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Disziplinarrecht soll verschärft werdenAngemessen und verhältnismäßig

Die Innenministerin will extremistische Be­am­t:in­nen schneller loswerden. Das ist keine Rückkehr zu den Berufsverboten der 1970er Jahre.

Nancy Faseser will extremistische Be­am­t:in­nen scheller aus dem Staatsdienst entlassen Foto: Michael Kappeler/dpa

Innenministerin Nancy Faeser hat schon einen Gesetzentwurf in der Schublade. Sie will extremistische Be­am­t:in­nen schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen. So will sie auf die bekannt gewordenen Umsturzpläne aus dem Reichsbürgermilieu reagieren, an denen auch Polizist:innen, Soldaten und eine Rich­te­rin beteiligt waren. Früher – als es noch vor allem um linke Leh­re­r:in­nen und Brief­trä­ge­r:in­nen ging – hätte man gesagt: Faeser will Berufsverbote erleichtern.

Für die konkreten Fälle ist die Verschärfung wohl kaum erforderlich. Wer sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt, eventuell sogar an einem Hochverrat, wird natürlich auch jetzt schon aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Es geht eher um die Fälle im Vorfeld: Beamt:innen, die sich zunehmend radikalisieren. Und es geht um das Vertrauen der Öffentlichkeit. Wir sollen uns darauf verlassen können, dass Po­li­zis­t:in­nen und Leh­re­r:in­nen im Staatsdienst die Menschen nicht gedanklich nach völkischen Kriterien sortieren.

Der Kern von Nancy Faesers Vorschlag: Nach schweren Dienstvergehen sollen Be­am­t:in­nen von den Behörden selbst aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden können. Bisher konnte die Disziplinarbehörde nur einen Antrag stellen, und die Entscheidung darüber traf ein unabhängiges Verwaltungsgericht.

Es geht hier also gar nicht so sehr um den Schutz der Bürger:innen. Denn vorläufig suspendieren kann man verdächtige Be­am­t:in­nen auch heute schon. Es geht hier vor allem um Beschleunigung. Der Staat soll schneller klarstellen, wer den Beamtenstatus verwirkt hat, weil er nicht voll hinter dem universellen Wert der Menschenwürde, hinter den Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat steht. Das ist sinnvoll. Bisher dauerte es oft unerträglich lang, bis ein erstes konkretes Ergebnis feststand.

Faesers Modell ist nicht völlig neu. In Baden-Württemberg wird schon seit 2008 so verfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat die baden-württembergische Praxis auch schon geprüft und 2020 akzeptiert – weil der geschasste Beamte oder die Beamtin ja anschließend selbst gegen seine oder ihre Entlassung klagen kann. Selbst CDU/CSU und FDP dürften gegen den Vorschlag Faesers wohl keine Einwände haben. Denn sie haben 2008 in Baden-Württemberg gemeinsam regiert.

Es ist dabei wichtig festzustellen, dass es sich hier eben nicht um eine Beweislastumkehr handelt, wie Ministerin Faeser einmal in einer ungeschickten und missverständlichen Äußerung nahelegte. Es geht lediglich um eine Änderung im Verfahrensablauf. Auch künftig muss der Staat beweisen, dass der Beamte nicht (mehr) verfassungstreu ist. Es wird auch keine Regelabfrage beim Verfassungsschutz eingeführt.

Eine Rückkehr zu den Berufsverboten der 1970er Jahre ist also bislang – und zu Recht – nicht geplant. Auch wenn es heute vor allem gegen Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen geht, sollte der Staat immer die Verhältnismäßigkeit beachten.

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12 Kommentare

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  • Tja ein guter Ansatz.

    Ich fürchte allerdings dass korrupte Politiker, Wahlversprechensbetrüger, Doktortitel-Faker und Staatskassenplünderer Nach wie Vor unbehelligt bleiben werden.

    Denn eine Hand wäscht zwar die andere aber die eine Hand hackt nie die andere ab.

  • Ich bin sonst immer ein großer Fan von Christian Rath und seinen Analysen und Kommentaren. Auch dieser Beitrag ist ausgewogen und sachlich. Ich finde nur an einer Stelle vertraut der Autor zu sehr auf die angebliche Missverständlichkeit der Aussagen von Ministerin Faeser:



    "Es ist dabei wichtig festzustellen, dass es sich hier eben nicht um eine Beweislastumkehr handelt, wie Ministerin Faeser einmal in einer ungeschickten und missverständlichen Äußerung nahelegte." --> Die Äußerung es gehe um eine Beweislastumkehr hat die Ministerin nicht nur einmal im Bundestag auf eine kurze Nachfrage geäußert, sondern auch ausdrücklich im Maischberger-Interview mit Überlegungszeit und Vorbereitungszeit. (Einen Zusammenschnitt findet man hier: www.youtube.com/watch?v=zbX7YG86E4s; dabei muss man leider die Reaction jeweils überspringen, weil sie teilweise unerträglich ist, die Aussagen von Ministerin Faeser sind aber im O-Ton inkl. jeweiligem Kontext enthalten)

    Es handelt sich bei ihrer Äußerung hinsichtlich der Beweislastumkehr nicht nur um eine einmalige Aussage, sondern ihrer eigenen Aussage (mehrfach) nach um ihre ausdrückliche Agenda.

    • @Kriebs:

      Das ist tatsächlich bemerkenswert.

  • Was hier beschrieben wird, ist in der Tat eine reine Verfahrensregelung, die der Beschleunigung dient, aber auch der Kostenreduzierung: Bisher behält der Beamte seine Bezüge bis zum Gerichtsurteil, künftig muss er das gerichtliche Verfahren 'von außen', also nach der Entlassung betreiben. Mit den rechtlichen Voraussetzungen für eine Entlassung hat das nichts zu tun. Ich verstehe daher nicht, dass Frau Faser neulich bei 'Anne Will' sagte, dass man Herrn Höcke mit dieser Neuregelung leichter entlassen könne. Das ist entweder ähnlich irrig wie ihre Äußerung zur Beweislastumkehr, oder es sind doch auch materielle Änderungen geplant.

  • So kann man sich das schönreden, klar!



    Und in 30 Jahren, wenn eine Dekade konservativer Regierungen alle linken Beamten herauswirft, dann sind alle total verwundert.. Huch! So war das nicht gedacht!



    Man muss bei solchen Veränderungen immer im Blick haben, wie das wirkt, wenn es sich auf Grund gedrehter politischer Verhältnisse für einen selbst auswirkt. Und da ist die Antwort dann ziemlich klar.



    "Beschleunigen" heißt hier "ohne ordentliches Verfahren". Und das ist absolut antidemokratisch. Und die Taz macht mit und keiner merkt was.

  • Remember the "Radikalenerlass".

    Professor Edgar Wolfrum, Mitglied der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand leitet die Forschungsgruppe "Radikalenerlass" an der Uni Heidelberg und kommt in seinem Zwischenbericht unter anderem zu dem Ergebnis, dass 3,5 Millionen Überprüfungen stattfanden, 1250 als linksextrem eingestufte Lehrer nicht eingestellt wurden und 270 Personen entlassen wurden.

    Fünf Berufsverbotsverfahren richteten sich gegen Rechte.

    Damals war es common sense, dass Rechtsradikale per se nicht gefährlich sind. Die konnten sich noch so anstrengen, das Gegenteil zu beweisen.

    Jedenfalls ist es erfreulich, wenn die jetzt mal dran sind.

    Noch was fürs Auge:

    de.wikipedia.org/w...s-Bild-11706-1.jpg

    Und: Kretsch hatten sie auch am Wickel:

    www.suedkurier.de/...art417930,11028466

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Damals war es common sense, dass Rechtsradikale per se nicht gefährlich sind. Die konnten sich noch so anstrengen, das Gegenteil zu beweisen.

      Damals waren sie ja auch nicht die Hauptgefährdung.

      Aber heute sind sie es. Vielleicht ist es in weiteren 40 Jahren wieder eine ganz andere Gruppierung, dann ist eben die im Fokus.

      Das ist auch richtig und wichtig so.

      • @32051 (Profil gelöscht):

        Eine Frage der Sichtweise.

        Sagt ihnen der Name Shlomo Levi etwas?

        Der jüdische Verleger und seine Lebensgefährtin wurden 1980 von einem Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann ermordet.

        Gundolf Köhler, der das Attentat auf das Oktoberfest verübte, war auch ein Kamerad in Hoffmanns militantem Nazi-Club und Mitglied der Wiking-Jugend.

        Selbstredend wurde er von Anfang an als Einzeltäter gehandelt.

        Der bayerische Innenminister Tandler sagte im Zusammenhang mit dem Attentat in einem Interview, befragt nach der Gefahr rechten Terrors:

        "Ihre Sorge sollte sich in erster Linie gegen den Linksextremismus wenden.“ Zu rechtsradikalen Gruppen solle man keine „Schattengefahr“ aufbauen."

        Strauß wiederum schätzte die Wehrsportgruppe so ein:

        "Mein Gott, wenn ein Mensch sich vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen Battle Dress spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen. (…) Hoffmann hat sich nichts zuschulden kommen lassen."

        Man könnte auch früher ansetzen. Im ersten Bundestag stellten die ehemaligen NSDAP-Mitglieder die größte Fraktion.

        Filbinger, Kiesinger, Lübcke, demokratisch gewendete Nazis so weit das Auge reicht.

        Gefahr von rechts? Haben wir keine.

        • 3G
          32051 (Profil gelöscht)
          @Jim Hawkins:

          Filbinger, Kiesinger, Lübcke, demokratisch gewendete Nazis so weit das Auge reicht.

          Das war einfach die beste, weil einzige und zugleich unbefriedigendste Lösung.

          Es gab schlicht kaum mehr demokratische Beamte. Die waren entweder tot, emigriert, haben das KZ überlebt und "sich am A* lecken lassen", was man auch nachvollziehen konnte.

          Es hat nunmal Leute gebraucht, die von Verwaltung Ahnung hatten.

          Ansonsten, ja, Rechtsextremismus gabs damals schon, aber die Entführungen und Morde von Links haben eben stark überwogen.

          Ich will keine ollen Kamellen nachtragen, ich glaub, wir sind uns einig, dass es heute anders ist. Da ist die Hauptgefährdung von Rechts. Was nicht bedeutet, sich mit Linksextremisten verbrüdern zu müssen. Der Staat ist multitaskingfähig, auch wenn er Schwerpunkte setzen muss.

    • @Jim Hawkins:

      Beweist aber auch, dass jede Regelung immer gegen Extremisten jeglicher Couleur anwendbar ist und so ggf Potential für politischen Missbrauch existiert, je nachdem, wer gerade die Regierung stellt.

      Außerdem: Extremismus gibt es heutzutage nicht nur von rechts und links. Extreme Querdenker und Islamisten lassen sich nur schwer dem klassischen rechts/links-Denken zuordnen, sind u.U. aber nicht weniger gefährlich.

      • @Winnetaz:

        Warten wir ab, was wie zur Anwendung gelangt.

        In Deutschland ist man da sehr nachsichtig. Ermordete Türken? Das werden wohl andere Türken gewesen sein.

        Pogrom in Lichtenhagen? Wir müssen die Asylgesetze verschärfen.

      • @Winnetaz:

        Ich finde es auch kontraproduktiv, dass jeder immer nur den Extremismus der anderen Seite anprangert. Können wir uns nicht darauf einigen, dass Extremismus und Gewaltbereitschaft von verschiedenen Seiten kommen, und dass Gewalt auch dann falsch ist, wenn man mit den politischen Zielen der Täter weitgehend übereinstimmt?