Traditionssegler in Not: Noch lebt die Zuversicht

Dem Traditionssegler „Zuversicht“ des Kieler Vereins Jugendsegeln droht die Kettensäge. Für eine Sanierung fehlt dem Verein das Geld.

Der Segler "Zuversicht" unter vollen Segeln auf dem Wasser

Die „Zuversicht“ als sie noch im Wasser lag Foto: Verein Jugendsegeln

KIEL taz | Die „Zuversicht“ lebt. Gerade aber vor allem in den Köpfen ihrer Segler:innen. Die beiden hölzernen Masten stehen nicht mehr; wo einst das Steuerrad war, lässt sich bloß erahnen; und hier wie da kann man nun durch den fast 120 Jahre alten Rumpf aus massiver Eiche gucken. Nur wo die Herbstsonne über der Ostsee auf das Heck scheint und in großen Lettern „Zuversicht“ steht, zeigt sich noch ein wenig der Glanz der alten Tage.

Sie ist heute einem Wrack näher als einem Segelschiff, das soll so. Denn nun ist alles vorbereitet, in mühevoller, ehrenamtlicher Kleinarbeit. Die Kernsanierung des einst legendären Schoners, sie könnte jederzeit beginnen. Sogar neues Holz ist bereits da. Einst holte das Schiff Steine für den Hafenbau vom Grund der Ostsee. Nun liegt sie aufgebahrt in der Kieler Rathje-Werft.

Sie ist nicht nur die Zeugin einer jahrhundertealten maritimen Kultur und eine der letzten Angehörigen frachttragender Berufsschifffahrt auf der Ostsee aus jener Zeit. Der Traditionssegler dient auch schon seit 1980 als segelnde Jugendbildungsstätte: An Bord haben viele Menschen vieles etwa über Klimawandel und Meeresschutz gelernt, über den eigenen ökologischen Fußabdruck. Und über sich selbst. „Alleine läuft auf so einem Segelschiff gar nichts“, sagt die Pädagogin Betina Bewarder, stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Jugendsegeln“, die die „Zuversicht“ betreibt. „Miteinander zu arbeiten und füreinander da zu sein: das lernt man hier.“

Es ist das, was was man heute Teambuilding nennt und Personaler als „Soft Skills“ in ihren Stellenausschreibungen einfordern. Sie zu lernen, das funktio­niert auf einem solchen Traditionssegler zuverlässig auch bei solchen Jugendlichen, die als „sozial schwach“ gelten und mit einer „Scheißegal-Haltung“ aufs Schiff kommen, sagt die Skipperin Meike Holland, die im Hauptberuf Coach ist.

Dann erzählt sie von einem Mitsegler, der trotz seiner Höhenangst in den Mast klettern wollte und glücklich wurde. „Er kam als komplett anderer Mensch wieder herunter.“ Und von einem Schüler, allein am Steuer des 30 Meter langen Schiffes mit 260 Quadratmeter Segelfläche: „Er wuchs richtig!“

Viel Geld ist nötig

Vieles spricht also dafür, die „Zuversicht“ der Nachwelt zu erhalten. Aber wenig dafür, dass es wirklich passiert. Das liegt natürlich am Geld. Und ja, die 2,5 Millionen Euro, die es laut Gutachter nun braucht, um das Schiff wieder seetüchtig zu machen, die klingen nach echt viel. Es müssen viele tragende Teile der größtenteils noch originalen Konstruktion ersetzt werden, auch in den Motor, die Elektrik und die Schiffssicherheit muss man investieren.

Vier Menschen vor dem Heck des Seglers "Zuversicht"

Die „Zuversicht“ auf dem Trockenen Foto: Jan Zier

Am Anfang war mal von einer halben Million Euro die Rede, und das war schon zu viel für ein Projekt, das etwa 115.000 Euro im Jahr erwirtschaftet. Mit der Zeit wurde dann immer klarer, wie tief man in die Struktur des Schiffes würde eingreifen müssen, um es zu retten. Das kostet.

2,5 Millionen: „Die Zahl hat uns schockiert“, sagt Fundraiserin Sonja Endres. Denn der jährliche Etat für Instandhaltungsarbeiten des 150 Mitglieder zählenden Vereins liegt bei 65.000 Euro. Aus eigener Kraft ist die Sanierung also nie zu stemmen. Dabei haben sie in den letzten beiden Jahren, in denen das Schiff schon nicht mehr segelte, fast eine halbe Million Euro bei Stiftungen eingeworben. Hinzu kommen 70.000 Euro aus Spenden und Crowdfunding und weitere 445.000 Euro, die fließen würden, wenn der Verein das restliche Geld beisammenhätte. Bleibt eine Lücke, die 1,6 Millionen Euro groß ist. Das klingt immer noch nach sehr viel Geld.

5.000 Traditionsschiffe gibt es noch in Europa, davon etwa 100 in Deutschland

Die Alternative: Das Schiff wird abgewrackt. Also zersägt. Mit der Kettensäge. Wromm, wromm, wrommmmm!

Darüber will im Verein aber keiner so recht reden. Und sie haben sich auch noch keine Deadline gesetzt. Der Name des Schiffes, er soll Programm sein. Es zu vernichten? „Das ist die allerletzte Option“, sagt Sonja Endres. Etwa 5.000 Traditionsschiffe gibt es heute noch in Europa, sagt ihr Dachverband, davon etwa 100 in Deutschland. Vor zehn Jahren waren es noch 120.

Anderen Seglern wurde geholfen

Natürlich könnte der Bund der „Zuversicht“ helfen. Dann wäre diese Geschichte hier zu Ende. Und, ja, der Steuerzahler gibt viel Geld aus für alte Segelschiffe. Man denkt an die ebenso unwirtschaftlich wie detailgetreu restaurierte „Gorch Fock II“ von 1958; die Bundeswehr durfte 135 Millionen Euro dafür ausgeben. Oder an den Viermaster „Peking“, einen Frachtsegler, einst eines der größten Segelschiffe der Welt. 120 Millionen Euro investierte der Bund in die Restaurierung und das neue Hamburger Hafenmuseum drum herum. Segeln kann sie heute nicht mehr.

Dann ist da noch die schifffahrtshistorisch belanglose „Seute Deern“, die 2019 im Hafen des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven unterging, nachdem sich dort jahrelang nie so recht jemand um sie gekümmert hatte. Weil sie ein Wahrzeichen der chronisch sich zumindest vernachlässigt fühlenden Stadt war, organisierte der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schmidt dank seiner Kontakte in der Bundespolitik über 40 Millionen Euro für einen Nachbau. Der wird höchstens aus Stahl sein können und nicht aus Holz, so wie das Original. Und wahrscheinlich wird am Ende eh ein ganz anderes Schiff nachgebaut, das nicht wird segeln können, aber zu Lebzeiten mal was mit Bremerhaven zu tun hatte.

Ob so ein Traditionsschiff gerettet wird oder nicht, ist bisweilen vor allem eine Frage der guten Beziehungen. Herr Schmidt hat sie. Gerade beschaffte er aus dem Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) weitere 2 Millionen Euro für die Sanierung der „Grönland“ von 1867, des ältesten deutschen Polarforschungsschiffs. „Der Bund übernimmt Verantwortung und bekennt sich ein weiteres Mal zum maritimen Erbe in der Seestadt“, wurde Schmidt hernach zitiert.

Anderswo funktioniert das ähnlich. So hat die Bundestagsabgeordnete Anna Kassautzki (SPD) bei der Bundesregierung gerade 13,5 Millionen Euro eingeworben, für die Erhaltung des Stralsunder Segelschulschiffs „Gorch Fock I“. Das ist die ältere Schwester jener Bark, die wir heute noch als Marine-Schulschiff kennen und mit zehnmal mehr Geld gerettet haben. Sie segelt nur nicht mehr und dient inzwischen als Museum an der Ostsee. Das Geld für sie kommt aus dem Programm „Kulturinvest“, mit dem der Bund in diesem Jahr 40 Millionen Euro für Kultureinrichtungen ausgibt.

Auch Kiel hat einen SPD-Bundestagsabgeordneten. Er heißt Mathias Stein und setzt sich natürlich für die Kultur in seiner Heimatstadt, seinem Wahlkreis, ein. Die Renovierung der Kunsthalle zu Kiel wird deshalb nun mit knapp 19,5 Millionen Euro bezuschusst, und das Theater Kiel erhält 8 Millionen Euro für die Sanierung des Opernhauses. „Für beide Anträge habe ich mich in Berlin starkgemacht“, lobte sich Herr Stein jüngst: „Das ist eine wichtige Stärkung für die kulturelle Infrastruktur unserer Stadt!“

Undurchsichtiges Verfahren

Mathias Stein kennt auch die „Zuversicht“, und Fundraiserin Endres weiß freilich um das Programm „Kulturinvest“ – der Verein habe im Sommer aber zu spät davon erfahren, die Antragsfrist war kurz, das Verfahren „undurchsichtig“, klagt Endres. Selbst beim BKM sei nicht viel zu erfahren gewesen. Je weniger Leute so einen Fördertopf kennen, desto weniger ist er am Ende überbucht. Das kommt den Be­wer­be­r:in­nen zugute, die Konkurrenz ums Geld ist schließlich groß in der Kultur.

„Welches Schiff in Deutschland gefördert wird, hängt heute oft noch von Zufälligkeiten und guten Kontakten in die Politik ab“, sagt Jan-Matthias Westermann, Vorsitzender des Dachverbands der deutschen Traditionsschiffe. „Das sollte nicht sein.“

Ein bisschen mag die Rettung der „Zuversicht“ schlussendlich auch an den nationalen Grenzen scheitern. Sie wurde 1905 im dänischen Nyborg gebaut, fuhr zuletzt aber von Kiel aus unter deutscher Flagge. Dänemark hat zwar anders als Deutschland einen Fonds, der einzelne alte Schiffe großzügig fördert. Die „Zuversicht“ aber nicht. Dazu fehlen ihr die dänische Flagge, ein dänischer Heimathafen und ein dänischer Eigner.

Den Dänen ist das Schiff also zu deutsch. Den Deutschen aber ist es zu dänisch, es kommt ja nicht von hier, weswegen es bei uns auch nicht als Kulturdenkmal anerkannt wird. Da hilft auch die EU nicht weiter, sagt Endres – denn dazu bräuchte es eine regionale Anerkennung. „Und die kriegen wir nicht.“ Der „Zuversicht“ fehle die Lobby. Und aus Nyborg kommt zwar ideelle Unterstützung, doch mit Geld rettet man dort lieber das städtische Schloss.

Im November tagt der Haushaltsausschuss des Bundestages, es wird dann wohl noch mal Geld für die Kultur geben. Über das genaue Procedere konnte Endres beim BKM bisher nichts erfahren, sagt sie. „Wir sind gewarnt.“ Aber einen guten Tipp gab es dann doch noch aus Berlin: „Nutzen Sie Ihre Kanäle!“

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