Aus für Tempo 60 im Straßenverkehr: Hamburg geht zögerlich vom Gas

In Hamburg sollen die meisten der Tempo-60-Zonen verschwinden. Ein Vorreiter ist der rot-grüne Senat, anders als behauptet, damit jedoch nicht.

Ein Bauarbeiter markiert ein Tempo 30-Logo auf einer Straße

Für Hamburg utopisch: flächendeckend Tempo 30 Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HAMBURG taz | Wer in der Fahrschule sitzt, um den Führerschein zu machen, bekommt eingeschärft, dass innerorts grundsätzlich Tempo 50 gilt. In Hamburg ist diese Regel seit mehr als einem Jahrzehnt von Ausnahmen durchlöchert: Auf den großen Einfallstraßen der Stadt gilt seither Tempo 60. Das soll zu einem großen Teil rückgängig gemacht werden. Die regierenden Fraktionen von SPD und Grünen haben sich nun darauf geeinigt.

„Damit machen wir den innerstädtischen Verkehr sicherer, leiser und klimafreundlicher“, freut sich Rosa Domm, Sprecherin für Mobilitätswende der Grünenfraktion. Die Entscheidung liege auch in aktuellen Herausforderungen begründet: „Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges mit der dadurch drohenden Energieknappheit besteht zusätzlich die Notwendigkeit, als Stadt mit gutem Beispiel voranzugehen“, heißt es im Antrag. Nur: Ist Hamburg damit tatsächlich der große Vorreiter?

Ab 2003 wies der Senat unter CDU-Herrschaft innerstädtische Straßenabschnitte aus, auf denen statt mit Tempo 50 seither Tempo 60 die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist. Ziel war es, den Verkehrsfluss zu verbessern und zu beschleunigen – „unter Berücksichtigung einer nachhaltigen Unfallbekämpfung auf Hamburgs Straßen“, wie es in einem Antrag der CDU-Fraktion damals hieß.

Entsprechende Straßenabschnitte gibt es seither einerseits in Industriegebieten, im Hafen und auf anliegerfreien Strecken, andererseits aber auch auf Strecken, an denen entlang ganz oder teilweise Wohngebiete liegen. Für letztere soll die Tempo-60-Regel nun zurückgenommen werden. Auf den anderen Strecken bleibt die Regel bestehen.

Weniger Tempo, weniger Unfälle

Eine parlamentarische Anfrage der SPD aus dem Jahr 2008, die ein erstes Fazit der Folgen dieser Entscheidung liefern sollte, deutete darauf hin, dass Tempo-60-Zonen den Verkehr gefährlicher gemacht haben. Auf einigen Abschnitten kam es seit der Einführung zu deutlich mehr Unfällen. Die SPD vermutete einen kausalen Zusammenhang zwischen der erhöhten zulässigen Geschwindigkeit und den wachsenden Unfallzahlen. Allerdings ließen die Zahlen eine statistisch valide Aussage nicht zu.

Vieles deutet jedoch darauf hin. Jüngst hat sich das in Frankreich gezeigt: Dort war im August 2021 in Paris ein flächendeckendes Tempo-30-Limit beschlossen worden. Erste Evaluationen liegen für Paris zwar hinsichtlich der Unfalldaten noch nicht vor, hingegen aber für Grenoble, wo der gleiche Weg beschritten wurde: Dort ist die Zahl der Unfälle pro Jahr nun von 70 auf 51 gesunken. Und die Zahl der getöteten oder verletzten Fußgänger halbierte sich von 24 auf 14 Personen.

Hinzu kommen weitere positive Aspekte, die auch die SPD nun für die Reduzierung von Tempo 60 auf 50 anführt: „Tempo 60 in Wohngebieten ist aus einer ganzen Reihe an Gründen keine gute Idee: Zehn zusätzliche km/h bedeuten deutlich mehr Lärm, einen höheren Treibstoffverbrauch und schwerere Unfälle“, sagt Ole Thorben Buschhüter, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg.

Dass Hamburg nun lediglich zum Tempo-50-Normalzustand zurückkehrt und sich damit als Vorreiter in Sachen Temporeduzierung darstellt, verwundert jedoch – nicht nur, weil Berlin bereits vor einigen Monaten das Gleiche ankündigte, sondern auch weil sich Anfang dieses Jahres die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ gegründet hat.

Tempo 30 keine Option

Organisiert vom Öko-Thinktank Agora Verkehrswende haben sich darin Dutzende Gemeinden – darunter etwa Hannover, Leipzig oder Aachen – zusammengeschlossen, um angemessene Geschwindigkeiten selbstständig festzulegen. Konkret wollen sie selbst Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Damit soll auch explizit die Verkehrswende weg vom motorisierten Individualverkehr befördert werden. Zahlen aus Paris, wonach der PKW-Verkehr seit der Temporeduzierung um vier Prozent abgenommen hat, untermauern das.

Auch der Deutsche Städtetag, oberste Vertretung der Kommunen in der Bundesrepublik, unterstützt das Vorhaben. Hamburg jedoch hat sich, auf Drängen der SPD und entgegen eines Antrags der Linksfraktion, der Initiative nicht angeschlossen. Dabei wollen die Kommunen so Druck auf die Bundesebene ausüben, damit die geltende Anordnung von Tempo 50 als regelhafte innerörtliche Höchstgeschwindigkeit fällt.

Hamburg als Bundesland könnte der Initiative entsprechend mehr Druck verleihen. Eine flächendeckende Temporeduzierung würde schließlich, wie SPD und Grüne selbst betonen, nicht nur den Lärm und die Zahl der Verkehrsunfälle senken, sondern wäre auch eine klimapolitische Maßnahme.

Das findet auch Rosa Domm. Doch gegen den Widerstand der SPD kommen die Grünen weiterhin kaum an. „Es ist kein Geheimnis, dass wir beim Tempo 30 innerhalb der Koalition unterschiedliche Auffassungen haben“, sagt Domm.

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