Ukrainerinnen rausgeworfen: Eine Nacht im Volkspark
Der Sicherheitsdienst verwies drei Ukrainerinnen für eine Nacht ihrer Hamburger Zelt-Notunterkunft. Eine Aufklärung des Vorfalls steht aus.
Die 32-jährige Inna D., die aus der Ostukraine kommt und seit letztem Juli in Deutschland ist, wohnte zu dem Zeitpunkt des Vorfalls zusammen mit elf weiteren Frauen in einer Unterkunft an der Schnackenburgallee. Diese wird vom Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Hamburg Altona und Mitte im Auftrag der städtischen Anstalt Fördern und Wohnen betrieben. Nachdem eine der Frauen aus dem Zelt wohl einen Konflikt mit einer anderen Bewohnerin hatte und von draußen zurückkehrte, seien kurz darauf zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes unangekündigt und schreiend ins Zelt gestürmt. Es sei schon spät gewesen und sehr unangenehm, erzählt Inna mit ernstem Blick.
Auch der Chef der Sicherheitsleute sei ins Zelt gekommen und habe geschrien. Inna und die anderen Frauen verstanden kaum etwas, außer, dass jemand raus sollte. Als Inna begann, die Sicherheitsleute in dem Zelt zu filmen, sei der Chef aggressiv geworden und habe auch sie aufgefordert, das Zelt zu verlassen. Auf Deutsch, ohne, dass die Frauen verstehen konnten, was ihnen vorgeworfen wurde und bevorstand, habe der Sicherheitsdienst die Frauen für eine Nacht aus der Unterkunft verwiesen. Die hinzugezogene Polizei schickte die drei Frauen aus dem Zelt. Draußen fragten sie mit einem Online-Übersetzer, nach dem Grund des Verweises. Die Polizei antwortete, dass es eine Schlägerei gegeben habe. Inna widersprach.
Ein Angebot einer anderen Frau aus dem Zelt, auf Englisch zu übersetzen, habe die Polizei abgelehnt. Man sagte ihnen, dass sie erst am nächsten Tag, wenn sie wiederkämen, von der Unterkunft eine Begründung für den Verweis erhalten würden. In dem Moment habe man ihnen keine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben. Letztlich seien die drei Frauen der Unterkunft verwiesen worden.
In einer Antwort an die Linke schreibt der Senat zu dem Vorfall, dass nach der Einschätzung der Polizisten „in Bezug auf die drei Frauen keine hilflose Lage im Sinne einer strafrechtlich relevanten Handlung vorlag“. Weiter heißt es: „In der Nacht von 16. auf den 17. November hat der Sicherheitsdienst den drei Frauen, die sich zu diesem Zeitpunkt noch hinter der Eingangsschranke aufhielten, eine Rückkehr in die Unterkunft angeboten, solange sie sich an die Hausordnung hielten, was diese zu diesem Zeitpunkt ablehnten.“
Inna beschreibt das anders. Nachdem sie von den Polizisten hinaus geleitet worden seien und die Sicherheitsleute sie nicht mehr hinein gelassen hätten, mussten sie die Nacht im nahegelegenen Volkspark verbringen. Es regnete, war kalt und sie hatten Angst, weil sie sich nicht auskannten. Aber auch, weil sie ihre Rechte nicht kannten und nicht kommunizieren konnten. Sie fühlten sich nicht mehr sicher. Als sie um sechs Uhr morgens zurück in die Unterkunft durften, war ihnen kalt und sie erkälteten sich im Nachhinein schwer.
Susanne Schwendtke, Pressesprecherin von Fördern und Wohnen, sagt, dass bei Haus- und Geländeverboten normalerweise „immer eine Ersatzunterkunft zur Verfügung gestellt“ würde. In diesem Fall habe jedoch im Nachhinein nicht mehr aufgeklärt werden können, wieso den Frauen keine Ersatzunterkunft angeboten wurde. Das Verhalten entspreche nicht dem Standard und sie bedaure sehr, dass es dazu kam. Alle Beteiligten seien informiert und sensibilisiert worden. Die Frage, wie in den Unterkünften von Fördern und Wohnen sichergestellt werde, dass Bewohnende vor willkürlichem Verhalten des Sicherheitsdienstes geschützt sind, beantwortete sie nicht.
Am Abend des 17. November sei das Zelt der Frauen unangekündigt durchsucht worden, um nach Alkohol zu suchen, erzählt Inna weiter. Es sei bei den drei Frauen aber nichts gefunden worden. Hierzu schreibt der Senat jedoch, dass „eine Durchsuchung im Sinne der Beschwerdeführerinnen nicht durchgeführt wurde“, Mitarbeitende der Unterkunft hätten dazu keine Befugnisse.
Inna erzählt, an diesem Abend sei ihr gesagt worden, es wäre verboten gewesen, den Vorfall zu filmen. Man habe ihr gedroht, sie erneut der Unterkunft zu verweisen, wenn sie das Video nicht lösche, was sie aus Angst getan habe. Hierzu schreibt der Senat lediglich, dass der Sicherheitsdienst darum gebeten habe, das Handyvideo von einer Social-Media-Plattform zu entfernen, dem die Bewohnerin nachgekommen sei.
Fragen ohne Antwort
Zwei Tage lang versuchten die Frauen vergeblich, Antworten zu bekommen, und formulierten schließlich schriftliche Fragen zu dem Vorfall, auf die sie jedoch bis heute keine Antwort bekommen hätten. Im Nachgang kam es im Dezember zu einem Gespräch der drei Frauen mit dem Flüchtlingsrat, Personal von Fördern und Wohnen sowie dem DRK. Gegenüber der taz nahm Fördern und Wohnen zu den Aussagen der Frauen und den Diskrepanzen zu den Aussagen des Senats nicht Stellung.
Carola Ensslen von der Hamburgischen Linksfraktion sagt, es sei ein „großes Problem, auf die Sicherheitsdienste einzuwirken“. Eine Sensibilisierung dieser reiche nicht aus, da sie ein „ziemliches Eigenleben“ führten. Für sie sei entscheidend, „dass drei Frauen in die Nacht rausgeschmissen worden sind“. Ein triftiger Grund für einen solchen Verweis habe an diesem Abend nicht vorgelegen. Der Vorfall müsse aufgeklärt werden und Konsequenzen für die Handelnden haben. Außerdem sei eine Entschuldigung bei den Frauen fällig.
Auch Franz Forsmann vom Hamburger Flüchtlingsrat verurteilt den Vorfall: „Der durch das Grundgesetz garantierte Schutz des Wohnraums ist von den Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes zu akzeptieren.“ Diese dürften ihre Macht nicht ausnutzen, um Menschen einzuschüchtern. Er kritisiert, dass der Hergang des Vorfalls nach zwei Anfragen der Linksfraktion noch immer nicht vollständig nachvollziehbar sei. Der Senat verharmlose und rechtfertige den Einsatz gegen die Frauen in seinen Antworten. Damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederhole, sei eine „umfassende Aufarbeitung unter Einbeziehung der Betroffenen“ nötig. Auch müssten die Kompetenzen von Mitarbeiter*innen der Sicherheitsdienste geprüft werden.
Inna ist noch immer erschrocken von den Erlebnissen dieser Nacht. Sie fühle sich nicht mehr sicher und hofft auf eine Aufklärung des Vorfalls. Außerdem wünscht sie sich eine zugänglichere Rechtsberatung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW