gebeutelt ist. Die singenden britischen Schwestern Rachel und Becky Unthank und ihre Band kennen sich jedenfalls aus mit Liedern über schwere Zeiten.

Ihre Folksongs sprechen mindestens von harter Arbeit, oft von roher Gewalt, nicht selten stirbt wer. Manche dieser Songs sind Hunderte Jahre alt. „The Royal Blackbird“ auf dem jüngsten Album ist etwa ein schottisches Tra­di­tio­nal über Charles Edward Stuart, besser bekannt als Bonny Prince Charlie.

Flucht in Frauenkleidern

Der plante Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem französischen Exil eine Invasion mit dem Ziel, den Stuarts wieder auf den britischen Thron zu verhelfen, und führte die schottischen Jakobiter in die Schlacht von Culloden. Der Aufstand scheiterte blutig und Charles floh in Frauenkleidern zurück nach Frankreich, was seine Heldenstatur im Norden Großbritanniens noch bekräftigt.

Unthanks

Unthanks: „Sorrows Away“ (Rabbel Rouser/Broken Silence)

Becky Unthank besingt Bonny ausladend über flirrenden Streichern und einem schnellen, fast funkigen Beat. In dieser Mischung steckt die Erklärung, wie eine Band, die sich ganz und gar Musik der schottischen und nordenglischen Vergangenheit verschrieben hat, weit mehr Menschen erreicht als nur einige kauzige Folkfreaks. Adrian McNally arrangiert die meist nur als Text und Melodie überlieferten Songs oft weich und üppig. In ihrer vollen Pracht umfassen die Unthanks ein halbes Orchester.

Mit einem Pub-Abend in Northumberland, der nordost­englischen Heimat der Künst­le­r:In­nen, haben diese Versionen oft kaum mehr etwas zu tun. Der Süßstoff aus Klavier und Geigen überdeckt manch bitteren Unterton. Die Kombination ergibt eine elegante, moderne Form der Melancholie, die eine breite Hörerschaft anspricht.

Fingerabdrücke auf Traditionals

Genre-Dogmatiker:innen werden sich darunter kaum finden. Gar nicht mal, weil die Schwestern Unthank einen alten Song with „Month of Janua­ry“, der nun gerade passt, mit einem anderen („Uncle Rat“) verschneiden. Das passierte immer mal wieder und ist Teil der Idee eines organischen Folk-Kanons. Viele der In­ter­pre­t:in­nen alter Lieder hinterlassen Fingerabdrücke, ihre eigene Intonation und Instrumentierung.

Das hält die Musik und ihre Botschaft frisch und Rachel und Becky Unthanks werden nicht müde, das zu betonen. Aber einer uralten Weise wie „The Sandgate Dandling Song“ einfach eine neue Strophe hinzufügen? Den gewalttätigen Bootsmann verständlicher machen als Opfer seines Vaters? Es sind schon Folksänger für weniger Kosmetik „Judas“ gerufen worden.

Den Unthanks würde der Vorwurf nicht nahegehen, sie sind Meis­te­r:in­nen des Folk-Cuvées. Sie wollten diese alten Lieder von Anfang an mehr Menschen zugänglich machen als nur der Chorgemeinschaft. Neue Formate wie die „Singing Weekends“, quasi eine rustikale Pauschalreise in nordenglische Lebensart, inklusive gemeinschaftlichen Spaziergängen, Pub-Visiten und natürlich Gesangseinlagen, gehören dabei dazu.

Während der Pandemie streamten sie Auftritte gegen Bezahlung im Netz. So was mag manchen nicht ganz geheuer sein, aber es hat dafür gesorgt, dass die Unthanks durch diese Zeit gekommen sind. Nun sind die Zeiten andere und auch die Sorgen. Die Therapie – nach Rachel und Becky – bleibt die gleiche: „Since we’ve learnt a new song to drive sorrows away“, singen sie im finalen Titelsong.

Auf der vierten Seite des mit japanischen Feuerwerks-Illus­tra­tionen gestalteten Doppelalbums findet sich keine Musik. Eingeritzt ins Vinyl hängen dort kleine Fallschirme, die Lichter tragen und das Dunkel länger als ein Feuerwerk vertreiben. Einige der zehn Unthanks-Lieder haben auch einen Fallschirm.

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